Buchmesse // 8 französische (moderne) Klassiker zum Neuentdecken und Wiederlesen

12.10.2017 Buch, box2

Vive la France! Frankreich ist dieses Jahr Gastland auf der Frankfurter Buchmesse, was bedeutet: Tagelang lang werden sich zahlreiche französische Autor*innen in Frankfurt tummeln, werden zahlreiche französische Bücher auf Deutsch erscheinen (eine Zusammenstellung von aus dem Französischen übersetzten Neuerscheinungen gibt es hier). Für mich ein schöner Anlass, mal wieder mein Regal zu durchstöbern und ein paar meiner französischen Lieblingsbücher in die Hand zu nehmen. Was folgt, ist eine subjektive Auswahl einiger meiner Favoriten. Voilà!

Bonjour Tristesse von Françoise Sagan (1954)

Erst knapp 19 Jahre alt war Françoise Sagan, als ihr Debütroman Bonjour Tristesse 1954 erschien – und direkt einen Skandal auslöste. Die Sexszenen! Die Freizügigkeit! Sagan selber gab später zu Protokoll, das eigentlich schockierende an ihrem Roman sei ja wohl nicht die Tatsache, dass die 17-jährige Protagonistin Sex habe, sondern ihre Emotionslosigkeit, ihr Wille, das Leben anderer Menschen zu zerstören. In Bonjour Tristesse erzählt Sagan die Geschichte von Cécile, die ihre Ferien zusammen mit ihrem verwitweten Vater Raymond an der Côte d’Azur verbringt. Raymond sonnt sich mit seiner jungen Geliebten Elsa, Cécile mit dem gutaussehenden Cyrill. Doch dann reist Anne aus Paris an, klug, schön, in Raymonds Alter. Cécile fühlt sich bedroht – und am Ende des Sommers wird nichts mehr so sein, wie es einmal war. Bonjour Tristesse ist eine Geschichte über das Erwachsenwerden, über endlos warme Sommertage, über Schuld und Reue. Alles erzählt in Françoise Sagans wunderbar schwebender Prosa.

Keine Sorge, mir geht’s gut von Olivier Adam (1999)

Die Verfilmung von Olivier Adams Debütroman Keine Sorge mir geht’s gut brachte Mélanie Laurent 2006 ihre erste große Rolle; für ihre Darstellung der Lili erhielt sie den César als beste weibliche Nachwuchsdarstellerin. Im Buch heißt Lili nicht Lili, sondern Claire. Als sie aus den Sommerferien zurückkommt, ist ihr geliebter Bruder Loïc verschwunden. Niemand weiß, warum. Ihre Eltern haben keine Antworten für Claire, die immer verzweifelter wird, einen Zusammenbruch hat, nicht mehr isst. Eines Tages liegt sie im Briefkasten: eine Postkarte von Loïc! Claire macht sich auf die Suche nach ihrem Bruder – und muss sich den wahren Gründen für sein Verschwinden stellen. In seiner typischen schnörkellosen Sprache erzählt Olivier Adam von Sprachlosigkeit und vom Gefühl, die Welt um sich herum wie aus einer Glasglocke heraus zu betrachten.

Im Café der verlorenen Jugend von Patrick Modiano (2007)

2014 erhielt Patrick Modiano den Literaturnobelpreis – eine Überraschung. Modiano zu den Vielschreibern, veröffentlicht seit den 1960ern fast alle zwei Jahre einen neuen, schmalen Band. Zu seinen schönsten Büchern gehört Im Café der verlorenen Jugend, in dem es um eine junge Frau geht und darum, wie andere Menschen sie wahrnehmen. Vieles bleibt in diesem Roman in der Schwebe, es gibt kaum Gewissheiten, schon gar nicht über die junge Frau, für die sich so viele Männer so intensiv interessieren. Was am Ende bleibt, ist ein diffuses Unbehagen, eine Beklommenheit. Wie nach einem Verlust.

Jules und Jim von Henri-Pierre Roché (1953)

Bekannter als das Buch von Henri-Pierre Roché ist François Truffauts Verfilmung von 1962, inklusive einer unwiderstehlichen Jeanne Moreau. Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit: Roché lebte mit dem Künstler-Ehepaar Helen und Franz Hessel eine ménage-à-trois. Im Buch treffen die Freunde Jules und Jim, der eine französischer Intellektueller, der andere deutscher Dichter, Anfang des 20. Jahrhunderts Kathe. Beide Männer verlieben sich in sie, Kathe heiratet Jules. Doch sie liebt auch Jim. Um herauszufinden, ob das gut geht, liest man am besten erst das Buch und guckt dann den Film.

