Books that saved & shaped my life //
Mit Paulina Czienskowski

23.10.2017 Buch

Weil ich immer wieder über Paulina Czienskowskis Artikel stolpere und ebenjene mit Genuss lese, bei der ZEIT etwa, im ZEIT Magazin, im wunderbaren Das Wetter, bei BLOCK oder in der Berliner Morgenpost zum Beispiel, fragte ich mich neulich: Was liest denn so ein kluges und charmantes Köpfchen eigentlich selbst, welche Bücher haben die 27-Jährige wohl geprägt und begleitet oder vielleicht sogar zum Schreiben gebracht? Genau das verrät die Charlottenburgerin uns heute in der neuesten Ausgabe „Books that shaped & saved my life„.

Aber zunächst ein kleiner Schwank aus Paulinas Leben, zum Kennenlernen, Gernhaben und Staunen:

(Bild im Header: © Charlott Cobler, unten: privat)

 

Paulina studierte zunächst Kunstgeschichte und Germanistik, bevor sie sich einem Volontariat an der Axel-Springer- Akademie, bzw. bei der Welt/Welt am Sonntag verschrieb. Seit zwei Jahren schon ist all das aber geschafft und passé, als freie Journalistin und Autorin treibt die junge Dame mit einem Hang und Händchen für Porträts über Politiker, Thetaer- oder Popstars jetzt schon ihr freischaffendes Unwesen, im besten aller Sinne wohlgemerkt. Und als sei das nicht schon genug, wird derzeit außerdem an einer fiktiven Geschichte gearbeitet. Dazu dann bald hoffentlich mehr. In der Zwischenzeit empfehle ich euch Paulinas neuste Nachtkolumne „Nachtschicht“ in der Berliner Morgenpost, mit der sie endlich auch ihren (nicht schwerwiegenden, aber feucht-fröhlichen) Alkoholkonsum rechtfertigen kann. Wo bleibt denn da eigentlich noch Zeit zu lesen, fragt ihr euch jetzt sicher, aber Obacht! Neulich hatte Paulina schlimmen Liebeskummer. weshalb all die ausgedachten Orte in Büchern ihr zum Weg heraus aus der Misere wurden. Nur beim Lesen kann sie wirklich abschalten und sich in fremden Welten verlieren, damit aufhören, ständig bloß in der eigenen zu versumpfen. Sprache liebt sie, weil ebenjene so wahnsinnig viel transportiert, manchmal schon mit einem einzigen Wort. Vielleicht mag sie deshalb beinahe jeden Menschen gern, der es schafft, Gedanken zu formulieren und teilen, in dessen Weise sich auszudrücken irgendeine Art von Besonderheit mit schwebt. Achso, in Paris war Paulina auch schon, zum Arbeiten, ein ganzes halbes Jahr, auch, weil es im Winter nunmal nichts Besseres gibt, als mit Käse, Wein und Zigarette auf der Terrasse unter Heizstrahlern zu sitzen. Berlin (ihre Heimatstadt) ist, so Paulina, aber auch keine schlechte Wahl: Paris Bar bis morgens, am liebsten mit Ricarda Messner, Kat KaufmannAlbertine van Iterson und danach dann eine Pommes mit Sauce Bernaise. Herrlich, Paulina, genau wie deine Texte.

 

 

Und los gehts, erzähl mal, Paulina – welche Bücher sind denn nun die Allerbesten?

„Das Dreißigste Jahr“, Ingeborg Bachmann

Immer wenn ich Ingeborg Bachmann lese, will ich so schreiben können wie sie. Dann werde ich neidisch und bin traurig, weil ich ja weiß, dass mir das niemals gelingen wird. Auch in ihrem Buch „Das dreißigste Jahr“ mit sieben Erzählungen begegnen einem so wahnsinnig viele gute Sätze. In meiner liebsten begleitet man einen Mann durch sein dreißigstes Lebensjahr. Bachmann schreit mit leisen Worten grundlegende Lebensfragen in nur wenigen Zeilen heraus, die so viel beinhalten, dass sie manchmal fast zu platzen drohen. Sie erzählt von der Positionierung dieses Mannes in seinem Leben. Liebe, Freunde, Vergangenheit, Beruf, Familie. Wie, wo was? So wie ich fragt auch er sich, wo er sich in dieser einen Welt, in der wir leben, eigentlich genau befindet. In dieser so vielschichtigen, die er, wir alle!, nie in ihrer Ganzheit begreifen werden.

 

[typedjs]„Er ist, wie alle, nicht gut vorbereitet; er weiß nur den geringsten Teil und jeder weiß ja nur einen allergeringsten Teil von dem, was vorgeht.“[/typedjs]

 

„Fänger im Roggen“, J.D. Salinger

Die Ausgabe in meinem Regal ist eine von 1962. Meine Mutter hatte damals, als sie den Roman als junges Mädchen dann einige Jahre später las, mit bauchigen Buchstaben ihren Namen mit Ausrufezeichen reingeschrieben. Die Seiten sind knitterig und vergilbt. Ich mag es, das Verlebte in den Händen zu halten. Den Roman kann ich in jedem Alter und immer wieder lesen. Ein Klassiker, Coming-of-Age in Bestform.

