Ein wirklicher Verbündeter kann nur sein, wer seinen Mund aufmacht.
Jeden Tag kommen neue Stimmen dazu. Stimmen von Frauen, die von Harvey Weinstein belästigt, begrabscht oder angeblich sogar vergewaltigt wurden. Stimmen von Frauen, die deutlich machen, dass Weinstein kein Einzelfall ist, dass Frauen in Hollywood routinemäßig Typen wie ihm ausgesetzt sind. Dass dahinter ein System steckt, in dem Männer die Macht haben und viele Frauen viel zu eingeschüchtert sind oder um ihre Karriereaussichten bangen, um sich zu wehren.
Ja, Männer haben die Macht. Doch während immer mehr Frauen den Schritt in die Öffentlichkeit wagen, über Sexismus und sexuelle Belästigung in Hollywood sprechen, schweigen viele Männer. Ein lautes Schweigen. Das empfindet auch Jessica Chastain so, die letzte Woche frustriert feststellte: „Ich habe es satt, dass die Medien nur von Frauen verlangen, das Wort zu ergreifen. Was ist mit den Männern? Vielleicht haben Männer Angst, sich ihr eigenes Verhalten anzuschauen…“. Mindy Kaling ergänzte: „Warum hilft es, wenn Männer sich äußern? Weil es das ist, was diese Persönlichkeit am meisten fürchtet: die Zerstörung der stillschweigenden männlichen Unterstützung für dieses Verhalten.“ Und Lena Dunham schrieb in einem Beitrag für die New York Times: „Das Schweigen Hollywoods, insbesondere das von Männern, die eng mit Mr. Weinstein zusammenarbeiteten, verfestigt nur die Kultur, die Frauen davon abhält, zu sprechen.“
Macht vs. Machtlosigkeit
Es ist sicher kontraproduktiv, wahllos alle möglichen Schauspieler Hollywoods um Statements zu bitten (wie es diverse Medien taten und tun), nur um dann mit dem Finger auf sie zu zeigen und zu triumphieren: Ha! Was hat er wohl zu verbergen? Aber es stimmt, wenn Dunham von den Männern eine Positionierung fordert, die regelmäßig oder öfter mit Weinstein zusammengearbeitet und von ihm profitiert haben. So wie Matt Damon, Ben Affleck oder Brad Pitt beispielsweise. Während George Clooney zwar „Gerüchte“ gehört, aber von nichts gewusst haben will, wusste einer zumindest genau Bescheid – Brad Pitt. Laut Gwyneth Paltrow, die von 1994 bis 1997 mit Pitt zusammen war, vertraute sie ihm damals an, dass Weinstein sie 1996 belästigte. Pitt habe Weinstein daraufhin bei einer Filmpremiere gedroht: „Du wirst Gwyneth das nie wieder antun.“ Pitt bestätigte diesen Vorfall.
Nun ist es natürlich wunderbar, dass Pitt seine Freundin ernstnahm und Weinstein eine klare Ansage machte. Aber Weinsteins Verhalten war für Pitt offenbar kein Grund, die Zusammenarbeit mit Weinstein zu beenden (Inglourious Bastards und Killing them softly wurden beide von Weinsteins Firma produziert) oder dafür zu sorgen, dass andere Frauen nicht ähnliches erleben müssen wie Paltrow. Stattdessen: Schweigen. Warum? Im Gegensatz zu all den jungen Frauen, die Weinstein belästigte, Frauen, die oft am Anfang ihrer Karriere standen, hatte und hat Pitt Macht. Er war schon in den 1990ern ein gefeierter Schauspieler, besitzt mittlerweile seine eigene Filmproduktionsfirma und ein hohes Standing in Hollywood.