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Böses Mädchen von Amélie Nothomb (2003)

Genau genommen ist Amélie Nothomb Belgierin, aber sie schreibt eben auf Französisch. Wie Modiano gehört Nothomb zu den Vielschreiberinnen und hat seit 1992 über 30 Bücher veröffentlicht. Anders als Modiano, dessen Schreiben auf die ein oder andere Weise immer um das Erinnern kreist, ist Nothomb in ihrer Themenwahl nicht festgelegt. Was Nothombs Bücher aber alle gemeinsam haben, ist die Faszination für menschliche Abgründe, für Außenseiter*innen und Hässlichkeit in all ihren Formen. In Böses Mädchen heißt die Hässlichkeit Christa – die ist natürlich überhaupt nicht hässlich, im Gegenteil. Aber ihr Charakter ist hässlich. Bis die schüchterne Blanche das endlich merkt, dauert es. Zuerst ist Blanche nämlich überglücklich, dass die selbstbewusste und hübsche Christa ihre Freundin sein will. Zu viel will ich nicht verraten, außer: Der Originaltitel des Buches Antéchrista (ein Wortspiel mit Antichrist) ist passend gewählt.

Der Liebhaber von Marguerite Dumas (1984)

Ganz ehrlich: Mit diesem Buch habe ich mir erst schwergetan. Habe angefangen, es zu lesen, dann zur Seite gelegt, mich zum Weiterlesen gezwungen, mich durchgequält. Vor einigen Jahren nahm ich es noch einmal in die Hand – und plötzlich fiel mir das Lesen gar nicht schwer, flogen die Seiten nur so dahin. Marguerite Duras‘ autobiografische Erzählung Der Liebhaber spielt Anfang der 1930er in der französischen Kolonie Indochina (dem heutigen Vietnam). Ein 15-jähriges französisches Mädchen beginnt eine Affäre mit einem zwölf Jahre älteren, reichen Chinesen. Was mich beim ersten Lesen so gestört hat, fand ich beim zweiten Mal brillant: Duras‘ gebrochene Erzählstruktur, das Fragmentarische des Romans. Es geht um so viel mehr als nur eine Liebesgeschichte. Der Liebhaber ist fast so etwas wie ein Bildungsroman – ich bin froh, dass ich ihm eine zweite Chance gegeben habe.

Der Fremde von Albert Camus (1942)

„Heute ist Mama gestorben. Vielleicht auch gestern, ich weiß es nicht.“ Diese Gleichgültigkeit ist es, die sich durch Der Fremde zieht. Emotionslos beschreibt Meursault, der Ich-Erzähler, seinen Alltag im Algerien der 1930er Jahre. Meursault hat keinerlei Antrieb, alles ist ihm egal, nichts scheint im wichtig zu sein, zu nichts scheint er eine Meinung zu haben. Selbst als er einen Mord begeht, tangiert ihn das nicht – es ist schließlich die blendende Sonne gewesen, die zu diesem Vorfall geführt hat. Der Fremde ist auch dann ein tolles Buch, wenn man sich noch nie mit Albert Camus‘ Philosophie des Absurden auseinandergesetzt hat. Laut Camus besteht das Absurde im Erkennen der Tatsache, dass es keinen Sinn ergibt, als Mensch in einer sinnleeren Welt nach Sinn zu suchen. Das klingt pessimistischer als Camus es eigentlich meint – letztendlich geht es ihm nämlich um Eigenverantwortung, um Auflehnung und innere Revolte (zum Weiterlesen empfehle ich Der Mythos des Sisyphos).

Die Mandarins von Paris von Simone de Beauvoir (1954)

Natürlich kommt diese Liste nicht ohne Simone de Beauvoir aus! Für Die Mandarins von Paris erhält sie 1954 den renommierten Prix Goncourt – im Roman verarbeitet sie die Dilemmata, vor denen französische Intellektuelle in den 1940er Jahren stehen. Die Geschichte selbst wird abwechselnd aus der Sicht des Journalisten, Schriftstellers und ehemaligen Widerstandskämpfers Henri Perron und aus der Sicht der Psychoanalytikerin Anne Dubreuilh erzählt. Die Mandarins von Paris wirft viele Fragen auf: Es geht um Gewissenskonflikte, um den Zwiespalt zwischen Denken und Handeln, um Engagement, um Authentizität und darum, das ‚Richtige‘ tun zu wollen.

2 Kommentare

  1. Makaleiska

    „Bonjour Tristess“ ist einfach großartig und immer noch, auch nach mehrmaligem Lesen, eines meiner absoluten Lieblingsbücher. GROSSE Leseempfehlung <3

    Antworten

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