Brain Blah // Über Harald Martenstein und das Ende der „Girlpower“ Shirts

01.11.2017 Kolumne, Feminismus

Immer Donnerstags muss ich aufpassen, dass ich mir kein Pipitropfen entwischt. vor lauter Kringeln und Lachen und Schmunzeln über die neueste ZEITmagazin-Kolumne von Harald Martenstein. Es ist wahr: Selten muss ich mich so sehr beömmeln, über die Komik und Tragik der Dinge, die der durchaus streitbare Autor und Journalist regelmäßig offenlegt. Auf seine ganz eigene, scharfzüngige Art und Weise. Nicht immer geht er dabei politisch korrekt vor, er liebt das Stilmittel der sprachlich einwandfreien Provokation durch einen stets belustigt anmutenden Unterton, der es Kritiker*innen zuweilen schwer macht, sich für voll genommen zu fühlen. Deshalb habe ich neulich auch viel, viel Ärger bekommen. Verdient? Bestimmt. Irgendwie aber auch nicht.

Martenstein sei im Grunde nämlich so etwas wie ein Mario Barth für Zeitungslesende. Keiner, der dem Feminismus frönt, einer, der hin und wieder sogar regelrecht misogyn daher käme. All das möchte ich einmal so dahin gestellt lassen, weil ich mir gut vorstellen kann, dass die Harald’sche Art des Anstoßens großer Diskurse und des professionellen Aneckens es eindeutig vermag, für Wutausbrüche zu sorgen. Auch ich möchte diesem frechen Teufel gelegentlich den Hals umdrehen. Aber dennoch, bei allem Respekt vor unserer feministischen Mission, bewundere ich diesen alten, privilegierten und weißen Mann (der er nunmal ist und was ihn, für viele ohnehin schon zum Feindbild befördert) für sein enormes Talent, köstliche Kolumnen zu verfassen. So sehr, dass ich mich auf literarischer Ebene gar als Fan outen würde. Vielleicht auch, weil ich nicht denke, dass beim Harald Hopfen und Malz schon verloren ist. Statt zu schweigen, erlaubt er uns Einblicke in das Hirn eines Mannes, der vieles noch nicht verstanden hat. Dennoch rattert es pausenlos. Das ist ja schonmal was! Und manchmal, so leid es mir tut, behält der bärtige Empörer nunmal Recht. Darüber hinaus weiß ich genau, wie schwer es ist, mit der eigenen Kunst niemandem auf die Füße zu treten. Und wie mutig es deshalb bleibt, sich aus der Komfortzone der Gefälligkeit zu befreien. Das tut er, ganz bewusst, sehr regelmäßig. Wie in seinem neuesten Erguss etwa, indem er sich fragt, ob das Ende der Kunst in greifbarer Nähe ist. 

Grundlage für diese steile These ist ein spanisches Gedicht namens „avenidas“, das in großen Lettern an der Südfassade der Alice-Salomon-Hochschule prangt und übersetzt wie folgt lautet:

„Alleen / Alleen und Blumen / Blumen / Blumen und Frauen / Alleen / Alleen und Frauen / Alleen und Blumen und Frauen und / ein Bewunderer.“

Jetzt soll es verschwinden, das fordert die Asta. „Dieses Gedicht (…) anzuschauen, wirkt wie eine Farce und eine Erinnerung daran, dass objektivierende und potentiell übergriffige und sexualisierende Blicke überall sein können.“ Es reproduziere eine patriarchalische Kunsttradition, heißt es im dazugehörigen offenen Brief. 

Man hat jetzt also zweieinhalb Möglichkeiten: Entweder man zeigt sich betroffen und solidarisch mit all jenen, die sich von besagter Lyrik im wahrsten Sinne des Wortes „übermannt“ fühlen, oder aber man belächelt dieses angeblich „selbstgemachte Problem“ voller Unverständnis und ignorantem Schalk im Nacken. Trifft beides nicht zu, sitzt man, wenn man ganz ehrlich ist, vielleicht exakt zwischen beiden Stühlen, weil man versteht, aber trotzdem lachen muss – und nimmt diese Debatte und zugleich Martensteins wenig begeisterte Zeilen zu ebenjenem Konflikt zum Anlass, beide Blickwinkel zuzulassen. Das kann er nämlich, der Harald: Uns Feministinnen am Schlafittchen packen. Und ich finde, das muss nicht unbedingt schlecht sein.

