Kürzlich war ich mit meiner Freundin Fränze zum Mittagessen in der Stadt verabredet. Schon als ich sie auf der anderen Straßenseite wild winkend erspähte, stellten sich meine Augen auf ein ganz besonderes Teil an ihr scharf: ihren Mantel. Das war aber nicht irgendeiner, sondern ein Mantel, den ich so noch nirgendwo zuvor gesehen hatte. Er war ihr eigentlich viel zu groß und viel zu lang und hatte zusätzlich zu den ohnehin schon viel zu breit geschnittenen Schultern auch noch Polster integriert. „Woah, cooler Coat!“, schrie ich unkontrolliert über die halbe Straße. „Danke!“, sagte sie und strahlte. Pause. Es folgte der Moment, in dem man mit imaginärer Wasserpistole auf der Brust sofort und auf der Stelle wissen will, wooooheeeeer dieses geniale Teil, das einem das Leben verändern würde (klar!), denn nun war. Kennt jeder. Fränze ließ mich nicht im Stich, enttäuschte mich aber dennoch: „Das ist ein Erbstück meiner Oma“. Zwei Gedanken schossen mir durch den Kopf. Erstens: Wie genial, wie nostalgisch, wie schön und besonders. Zweitens: Klasse – Nachkaufen ist nicht.
Aber hey, kein Problem, denn seit der Beförderung Alessandro Micheles zum Chefdesigner des Traditionshauses Gucci ist ohnehin alles anders: Ein Blick auf seinen Instagram-Account (@lallo25) sagt schon alles. Ein Konglomerat aus Prunk, Protz und Nostalgie – je älter desto besser. Er bringt die 60er, 70er, 80er und 90er zusammen und mischt sie mit Mittelalter-Elementen auf. Das Resultat: Seine Gucci-Designs könnten an Großeltern-Charme nicht übertroffen werden.
Und was das It(alo)-Label auf dem Laufsteg vormacht, flutet schon bald alle Läden. So passierte es eben auch mit dem Trend, der uns aussehen lässt, als hätten wir uns ungefragt im Kleiderschrank unserer Oma bedient: Cord-Blazer, Samt-Sliper, Oma-Strickpullis – und ja, eben auch Grandpa Coats wie der von Fränze.
Als ich die neueste H&M-Kollektion im Laden sah, ging ich zunächst an einem Mantel vorbei bis ich starr stehen blieb und wieder den Rückwärtsgang einlegte. Liebe auf den zweiten Blick nennt man sowas und ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich an Teilen, an denen ich erstmal vorbeigehe, beziehungsweise die ich erstmal liegen lasse, um dann zu ihnen zurückzukehren, weil sie mir nicht aus dem Kopf gingen, am Ende wesentlich länger meine Freude habe. Das Gegenteil davon ist übrigens Liebe für den Augenblick (wenn man Trendteile shoppt, die man dann aber nur noch vier Tage lang super cool findet) und auch darin bin ich ein Profi. Leider. Doch bei diesem Coat war es ohnehin ganz anders: Da hing er, flirtete mich an, ein Zweireiher, wadenlang, mit Check-Muster und das auch noch im angesagten Gute-Laune-Beige. Okay, ein Farb-Bonbon war er nicht gerade, deshalb war ich wohl auch zuerst an ihm vorbeigelaufen. Dafür hatte er aber etwas ganz anderes.
War es der Menocore-Trend, der mich so heiß auf dieses Prachtexemplar machte? Vielleicht. Aber noch viel mehr war es die pure Nostalgie. Erinnerungen. Gefühle. Genau das, wovon auch Fränze schon schwärmte. Und dieses Teil erinnerte mich irgendwie an meinen Opa Viktor. Er war ein sehr grummeliger alter Mann, aber er hatte ein gutes Herz und vor allem hatte er einen Swag, Halleluja! Er wäre heute auf jeden Fall eine Stilikone – bei diesem Granny-Trend. Er trug karierte maßgeschneiderte Hosen mit Hosenträgern, weiße Hemden und immer diese graumelierte Schiebermütze. Und ich erinnere mich an einen Mantel, der nicht genau so war wie der von H&M, aber ihm sehr nahe kam. Deshalb warf ich ihn über, kaufte sogar extra noch eine Größe zu groß und verließ mit einer Hommage in der Tüte stolz den Laden.
Als ich meine Errungenschaft bei meinem Inner Circle stolz präsentierte, hätten die Rezensionen nicht unterschiedlicher sein können. Mein Freund, der einiges von Mode verstand, schenkte mir statt eines erwarteten „Wow, mega!“ ein zartes „Joa, cool?!“. Das Fragezeichen ist dabei kein Tippfehler, die Stimme ging am Ende der Aussage nach oben. Er war also semiüberzeugt. Meine Mum hingegen feierte den Mantel überraschenderweise umso mehr: „So einen hatte ich in der 90ern auch! Hatte ich mir in der Vogue von damals abgeguckt. Breite Schultern plus Schulterpolster, das war damals der Hit!“.
Okay, ich gebe es zu: Ich selbst fühlte mich darin zunächst ein bisschen so wie dieses Baby im Balenciaga Sakko auf dem legendären Cover des Dust Magazins. Aber die Story mit der Vogue überzeugte mich. Und so knipsten Sarah und ich also ein paar Bilder im 90er Jahre Flair mit dem Editorial-Arbeitestitel „Eine Ode an den Look Deines Opas“ für euch. Meine Filz-Slingbacks, Sarah Janes Cordmütze und die alte Karre im Hintergrund komplettierten den Looks im Handumdrehen. Klar, und ein Springbrunnen durfte natürlich auch nicht fehlen.
Ich stellte mir dennoch die Frage: Wie könnte das Teil denn im pupsnormalen 2017er Alltag cool aussehen? Die russische Unternehmerin und Stilikone Miroslava Duma ist eine Göttin, wenn es um Oversize Coats geht. Da half also nur eins – abgucken, lernen, nachstylen. Nach der gründlichen Analyse von etwa zwölfmilliarden Bildern von Miro in übergroßen Mänteln erkannte ich, dass es drei goldene Regeln gab, wenn man zum Club der anonymen Profi-Coatoholiker gehören wollte:
1. Lässig auf die Schultern hängen,
2. Kragen auf spießig hochstellen und
3. mit einem Taillengürtel eine feminine Silhouette verpassen.
Klingt einfach, ist es nicht. Die Kragensache macht nur im kalten Winter Sinn und sieht ansonsten leicht lächerlich aus und bei der Taillengürtelgeschichte ist das Wort „unvorteilhaft“ gefallen. Klasse. Macht aber nichts. Es gab ja noch die allererste Regel: Lässig auf die Schultern hängen. Das konnte ich. Und ist man erstmal dahinter gekommen, worauf es ankommt, wenn man den Mantel elegant, sportlich, chic oder lässig stylen möchte, kommt der Rest von ganz allein.
Ich hab sogar rausgefunden, wie ich dem ganzen Look den kompletten Oldie-Flow nehmen könnte, sollte ich mal nicht im Opa-Viktor-x-90er-Jahre-Vogue-Shooting-Mood schwelgen (kommt selten vor):
- Sneaker statt Filz-Slingbacks
- Cap statt Cordmütze
- den Mantel unbedingt komplett offen statt streng zugeknöpft. Am coolsten halt – wie Miro – lässig um die Schultern.
Fertig.