Vor etwa zwei Wochen fand ich mich auf dem Sofa einer Freundin wieder, im Schneidersitz, vor mir ein Stillleben aus sprudelnden Sektgläsern, zerbröselten Chips und einer Packung Tabak. Wir schauten „Bad Moms“, erst zögerlich und auch wenig peinlich berührt ob der befürchteten Hollywood-Stumpfheit, dann aber, nach einigen Szenen schon, voller Innbrunst. Nicht, weil der Film auch nur ansatzweise empfehlenswert gewesen wäre, sondern weil wir mit einem Mal von einem Gefühl grenzenloser Solidarität gegenüber der Protagonistin, gespielt von Mila Kunis, übermannt wurden. Weil wir dachten: JA! DANKE! Und: Scheiß drauf. Auf fingerzeigende, helikopternde, missgünstige, permanent vergleichende und kommentierende Supereltern, die sich, darauf verwette ich meinen Allerwertesten, am liebsten selbst einen Orden für außergewöhnliche Fürsorge verleihen würden. Für das „Besser sein als die anderen“, das „reifer sein“ und den akkurat organisierten Kinderhaushalt. Ihr kennt das, zumindest viele von euch, das weiß ich. Nicht wenige von uns sind nämlich „Bad Moms“, im besten aller Sinne und mit allerlei Vorzügen. Dass wir cooler, lässiger oder gar grundsätzlich hervorragend sind, würde ich trotzdem niemals behaupten, es gibt ja schon genug eingebildete Superheld*innen auf der Welt. Aber wir sind eben auch nicht schlechter. Obwohl man uns das gerne glauben lässt. Ich jedenfalls kann ein Lied von all den Situationen singen, in denen ich mir sicher war, eine kleine gefühlte Überlegenheit in meinem Gegenüber zu bemerken.
Auf dem Spielplatz zum Beispiel, immer dann, wenn mein Fruchtsnack-Riegel aus dem Supermarkt gegen die mundgerecht in Blumenform geschnitzten Obsthappen aus originaler Tupperware abstinkt, wenn wir uns mit fremden Namen beschriftete und kompostierbare Schaufeln und Förmchen leihen müssen, weil ich vergessen habe, die Sand-Ausrüstung aus Plastik mit ins Büro zu schleppen aus dem ich pünktlich zu Schließzeit der KiTa antanze und mein Sohn trotzdem der Letzte ist, weil es sich als liebendes Elternteil schickt, stets ein bisschen zu früh zu sein, wenn ich allein Zuhause bin und eine Folge Peppa Wutz im Fernseher läuft, während ich Fischstäbchen in einer extra Portion Butter anbrate, wenn Lio und ich uns eine doppelte Pommes Rotweiß teilen, während Papi am Nebentisch betont laut darüber spricht, dass der Sprössling aber doch bitte eine ungesalzene Portion bekommen möge, zuckerfrei, weil auf keinen Fall Ketchup, wenn mein Sohn mit nackten Füßen durch Matschepfützen springt, während vorbei spazierende Mütter ihren Kindern erklären, dass das eigentlich strikt verboten sei, wenn mein Kind mich schon nach dem eigenen Nachtisch fragt, ob es aufstehen darf, obwohl alle anderen Teller noch vollbeladen sind und ich schreie „KLAR!“, wenn ich einen Elternabend sausen lassen muss, weil ich nicht in der Stadt bin, wenn ich eine Tasse Kaffee neben der Rutsche schlürfe, während andere Eltern dabei sind, ihre Kinder vor dem sicheren Klettergerüst-Tod zu bewahren, wenn alle Welt die Brut drei Mal pro Woche zur Frühförderung, zum Yoga oder zum trilingualen Sprachkurs bringt, während wir viel lieber Blödsinn machen, wenn ich mit Blicken ermahnt werde, weil ich im Sandkasten nicht schlichtend zwischen jedes Gerangel springe, wenn unsere Lippen im Schwimmbad schon blau werden, aber wir trotzdem nicht aufhören wollen zu rutschen, wenn ich Lio darum bitte, kurz zu warten, weil ich gerade mit meiner Freundin in der Ferne telefoniere, wenn ich abends heimlich rauche, weil jemand 30 wird, wenn ich ein paar Tage Urlaub buche, ohne Kind, wenn wir gemeinsam Dokumentationen über Flughäfen schauen, statt Bob der Baumeister, wenn wir Blumentopf hören statt Rolf Zuckowski oder wenn Lio nach dem Rülpsen stolz wie Bolle „Schulz“ schreit, statt um Entschuldigung zu bitten.
Immer dann fühle ich mich, je nach Tagesstimmung, wie eine Außerirdische in einer perfekten Teletubbywelt, in der sich vermeintlich alles einzig um das Wohlergehen der Kleinen kreist, obwohl es in Wahrheit womöglich vielmehr darum geht, vor dem Urteil anderer zu bestehen, unermüdlich zu performen und stolzen Blickes zu demonstrieren, wie viel Zeit man sich nimmt, wie selbstlos man ist, wie sehr man seine Scheiße im Griff hat. Ich kann meine Scheiße aber nicht immer im Griff haben, nicht unaufhörlich aufopfernd und vernünftig und vorbildlich sein, nicht allumfassend unantastbar. Das kann, glaube ich, niemand. Niemand, der sich selbst auch noch ein kleines bisschen wichtig ist, dem das eigene Bauchgefühl zuweilen mehr bedeutet als Konformitäten, der nicht vergessen hat, wie es einmal war klein zu sein, der stets das Beste für sein Kind, aber eben nicht immer für den schönen Schein will. Jede von uns ist hin und wieder eine Bad Mom. Eine Rebellin, eine Chaotin, eine Egoistin, ein bisschen verpeilt, ein wenig faul oder ganz einfach lustlos. Und nicht jede von uns will einen Preis gewinnen. Die meisten wollen, das hoffe ich jedenfalls, einfach nur glücklich sein. Und genau das funktioniert am besten, wenn wir hin und wieder loslassen, manchmal mit Fertigkuchen fudeln, das Leben genießen und aufhören so zu tun als seien wir perfekt. Oder hättet ihr etwa „perfekte“ Saubermann-Eltern gewollt? Ich nicht.
Meine Mutter ist für mich nämlich nicht deshalb die beste Mama der Welt, weil ich immer ein einwandfreies Chia-Butterbrot dabei hatte. Sondern wegen der gelben mit Herzen verzierten Post-Its, die sie hin und wieder zwischen Brötchen und Käse versteckte und an denen ich nicht nur ein Mal fast erstickt wäre. Wegen der „Blaumach-Joker“, die wir Kinder 1 x pro Quartal einlösen konnten, um uns Spannenderem widmen zu können als der Schule. Wegen der Reisen nach Afrika, trotz Fieber vor dem Abflug. Wegen des gnadenlosen Vertrauens in mich, ohne das ich zwar einen gebrochenen Arm weniger gehabt, aber auch etliche Abenteuer verpasst hätte. Aber vor allem, weil meine Mama für mich immer ein ernstzunehmender, echter, fehlbarer und wunderbarer Mensch mit eigenen Bedürfnissen war, statt immer nur da. Weil sie bis heute das Gegenteil von perfekt ist. Und lieber glücklich als fehlerfrei.
Es hebe also die Hand, wer sich fortan nicht mehr grämen will zu sagen: Ich bin liebend gerne eine Bad Mom.