Natürlich muss der Feminismus keinen Spaß machen, er muss sogar richtig nervig sein. Wir müssen das! Sonst kommen wir niemals ans Ziel. Aber er, der Feminismus und auch wir, müssen eben auch Kritik vertragen, hin und wieder, ein wenig Konter einstecken, um nicht abermals in tonnenschwere, humorlose, extreme, unsympathische Muster zu verfallen. Aus einem einfachen Grund: Wir sollten ganz dringend lernen, auch jenen zuzuhören, die noch nicht so weit sind, die nur ganz langsam kapieren. Die Frauenquoten für unfair oder überflüssig und Sexismus für nicht existent halten. Weil wir uns sonst im Kreis drehen und niemanden mehr erreichen außer uns selbst. Wir müssen wieder über uns schmunzeln dürfen, auch, damit es nicht mehr darum geht, wer die bessere Feministin am Tisch ist. Wir müssen sagen dürfen: Ich bin Feministin, aber das hier ist Quatsch! Oder zumindest amüsant. Damit die Diskussion eine offene bleibt. Damit jemand kommen und uns möglicherweise eines Besseren belehren kann. Damit irgendwann alle mitmachen, weil Reden erlaubt, weil Zweifeln möglich ist. Ich zum Beispiel zweifle gerade auch manchmal. Daran, ob ich noch dazu gehören will, wenn überhaupt nichts mehr ok ist, das die Forderungen der Hardliner*innen möglicherweise ein ganz klitzekleines bisschen infrage stellt. Satire etwa! Witze am Pizzatisch. Kunst. Poesie. Überspitzte Kolumnen. Das liebevolle Herausstellen von kleinen Unterschieden zwischen Männern und Frauen, die nicht gesetzt sind, aber durchaus existieren können, sogar in meiner Realität, wenn mein Sohn ausschließlich Unfälle mit Bussen und Hubschraubern baut, während die Tochter meiner besten Freundin gänzlich unbeeindruckt die Babypuppe wickelt – trotz genderneutraler Erziehung. Diese objektive Feststellung, die ich mir zuvor niemals hätte erträumen lassen, bedeutet allerdings keinesfalls, dass ich ruhig bleibe, wenn jemand sagt „Du rennst wie ein Mädchen.“ Ich werde dann nicht nur laut, sondern auch rot und ziemlich sauer. Das eine schließt das andere nämlich nicht aus.

Man darf, man kann Feministin mit Herz und Seele sein und trotzdem hin und wieder lachen, nicht nur Mensch, sondern auch Frau sein und sogar jemandes Arbeit gut finden, der manchmal auf dem Holzweg unterwegs ist. Ich behaupte ja nicht, dass ich den Martenstein mögen würde. Aber viele seiner geschriebenen Worte. Und da kommen wir schon zum nächsten bedeutungsschwangeren Wort: Girlpower. Das wiederum steht derzeit nämlich auf nicht wenigen T-Shirts geschrieben. Einfach so, oft. Manchmal auch mit Sinn und Verstand. Mir soll das Recht sein, aber es gibt so viele wunderbare Alternativen, die auf Exklusion verzichten. Die viel mehr fordern. Nämlich, dass wir nicht vornehmlich Girls, sondern längst Frauen und am allermeisten Menschen sind. Dass Feminsimus für alle ist. Dass die Forderung nach Gleichberechtigung sogar einen alten weißen Sack mit einbeziehen sollte. Und dann dürfen wir vielleicht auch wieder ganz leise sagen, dass ein Bewunderer wahrlich nicht mit einem sexistischen Patriarchen gleichzusetzen ist.

23 Kommentare

  1. Susanne

    Endlich! Danke für deine ehrlichen Worte. Ich muss so oft über Harald Martenstein lachen und mich dafür vor meinen Freunden rechtfertigen. Ich fühle mich übrigens auch als Feministin durch und durch. Jedenfalls sagt sogar mein abgeschlossenes Studium in Gender Studies 😉

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  2. Anne Kaffeekanne

    Ich weiß so sehr, was du meinst. Ich habe früher wie du Girlpower Shirts getragen und war so stolz auf alles. Manchmal habe ich mich aber gefragt, ob es langsam Zeit für einen weiteren Schritt wird. Nicht, dass Girl Power nicht wichtig wäre und ich denke mal, das findest du auch nicht. Die Frage ist nur, was das (weniger tief ins Thema eingetauchte) Gegenüber bei dieser Aufschrift denkt. Viele raffen ja gar nicht, dass es darum geht, dass MENSCHEN gleiche Rechte haben müssen. Also auch der alleinerziehende Papa. Oder der schwule beste Freund. Schwer zu erklären, aber ich glaube: I feel you.

