Immer Donnerstags muss ich aufpassen, dass ich mir kein Pipitropfen entwischt. vor lauter Kringeln und Lachen und Schmunzeln über die neueste ZEITmagazin-Kolumne von Harald Martenstein. Es ist wahr: Selten muss ich mich so sehr beömmeln, über die Komik und Tragik der Dinge, die der durchaus streitbare Autor und Journalist regelmäßig offenlegt. Auf seine ganz eigene, scharfzüngige Art und Weise. Nicht immer geht er dabei politisch korrekt vor, er liebt das Stilmittel der sprachlich einwandfreien Provokation durch einen stets belustigt anmutenden Unterton, der es Kritiker*innen zuweilen schwer macht, sich für voll genommen zu fühlen. Deshalb habe ich neulich auch viel, viel Ärger bekommen. Verdient? Bestimmt. Irgendwie aber auch nicht.
Martenstein sei im Grunde nämlich so etwas wie ein Mario Barth für Zeitungslesende. Keiner, der dem Feminismus frönt, einer, der hin und wieder sogar regelrecht misogyn daher käme. All das möchte ich einmal so dahin gestellt lassen, weil ich mir gut vorstellen kann, dass die Harald’sche Art des Anstoßens großer Diskurse und des professionellen Aneckens es eindeutig vermag, für Wutausbrüche zu sorgen. Auch ich möchte diesem frechen Teufel gelegentlich den Hals umdrehen. Aber dennoch, bei allem Respekt vor unserer feministischen Mission, bewundere ich diesen alten, privilegierten und weißen Mann (der er nunmal ist und was ihn, für viele ohnehin schon zum Feindbild befördert) für sein enormes Talent, köstliche Kolumnen zu verfassen. So sehr, dass ich mich auf literarischer Ebene gar als Fan outen würde. Vielleicht auch, weil ich nicht denke, dass beim Harald Hopfen und Malz schon verloren ist. Statt zu schweigen, erlaubt er uns Einblicke in das Hirn eines Mannes, der vieles noch nicht verstanden hat. Dennoch rattert es pausenlos. Das ist ja schonmal was! Und manchmal, so leid es mir tut, behält der bärtige Empörer nunmal Recht. Darüber hinaus weiß ich genau, wie schwer es ist, mit der eigenen Kunst niemandem auf die Füße zu treten. Und wie mutig es deshalb bleibt, sich aus der Komfortzone der Gefälligkeit zu befreien. Das tut er, ganz bewusst, sehr regelmäßig. Wie in seinem neuesten Erguss etwa, indem er sich fragt, ob das Ende der Kunst in greifbarer Nähe ist.
Grundlage für diese steile These ist ein spanisches Gedicht namens „avenidas“, das in großen Lettern an der Südfassade der Alice-Salomon-Hochschule prangt und übersetzt wie folgt lautet:
„Alleen / Alleen und Blumen / Blumen / Blumen und Frauen / Alleen / Alleen und Frauen / Alleen und Blumen und Frauen und / ein Bewunderer.“
Jetzt soll es verschwinden, das fordert die Asta. „Dieses Gedicht (…) anzuschauen, wirkt wie eine Farce und eine Erinnerung daran, dass objektivierende und potentiell übergriffige und sexualisierende Blicke überall sein können.“ Es reproduziere eine patriarchalische Kunsttradition, heißt es im dazugehörigen offenen Brief.
Man hat jetzt also zweieinhalb Möglichkeiten: Entweder man zeigt sich betroffen und solidarisch mit all jenen, die sich von besagter Lyrik im wahrsten Sinne des Wortes „übermannt“ fühlen, oder aber man belächelt dieses angeblich „selbstgemachte Problem“ voller Unverständnis und ignorantem Schalk im Nacken. Trifft beides nicht zu, sitzt man, wenn man ganz ehrlich ist, vielleicht exakt zwischen beiden Stühlen, weil man versteht, aber trotzdem lachen muss – und nimmt diese Debatte und zugleich Martensteins wenig begeisterte Zeilen zu ebenjenem Konflikt zum Anlass, beide Blickwinkel zuzulassen. Das kann er nämlich, der Harald: Uns Feministinnen am Schlafittchen packen. Und ich finde, das muss nicht unbedingt schlecht sein.