Holden Caulfield, ein verballerter College-Student, ein Einzelgänger, der sich gegen die Erwachsenenwelt und elendige Konformität der Gesellschaft stellt. Einfühlsam erzählt und doch auch ziemlich brachial. Salinger nämlich benutzt schnodderigsten Jugendslang, schreibt drastisch, wie man eigentlich nur spricht. Hinter diesen simpelsten Sprachcodes versuche ich jedes Mal wieder das Komplexe, Versteckte, den Tiefgang zu entdecken.

„Ernst Jandl: Liebesgedichte“

Neulich haben ein Freund und ich uns gegenseitig eine Geschichte erzählt, die wir uns in diesem Moment gemeinsam ausdachten. Einer schrieb, dann der andere und immer so weiter. Irgendwann zitierte er einen meiner Sätze und schrieb, dass der ihn an Jandl erinnern würde. Da fiel mir dieser sagenhaft gute, österreichische Dichter aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder ein. Ein guter Mann! Einer, der es zu verstehen wusste, Phänomene wie die Liebe in gewisser Weise zu dekonstruieren und damit die grundlegende Sinnhaftigkeit davon aufzublättern – abstrus, merkwürdig, prekär. So wie die Liebe eben ist.

meine liebe

ist der Schmerz einer zeitweisen

abwesenheit von dir.

meine liebe

ist das lachen beim Zeitweisen

wiedersehen mit dir.

meine Liebe

ist das aussagen unbedeutender

worte vor dir.

meine Liebe

ist der zeitweise ungläubige thomas

in mir.

 

„Und Nietzsche weinte“, Erbin D. Yalom

Eine Geschichte, die im Wien des Fin de siècle spielt. Die Protagonisten: die schöne Lou Salomé, Nietzsche und Josef Breuer, Arzt und Mentor Sigmund Freuds. Man wird darin in heftige Rededuelle zwischen dem ruhigen, einfühlsamen Breuer und dem verschlossenen, verletzlichen Nietzsche gesogen. Aus Distanz wird hier Nähe – muss sie werden. Denn Breuer erkennt, dass er Nietzsche nur heilen kann, wenn er diesem erlaubt, auch ihm zu helfen. Es zeigt, wie wichtig eine rückhaltlose Offenheit mit seinem persönlichen Innersten ist. Die ehrliche Reflexion tiefster Verworrenheit als Schlüssel, um zu verstehen und verstanden zu werden.

„Die Geschichte von Blue“, Salomonica de Winter

Der Titel ist bekloppt, finde ich. Dabei sind Titel ziemlich wichtig. So wie ein hübsch gestaltetes Etikett auf einer Weinflasche. Wobei auch das manchmal täuscht und nicht immer gleich gute Qualität bedeutet. Den Roman der damals 17-jährigen Autorin habe ich trotz des blöden Titels jedenfalls in nur einem Tag gelesen. Und ich lese normalerweise seeeehr langsam.

Ich mag Geschichten wie die über das Mädchen namens Blue. Etwas irre, nicht ganz fassbare und gleichermaßen kluge Wesen, die immer wieder überraschen in ihren Gedankengängen, den inneren Monologen. Man begleitet dieses junge Mädchen durch ihre Fantasiewelt, die sie als vollkommene Wahrheit ausgibt, immer mit dem direkten Blick durch ihre etwas verworren ins Leben schauenden Augen.

„Blaupause“, Theresia Enzensberger

Die Autorin ist eine Freundin von mir. Aber das ist ganz sicher nicht der einzige Grund, weshalb ich ihr Erstlingswerk hier erwähne, das erst vor wenigen Monaten erschienen ist. Denn die Geschichte über Luise Schilling, eine junge Bauhaus-Studentin, ist so feinsinnig und vielschichtig erzählt, mit so viel Sensibilität in den einzelnen Gedanken und der Wortwahl, dass ich Theresias Debüt nur mögen kann.

Aktuell heute wie damals geht es darin um versteckten Sexismus an Walter Gropius’ Bauhaus. Gedanken, mit denen man als Frau leider noch immer viel zu viel zu tun hat, wie man nun auch wieder in der öffentlichen Debatte zum Thema erleben kann. Außerdem mag ich die Epoche des Neuen Bauens sehr – Formen, Farben, neuartige Gedankenansätze. Das rebellische Loslösen von all dem, was war, die Zeit zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg hat mich schon während meines Studiums in Kunstgeschichte beeindruckt und lange beschäftigt. Zeiten des Umbruchs.

2 Kommentare

  1. Julia

    „Bachmann schreit mit leisen Worten grundlegende Lebensfragen in nur wenigen Zeilen heraus, die so viel beinhalten, dass sie manchmal fast zu platzen drohen.“ Schöner Satz. Hat mich dazu verleitet, im Bücherregal nochmal Bachmanns Erzählungen zu suchen. Yalom klingt auch spannend, danke für den Tipp.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Mehr von

Related