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  3. Ira

    Natürlich respektiere ich deinen Standpunkt und möchte dich nicht dafür in Frage stellen, dass du Martenstein lustig findest.
    Doch trotzdem habe ich genau die von dir angesprochene Kolumne gelesen und alles in mir hat sich empört, dass ich mir sowas von DEM anhören muss. Denn du, Nike, kannst gern der Meinung sein, dass wir alle mit einbeziehen müssen, auch alte und weiße. Aber die feministische Kacke, Pardon, ist zu sehr am dampfen, als dass ich mir entspannt Satire von so einem anhören kann und dann weiter versuche, etwas zu ändern, ein Bewusstsein zu schaffen, nicht meinen Humor zu verlieren. Ich, als Frau und Feministin habe mich so gefühlt.
    Deswegen stört mich dein Text ganz persönlich, weil ich nicht sehe, warum du öffentlich für ihn einstehst. Natürlich kannst du das auf privater Ebene tun (du kannst natürlich sowieso alles tun, das darf dir niemand vorschreiben) aber als Feministin finde ich, da gäbe es genug Menschen, die das viel nötiger hätten, bzw. wo mehr Menschen davon profitieren könnten. Du hast dir aber Martenstein ausgesucht, du nennst ja auch die Gründe. Und dann aber auf einen Fortschritt zu pochen, den du nicht siehst, finde ich paradox, da ich genau diesen Mangel an Bewusstsein und die Krise im Feminismus nicht irgendwelchen Hardcore Aktivist*innen zuschreibe – die tun wenigstens etwas. Aber Martenstein nicht, verarschen kann ich mich alleine, dafür brauche ich keinen Mann in einem Magazin.

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  4. Magdalena

    Liebe Nike,
    dass du bei Martenstein lachst, macht dich natürlich nicht zur schlechten Feministin, wie du in deinen Stories (vermutlich aufgrund der Nachrichten, die ich erreicht haben) ironisch anmerktest. Ich weiß, was du meinst, und trotzdem stieß mir diese Aussage sauer auf, weil du dadurch suggerierst, dass es DEN Feminismus gibt, der eben Menschen, die über Martenstein lachen, als Feminist:in disqualifiziert. Für mich bedient so eine Aussage genau den Tenor, der mich schrecklich nervt und den ich in der feministischen Diskussion so destruktiv finde: DER Feminismus ist es, der Hausfrauen und Vollzeitmüttern vorwerfe, Lebensmodelle von vorgestern zu bedienen, DER Feminismus nervt, weil er jedes Wort auf die Goldwaage legt. Weil man keine Komplimente mehr machen darf und überhaupt: Anstrengend! Frustiert! Hässlich! Das ist so undifferenziert und zwingt mich als Feministin ständig dazu, mich für Meinungen und Ansichten rechtfertigen zu müssen, die ich so nicht vertrete, für die ich aber Ansprechpartnerin zu sein scheine, weil ich mich selbst als Feministin bezeichne.

    Ich finde, Feminismus und alle, die für ihn einstehen, müssen schon genug, ja, eigentlich fast nur Kritik ertragen. Rücksicht darauf zu nehmen, bei Menschen, die nicht so weit sind, nicht humorlos zu erscheinen, das kann sich Feminismus (und die vielen Menschen, die auf seine Bestrebungen und Erfolge angewiesen sind/wären) meiner Ansicht nach einfach nicht leisten. Und ohne Zweifel, wir sollten immer weiter denen zuhören, die noch nicht so weit sind und nicht aufhören, den Dialog zu suchen. Martenstein allerdings, hat sich meiner Ansicht nach bewusst dafür entschieden, nicht so weit sein zu wollen.

    Ich erinnere mich noch an einen Beitrag von ihm, in dem er Geflüchten Deutschland erklären sollte. Erst erklärte er wortreich die ihm zur Verfügung stehenden Zeichen für viel zu gering, für einen ekelhaften Seitenhieb gegen Frauen* reichten die Zeichen aber allemal: “ Wir Deutschen sind ungerecht, vor allem zu den Frauen. Diese armen Geschöpfe.“ Nein, von Martenstein muss man kein bisschen Konter einstecken.