Natürlich muss der Feminismus keinen Spaß machen, er muss sogar richtig nervig sein. Wir müssen das! Sonst kommen wir niemals ans Ziel. Aber er, der Feminismus und auch wir, müssen eben auch Kritik vertragen, hin und wieder, ein wenig Konter einstecken, um nicht abermals in tonnenschwere, humorlose, extreme, unsympathische Muster zu verfallen. Aus einem einfachen Grund: Wir sollten ganz dringend lernen, auch jenen zuzuhören, die noch nicht so weit sind, die nur ganz langsam kapieren. Die Frauenquoten für unfair oder überflüssig und Sexismus für nicht existent halten. Weil wir uns sonst im Kreis drehen und niemanden mehr erreichen außer uns selbst. Wir müssen wieder über uns schmunzeln dürfen, auch, damit es nicht mehr darum geht, wer die bessere Feministin am Tisch ist. Wir müssen sagen dürfen: Ich bin Feministin, aber das hier ist Quatsch! Oder zumindest amüsant. Damit die Diskussion eine offene bleibt. Damit jemand kommen und uns möglicherweise eines Besseren belehren kann. Damit irgendwann alle mitmachen, weil Reden erlaubt, weil Zweifeln möglich ist. Ich zum Beispiel zweifle gerade auch manchmal. Daran, ob ich noch dazu gehören will, wenn überhaupt nichts mehr ok ist, das die Forderungen der Hardliner*innen möglicherweise ein ganz klitzekleines bisschen infrage stellt. Satire etwa! Witze am Pizzatisch. Kunst. Poesie. Überspitzte Kolumnen. Das liebevolle Herausstellen von kleinen Unterschieden zwischen Männern und Frauen, die nicht gesetzt sind, aber durchaus existieren können, sogar in meiner Realität, wenn mein Sohn ausschließlich Unfälle mit Bussen und Hubschraubern baut, während die Tochter meiner besten Freundin gänzlich unbeeindruckt die Babypuppe wickelt – trotz genderneutraler Erziehung. Diese objektive Feststellung, die ich mir zuvor niemals hätte erträumen lassen, bedeutet allerdings keinesfalls, dass ich ruhig bleibe, wenn jemand sagt „Du rennst wie ein Mädchen.“ Ich werde dann nicht nur laut, sondern auch rot und ziemlich sauer. Das eine schließt das andere nämlich nicht aus.
Man darf, man kann Feministin mit Herz und Seele sein und trotzdem hin und wieder lachen, nicht nur Mensch, sondern auch Frau sein und sogar jemandes Arbeit gut finden, der manchmal auf dem Holzweg unterwegs ist. Ich behaupte ja nicht, dass ich den Martenstein mögen würde. Aber viele seiner geschriebenen Worte. Und da kommen wir schon zum nächsten bedeutungsschwangeren Wort: Girlpower. Das wiederum steht derzeit nämlich auf nicht wenigen T-Shirts geschrieben. Einfach so, oft. Manchmal auch mit Sinn und Verstand. Mir soll das Recht sein, aber es gibt so viele wunderbare Alternativen, die auf Exklusion verzichten. Die viel mehr fordern. Nämlich, dass wir nicht vornehmlich Girls, sondern längst Frauen und am allermeisten Menschen sind. Dass Feminsimus für alle ist. Dass die Forderung nach Gleichberechtigung sogar einen alten weißen Sack mit einbeziehen sollte. Und dann dürfen wir vielleicht auch wieder ganz leise sagen, dass ein Bewunderer wahrlich nicht mit einem sexistischen Patriarchen gleichzusetzen ist.