„Rückgradloser Profiteur“
Genau wie Matt Damon und Ben Affleck. Die haben Weinstein ihren Durchbruch zu verdanken: 1997 kaufte Weinsteins damalige Produktionsfirma Miramax die Rechte für Good Will Hunting, ein Film nach einem Drehbuch von Damon und Affleck, in dem Damon die Hauptrolle spielte. Dank Weinsteins Einsatz wurde der Film zu einem Riesenerfolg, gewann zwei Oscars. Es war sowohl für Damon als auch für Affleck der erste große Hollywood-Erfolg. Doch zum Fall Weinstein äußerten sich beide tagelang nicht. Rose McGowan, die Weinstein vorwirft, sie vergewaltigt zu haben, twitterte Damon direkt an: „Hey @Mattdamon, wie ist es, ein rückgradloser Profiteur zu sein, der schweigt?“
Angeblich soll Damon sogar eine aktive Rolle in der Kultur des Schweigens gespielt haben. Als Matt Damon sich endlich zum Weinstein-Skandal äußerte, tat er es hauptsächlich, um sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen. Von Weinsteins Verhalten gegenüber Frauen habe er nichts gewusst: „Diese Art von Angriff passiert hinter verschlossenen Türen, und abseits der Öffentlichkeit. Wenn es jemals eine Veranstaltung gegeben hat, auf der ich war und Harvey hat diese Art von Ding getan und ich habe es nicht gesehen, dann tut es mir wirklich leid, denn ich hätte es gestoppt.“
Nobel gedacht, aber nicht authentisch
Das sind noble Absichten, aber Tatsache ist: Eine ganze Menge Menschen in Hollywood wussten Bescheid oder hatten zumindest Gerüchte gehört, darunter auch Männer. Und diese Männer taten nichts. Ben Affleck veröffentlichte ein Statement, in dem er sich „traurig und wütend“ zeigte: „Das ist vollkommen inakzeptabel und ich frage mich, was ich tun kann, um sicherzustellen, dass das nicht anderen passiert. Wir müssen besser darin werden unsere Schwestern, Freundinnen, Kolleginnen und Töchter zu schützen.“ Auch das ist nobel gedacht, wirkt aber nicht richtig authentisch. Erstens greift Affleck selbst bei Frauen einfach mal zu, zweitens ist sein Bruder Casey Affleck – ein Mann, dem von zwei Frauen, die mit ihm an der Dokumentation I’m still here arbeiteten, Belästigung und unsittliches Verhalten vorgeworfen wird. Statt Schwestern, Freundinnen, Töchter oder andere Frauen vor seinem Bruder zu schützen, unterstützte Ben Affleck ihn bei der Promo-Tour für seinen Film Manchester by the sea. 2017 gewann Casey Affleck dafür den Oscar als bester Hauptdarsteller.
Die Sache ist die: Männer wie Brad Pitt, Ben Affleck oder Matt Damon haben in Hollywood sehr wenig zu verlieren, wenn sie ihren Mund aufmachen. Viel weniger als die Frauen, die ihr Schweigen gebrochen und öffentlich über Weinsteins Verhalten gesprochen haben. Frauen, die belästigt oder vergewaltigt wurden, müssen immer damit rechnen, dass ihnen nicht geglaubt wird. Auch deshalb hat das System Weinstein so gut funktioniert: Die Frauen hatten Angst. Sie wussten, dass im Zweifelsfall sie diejenigen wären, die auf der Anklagebank säßen, die sich rechtfertigen müssten. Vorwürfe von sexueller Belästigung und Missbrauch können der Karriere eines Mannes schaden – sie müssen es aber nicht. Siehe Roman Polanski, Woody Allen, Casey Affleck. Der beste Beweis dafür sitzt im Weißen Haus.
Die eigene Komplizenschaft begreifen
Der Comedian Seth Meyers fand in seiner Show passende Worte zum Fall Weinstein: „Das sollte kein parteiisches Thema sein. Es erfordert von uns allen, dass wir unsere Meinung sagen und uns selber fragen, was wir tun können, um es anzusprechen.“ Er rief Männer dazu auf, das Wort zu ergreifen und sich mit ihrer Komplizenschaft in dem System zu befassen, welches es zulässt, dass diese Dinge passieren.“
Denn letztendlich geht es nicht um Weinstein – nicht nur. Es geht darum, wie Frauen zum Schweigen gebracht werden. Und darum, dass Männer nur dann zu wirklichen Verbündeten werden können, wenn sie ihr Schweigen brechen. Nicht nur in Hollywood.