    (der Vollständigkeit halber der Link zur Ausgabe der Kolumne, auf die ich mich im letzten Absatz beziehe: http://www.zeit.de/zeit-magazin/2015/22/harald-martenstein-deutsche-deutschland)

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  5. Diane

    Über den habe ich mich vor Jahren mal aufgeregt als er behauptete, in den Gender studies wird vermittelt, dass es das biologische Geschlecht nicht gibt oder so ein Quatsch. Aber seitdem fange ich seine Kolumnen allerhöchstens kurz an und breche dann vor Langeweile ab. Ich empfinde ihn auch nicht als bedrohlich für den Feminismus, weil ich ihn für relativ irrelevant halte. Der Typ ist für mich ein lauter, anstrengender Onkel, der es nie gelernt hat zuzuhören und am lautesten über seine eigenen Witze lacht, die immer wieder in die gleiche Kerbe schlagen. Hab nie verstanden warum das Zeit Magazin sich das antut, nicht zuletzt weil ich mir vorstelle, dass er einen bei der Weihnachtsfeier stundenlang darüber zutextet, dass es den gender pay gap nicht gibt. Solche Männer sind nicht schlimm, solche Männer sind durch ihre stoische Unreflektiertheit einfach unendlich langweilig.

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    1. Sabine

      Ich komme Wochen zu spät, aber ich danke Dir, Diane, für diesen Kommentar. Ich hätte nicht gewusst, wie ich meine Gedanken zu Martenstein besser hätte ausdrücken sollen. Als er anfing sich immer mehr zu widersprechen. Was ich allerdings nicht glaube, ist, dass er auf Weihnachtsfeiern über den Gender Pay Gap referiert. Früher vielleicht mal. Heute regt er sich über die vielen Radfahrer auf, die ihm das Autofahren in Berlin so schwer machen.

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  6. S

    Da sagst du manches, das ich gamz richtig finde, und manches, das finde ich auch ganz falsch. Weil mir die Debatten um den Feminismus sehr am Herzen liegen, mag ich es dir kurz schreiben. Wuerden wir gemeinsam in einer Bar sitzen, koennte ich dich jetzt kurz anlaecheln und einen lieben Tobfall waehlen, ich mein das naemlich bloss als Diskussionsbeitrag und micht als harsche Kritik an deine charmanten und klugen Gedankengaengen.

    Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum du „Girlpower“ problematisch findest. Ich glaube vor allem nicht, dass „Feminismus fuer alle da ist“. Klar, fuer alle- aber auch fuer niemanden. Vor allem ist er fuer alle anstrengend, glaub ich. Und das ist gut so.
    Es geht natuerlich um „Girlpower“ (es heisst ja Feminismus und nicht Humanismus, der ist auch ganz toll und wichtig, aber schlicht und einfach nicht das gleiche!) Fuer Maedchen und Frauen kann das anstrengend sein, weil stark sein nicht immer leicht ist. Weil man sich manchmal eklig und unhuebsch fuehlt, wenn man keinen Schoenheitsidealen mehr entsprechen will. Wenn man sich aus vorgegebenen Verhaltensmustern und Lebensplaenen emanzipiert. Und wenn man zu den lieben Maennern um sich eine Distanz spuert, weil es da die grosse abstrakte Gruppe der Frauen gibt, mit der man sich identifiziert. Fuer die Maenner ist der Feminismus auch ein bisschen bedrohlich, und er kuemmert sich nicht so um sie. Klar: Emanzipierte Frauen sind grosse Klasse und tun auch den maennlichen Genossen gut. Aber das sind ja die einzelnen Frauen, nicht der Feminismus. Der ist einfach ‚Girlpower“. Dass es den gibt, den „Girlpower“, das will ich meinem Tochterkind mal beibringen.
    Hoffentlich war das jetzt nicht zu wirr 😉

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  7. LaLo

    Danke für den kontroversen Text! 🙂

    Zum Thema „genderneutraler Erziehung“ würde ich aus wissenschaftlicher Perspektive gern anmerken, dass diese nicht existent ist. Es gibt schlicht keine genderneutrale Erziehung!

    Wir haben jedoch die Möglichkeit unsere Kinder gendersensibel zu erziehen.

    Das bedeutet im Gegensatz zu dem Begriff der Genderneutralität, dass wir reflektieren, dass die vermeintlichen Geschlechterdifferenzen ein Produkt des hegemonialen Diskurses darstellen, in den auch wir selbst eingebettet sind. Wir gehen also nicht davon aus, was „genderneutrale Erziehung“ suggeriert, dass wir uns über den Diskurs erheben können und aus einer überstehenden Position heraus „neutral“ erziehen können. Hier würde sich ja auch erst einmal die grundlegende Frage stellen; Was ist neutral? Das ist vermutlich kaum/nicht zu beantworten. Einer diskurstheoretischen, gendersensibelen Position hingegen ist folglich die Unmöglichkeit inhärent, dass Eltern/Erzieher*innen außerhalb der Verhältnisse, die auch sie hervorbringen, agieren können. Ihre Handlungsmacht setzt erst ein, wenn sie um ihre eigene „Zwangsdiskursivität“ wissen. Aussagen von Eltern/Erzieher*innen wie, „ich behandle Mädchen und Jungen gleich“, negieren den Tatbestand, das Geschlecht in sämtlichen Bereichen des Lebens eine Rolle spielt. Folglich ist für Eltern/Erzieher*innen ihr Wissen um die eigene Eingebundenheit von immenser Bedeutung. Hieraus ergibt sich jedoch keine „fatalistische Resignation, […] sondern immer auch die Anerkennung, dass den komplexen Beziehungen zwischen Diskurs und Subjekt Freiheitsgrade“ vorbehalten sind. Eltern, Erzieher*innen und Kinder sind schließlich nicht ausschließlich „Diskursvollzieher, sondern selbsttätig handelnde „Ko-Konstrukteure“ . Daraus ergibt sich, dass sie nicht gänzlich determiniert sind, sondern Potenzial haben, Geschlechternormen subversiv zu wiederholen und durch „radikale Vervielfältigung“ zu verschieben, womit sich die „kulturellen Konfigurationen von Geschlecht und Geschlechtsidentität“ multiplizieren könnten. Diese vervielfältigten Formen könnten sich im hegemonialen Diskurs manifestieren und somit die Unnatürlichkeit der bestehenden Verhältnisse zum Vorschein bringen. Jedoch muss festgehalten werden, dass Parodie nicht grundsätzlich subversiv oder politisch effektiv ist, denn „es gibt keinerlei Garantie, dass ein Bloßstellen des naturalisierten Status […] zu [seinem] Umsturz führen wird“. Allerdings besteht darin die Möglichkeit zur Veränderung innerhalb der derzeitigen Strukturen, in denen „kein utopisches Jenseits“ postuliert wird.
    Aufgrund dessen ist es für Erzieher*innen/Eltern von immenser Bedeutung, dass sie um ihre differente Umgangsweise mit Jungen* und Mädchen*, um ihr eigens „Doing-Gender“ und um das „Doing-Gender“ ihrer Gemeinschaft (beispielsweise im Kindergarten) wissen, doch wird dieses Wissen nicht als defizitär begriffen. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass gerade dieses Wissen eine geschlechtersensible Pädagogik überhaupt erst ermöglicht. Im Bezugsraum Kindergarten wird demgemäß eine Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der eigenen Person seitens der Erzieher*innen gefordert. Es ist prioritär, dass Eltern/Erzieher*innen, die Kinder (wie auch sich selbst) als ein im „Werden begriffenes Subjekt“ anerkennen und demzufolge kein abgeschlossenes, kohärentes Subjekt einfordern. Darüber hinaus sollten Eltern/Erzieher*innen in der Lage sein, das eigene So-Sein sowie das eigene „Doing Gender“ in Beziehung zum So-Sein bzw. zum Doing-Gender der Kinder zu setzen. Die Förderung von Subjektivitätsdenken der Kinder ist von immenser Bedeutung, sodass diese „den „normativen“ Kern ihres Geschlechts in ein mögliches, aber nicht notwendiges Veränderungsfeld von Verhältnisverhältnissen“ entfalten können. Den Kindern sollte also nicht das „Trugbild der Souveränität“ des Subjekts vermittelt werden. Das Verlangen nach Herstellung einer „einheitlichen kohärenten Identität“ wird um die Möglichkeit ergänzt, Unbeständigkeiten der eigenen Persönlichkeit zu akzeptieren. Denn „indem man sich als „Viele““ betrachtet, kann man die Welt aus mehr als einer Position und Perspektive interpretieren und damit die komplexe Verflechtung der Wirklichkeit in sozialer, emotionaler und kognitiver Hinsicht bewältigen“ .

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  8. Rosa

    Alle, einfach alle ISMEN sind scheiße!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

    Und Formulierungen, wie sie hier wiederholt auftreten, die unterstellen, es gäbe Menschen die einafch noch nicht „soweit wären“, sprich sich nicht zum Feminismus bekennen/ seine Notwendigkeit/ Aktualität nicht benennen und erkennen finde ich zutiefst problematisch! Alle die, die dem Feminismus nicht fürsprechen haben einfach was noch nicht gerafft oder was? Das ist doch zum zu kotzen. Das ist für mein Empfinden purer Populismus. Ich bin „junge“, arbeitende, studierende Mutter in einer festen Partnerschaft mit dem Vater meines Kindes, selbstverständlich betreffen und belasten mich Problematiken und Zuschreibungen die der Feminismus sich zueigen gemacht hat. Aber!! ich kann mich mit dem oder irgendeinem Feminismus in keinster Weise identifizieren und sehe hierin bestimmt nicht die Lösung meiner oder irgendeiner Situation. Ganz im Gegenteil. Der Feminismus (wie jeder andere ISMUS) schreit vorallem sehr laut ICH ICH ICH, dabei müsste es um Selbstreflexion, um Respekt, um das Überdenken der eigenen Person gehen. Davon sollte niemand, keine Frau, kein Mann, keine Chefetage … und auch kein „alter weißer Sack“ ausgeschlossen werden.

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  9. Juuuuuuuu

    Ich freue mich über die Diskussion unter diesem Beitrag! Bei dem ganzen stupiden Internet-Brei in dem sich entweder alle lieb haben oder 100% haten, wir gestellte Interior-Posts liken, irrelevante Katzenbilder verschicken und die Herzchen nur so fliegen, findet hier endlich eine ernsthafte Diskussion statt. Die verschiedenen Sichtweisen finde ich äußerst spannend – selbst die Wissenschaft hat Einzug in die Kommentare gefunden. Wenn es das ist, was Martensteins Texte provozieren – ein spannender, konstruktiver Diskurs, in dem verschiedene Sichtweisen auf die Problematik dargelegt werden – dann bitte mehr davon.

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  10. Rebecca

    ja der Martenstein, der will doch nur spielen, ist doch alles nur lustig gemeint, ist halt Satire, haha, sei doch mal nicht so humorlos…

    Dass der Mann nicht nur ein ewiggestriger Macho ist, sondern auch in anderen Bereichen völlig reaktionär am rechten Rand herumwabert, dem sei dieser Artikel von Medienjournalist Stefan Niggermeier ans Herz gelegt.
    https://uebermedien.de/12163/harald-martenstein-macht-luegenpresse-vorwuerfe-salonfaehig/

    Ganz im Ernst Nike, ich finde sonst hast du so schlaue Dinge zu sagen, aber Martenstein verteidigen, nee sorry, da bin ich echt raus.

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    1. Anne Kaffeekanne

      Aber darüber schreibt Nike ja gar nicht. Sie bezieht sich hier ja auf Martenstein als misogynen Anti-Feministen. Und darauf, dass sie von Feministinnen Schelte dafür bekommt, weil sie manchmal schmunzeln muss, wenn sie seine Kolumnen über SOLCHE Themen liest. Aufhänger war ja der Ärger, den sie dafür bekommen hat. Sie sagt ja nicht, dass Martenstein ein netter Typ ist, sie sagt, er ist ein streitbarer alter Sack. Das macht für mich deutlich, dass sie mit vielem eben nicht überein stimmt, aber in diesem Fall, wenn es um das Gedicht geht z.B. schon. Oder, Nike? Sie legt eher das Problem des heutigen Feminismus dar, der aufpassen muss nicht wieder von Hardlinern zu einem Außenseiter-Thema gemacht zu werden.

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      1. Rebecca

        Auch wenn sie sagt, dass sie ihn streitbar findet, outet sie sich als Fan. Und sorry, dass kann ich bei diesem Mann und seinen propagierten Ansichten nicht einfach so stehen lassen.
        Es sind übrigens genau die Kolumnen von Martenstein, die Feminismus in Zusammenhang mit hässlich, frustriert, hysterisch, untervögelt stellen… Find ich super, dass dem hier so ein großer roter Teppich in Form von Aufmerksamkeit ausgerollt wird.

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    2. Nike Jane Artikelautorin

      Liebe Rebecca, ich verstehe ganz genau, was du meinst. Und ich sage selbst: Ich will dem manchmal den Hals umdrehen. Zum Beispiel wegen Kolumnen wie der von dir angebrachten. Pfuibah. Wirklich. Ich hoffe, das kannst du dir denken. Ich hätte deutlicher machen müssen, dass es mir hier mehr um den Stand des Feminismus geht als um den Martenstein. Und diese Diskussion, die auf meinem Instagram-Profil entfacht wurde, weil ich diesmal dachte und lachte „Blumen! Alleen! Bewunderer! Ach, kommt schon!“ war Anlass, über den Ist-Zustand der 4. Welle nachzudenken. Ich glaube nämlich, es ist ein großes Glück, dass dieser Kampf für Gleichberechtigung nun auch popkulturell relevant geworden ist, weil so Menschen erreicht werden, die zuvor vielleicht gesagt hätten: Nein, danke! Brauche ich nicht! Und weil mir das Thema so sehr am Herzen liegt, weil ich mir auch im echten Leben ständig den Mund fusselig reden muss, bin ich in momentan in großer Sorge, dass die Mission des Feminismus wieder vom gleichen Schicksal überrollt werden könnte wie damals. Da war er wieder da und wichtig und präsent und plötzlich wurden die Mengen erneut gespalten. Weil so viele Hardliner*innen gewettert haben (zu Recht, aber ohne andere Sichtweisen zuzulassen). Ich habe so viel mit meiner Mutter darüber gesprochen und entdecke erschreckende Parallelen, auch wenn natürlich längst eine neue Zeit angebrochen ist. Das Ende vom Lied war jedenfalls, dass viele Menschen sich zum Beispiel nicht mehr mit einer Alice Schwarzer identifizieren wollten, die eigentliche Botschaft vergaßen und am Ende genervt zurückblieben, weil die Wahrnehmung zu einer falschen, extremen wurde. Es herrschte eine neue Anti-Haltung. Deshalb denken heute noch immer viele Leute: Oh Gott, Feminismus, lass mich in Ruhe! Und das kann ich immerhin nachvollziehen, weil Extreme so schwer zu verdauen (wenn auch oft wichtig) sind. Verstehst du, was ich meine?

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      1. Nike Jane Artikelautorin

        Achso, und nochwas: Vermutlich habe auch ich eine falsche Wahrnehmung von Martenstein. Weil ich natürlich nicht ALLES von ih, gelesen habe und vielleicht auch, weil er einst bei einer Lese- und Diskussionsrunde in Berlin und in persona einen ganz anderen Ton eingeschlagen hat (auch nachzuhören im Podcast von Feuer & Brot https://soundcloud.com/feuerundbrot/feuer-und-brot-2). Weil ich ihn reden höre, wenn ich seine Texte lese. Weil ich den Eindruck hatte, dass er vieles eben doch verstanden hat. So wie am Ende der von mir hier verteidigten Kolumne, in der er etwa kurz, aber ganz klar Stellung zu Weinstein bezieht.

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  11. Rebecca

    Liebe Nike,

    danke dir für deine Antwort. Wir sind auch gar nicht so unterschiedlicher Meinung, was den Feminismus angeht. Auch ich habe bei der Diskussion um das Gedicht mit den Augen gerollt und gedacht „Herrje Leute, es gibt gerade echt größere Probleme“ und stimme dir absolut zu in der Sorge, dass der Feminismus einerseits gerade allgegenwärtig ist, aber doch mit einer immer stärker werdenden Anti-Haltung zu kämpfen hat. Ich glaube, die Männer merken so langsam, dass ihnen die Gegenargumente ausgehen, aber auch, dass sie sich ändern müssen. Und Veränderungen sind anstrengend und warum sollten sie sich ändern, läuft doch für sie bestens.
    Man sieht es auch bei den Missbrauchsfällen. Die Frauen trauen sich bewundernswerter Weise, endlich davon zu berichten, was sie alles aushalten müssen, die „Me too“-Kampagne erreicht riesige Ausmaße, aber trotzdem bin ich zynisch. Denn nach dem, was sich wirklich ändern müsste, fragt (hoffentlich nur bisher)niemand. Es erinnert mich leider an die deutsche „Aufschrei“-Debatte, die letztendlich verpufft ist und wir immer noch im selben Schlamassel stecken. Deswegen vielleicht auch meine etwas emotionale Reaktion: Diese Themen sind so wichtig, warum nutzt man dann Martenstein dafür? Man hätte die Gedicht-Kontroverse ja auch ganz ohne ihn führen können.

    Denn ein Thema was mir genauso am Herzen liegt, ist, dass rechtes Gedankengut schleichend mehr und mehr in der Mitte der Gesellschaft ankommt. Thesen, über die wir uns vor Monaten noch aufgeregt hätten, sind jetzt ganz normal, ja sogar gesellschaftsfähig. Daran hat natürlich die AfD, aber auch ein Schreiber wie Martenstein – und das nicht nur im oben erwähnten Artikel – einen maßgeblichen Einfluss. Denn er ist durch seine lange Karriere respektiert, kommt scheinbar aus der intellektuellen Mitte der Gesellschaft und kann so ein wenig effizienter verschleiern, dass viele seiner Thesen genauso auf einem AfD-Parteitag fallen könnten. Und da muss man immer wieder gegen angehen, die ganzen nervigen Diskussionen führen. Und ich finde eben nicht, dass man sich von ihm nur einzelne Kolumnen herauspicken darf.

    Klar, ich weiß, es ging dir um was anderes. Aber wie gesagt, das hätte man auch anders aufziehen können. Und ihr habt viele junge Leserinnen, auch wenn du schreibst, dass du ihn streitbar findest, bleibt vor allem der erste Satz in Erinnerung: Dass du dich jede Woche auf seine Kolumne freust. Somit empfiehlst du ihn indirekt deinen Leserinnen… Und noch mehr Aufmerksamkeit braucht so ein Mann nun wirklich nicht.

    Nichts für Ungut, danke für deine Antwort!

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  12. Katrin

    Mario Barth mit „th“ und beim ersten Satz im zweiten Absatz fehlt ein Satzglied, oder? Große Liebe für Eure Texte, aber in letzter Zeit fallen mir ziemlich häufig Rechtschreib-/Grammatikfehler auf, das sieht nicht so schön aus. Herzlich, Katrin

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  13. Stephanie

    Danke für diesen Beitrag Nike! Ich hatte mich von eurer Seite schon abgewandt wegen all dem Elfenbeinturm-Feminismus, der hier lautstark vertreten wird, wie auch viele Kommentare wieder zeigen. Genau deswegen finden wichtige feministische Anliegen kein Gehör mehr im Mainstream, weil sie von so lächerlichen Diskussionen wie die über ein harmloses Gedicht übertönt werden. Leute, setzt euch doch endlich für eine gerechte Lebenswirklichkeit ein: „Frauenberufe“ werden immer noch katastrophal schlecht bezahlt, Alleinerziehende im Stich gelassen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für viele Frauen ein schlechter Witz, es gibt Zwangsprostitution, Gewalt gegen Frauen und so weiter und so weiter. Dieser akademische Feminismus mit seinen Überempfindlichkeiten und dem Feindbild Mann führt nur dazu, dass feministische Anliegen, die die Realität vieler Frauen positiv verbessern würden, nicht ernst genommen werden. Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern lässt sich so nicht herstellen.

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  14. Anna

    Eine Meinung die gegen den bzw. einen Strom schwimmt und sich erklärt ohne zu verklären. Chapeau! für den Mut und die Fähigkeit so schreiben zu können. Danke! Denn nun kann ich mir überlegen was meine Meinung zu Deiner ist, wo sie sich die Hand geben könnten und wo sie nicht zusammen kämen. Denn darum geht es doch, oder? Standpunkte zu finden, sie zu (er)klären um sie zu hinterfragen oder zu verteidigen. Schade eigentlich. Den Anderen als falsch und böse zu erklären ist doch so viel einfacher.

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  15. Marta

    Oha ist das schon wieder schwer hier in den Kommentaren. Ich glaube genau deshalb liebe ich Martensteins Kolumne – er bringt einfach ein bisschen Leichtigkeit in Themen, über die man sonst nur vorsichtig und immer mit ein bisschen Angst, was falsches zu sagen, anspricht.

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