Whoaw, da ist sie nun, die 30, die Zahl aus der Hölle, die dich zumindest auf dem Papier in ein neues Zeitalter katapultiert. Was du draus machst, ist dir selbst überlassen! Jetzt geht es erst richtig los! Das ist doch bloß eine Zahl. Jaja, schon klar – und trotzdem will ich ehrlich sein: Es ist nicht so, als würde mich diese blöde Zahl völlig fertig machen, bloß 30, herrgott, bin ich wirklich schon 30? Was das Problem ist? Ich fühle mich einfach nicht danach und wer jetzt denkt, so eine Zahl ist doch nur eine Zahl, der mag zwar Recht haben, aber mich irgendwie nicht adressieren. Gestern, da war ich doch erst 22, gerade mit meinem Bachelor fertig und stürzte mich naiv und wagemutig zugleich in eine aufregende Welt aus Selbstständigkeit und Großstadtwahnsinn. Gestern, da stand ich in der Garage meiner Eltern, hielt die Bravo Hits 93 in den Händen und trällerte I said hey in meine Faust, die ein imaginäres Mikrophon festhielt. Gestern stritt ich mich noch mit meiner älteren Schwester bis aufs Blut, flog zum ersten Mal nach Florida und trug ein pfirsichfarbenes Kleid mit grünkarierten Chucks, dazu zu große Zähne, die noch nicht zu den Proportionen meines Kopfes passen sollten. Gestern, da war ich klein und jung und sorgenfreier, lebte in den Tag und hätte von heut‘ auf morgen alles umwerfen können. Heute bin ich dreißig Punkt.
Völliger Blödsinn ruft die andere Gehirnhälfte: Gestern ist heute, du hast es in der Hand. Und natürlich weiß ich, was rechts meint, während links jammert, bloß pocht die nostalgieverliebte Seite manchmal einfach stärker, weil sich aus der Retrospektive so gut heulen lässt. Verpasste Chancen hier, vertrödelte Momente dort.
Aber warum denken wir eigentlich so oft, wir müssten in den 20ern alles erreicht haben? Wir sollen das Leben voll auskosten, Nächte zu Tagen werden lassen, wild und frei und irre sein, während wir im Job gleich auch schon alles erreichen haben, beruflich bereits am oberen Ende der Leiter kratzen, in der Kinderplanung stecken und den Mann oder die Frau für’s Leben gefunden haben? Was in den 20ern nicht passiert ist, das passiert nicht mehr. Und auch ich kann mich davon nicht ganz freisprechen und schüttle selbst mit dem Kopf, während mir Freundinnen das Glück aussprechen, ich hätte all dies doch schon längst erreicht und könne doch bloß froh sein, Mann, Kind und Job bereits vor 30 zu haben. Bescheuerter Druck einer Gesellschaft. Warum überhaupt?
Denn während es für die 20er eine ungefähre Definition gibt, scheinen die 30er oft bloß ein Überbrückungsjahrzehnt zu sein: Zwischen jung und alt, zwischen 20 und 40 eben. Was macht man mit 30, außer sich zu finden, sich zu festigen und eventuell noch mal kurz vor der 40 Tabula Rasa zu machen, aber bitte ganz schnell, immerhin haben wir ja keine Zeit. Ich weiß es noch nicht, bislang konnte ich die Zahl nämlich ganz gut vor mir herschieben. Jetzt aber ist sie da: mit all ihren Augenwürsten und Stirnfalten – zumindest bei mir. Und nicht mal ein Pony hilft, diese Tatsache zu verschleiern.
Während all dieser Wirrwarr-Sätze, die ich euch an dieser Stelle um die Ohren haue, fange ich gerade tatsächlich an, diese ominöse 30 selbst gestalten und definieren zu wollen. Irgendwas blitzt da zwischen mir, den Tasten und dem Backend in diesem Moment auf, das ich vorher irgendwie nicht spüren wollte. Das, was andere 30er+ von euch vielleicht schon längst wissen, fühlt sich auf einmal wie vom Blitz getroffen ganz kribbelig an, voller Tatendrang und dem Hang dazu, sich jetzt vor allem selbst zu beweisen. 30 bedeutet nämlich auch: Bis jetzt unter Umständen ganz viel Glück gehabt zu haben und mit breitem Grinsen bei dem Gedanken zu strahlen, was man alles schon erreicht hat. Dass man wohlmöglich kerngesund ist und sich deshalb allein einfach des Lebens freuen sollte.
Ich weiß also nicht, was die 30 bringen wird, ganz angstfrei bin ich nicht, aber irgendwie langsam neugierig und auch ein bisschen unerschrocken. Werde ich noch mal neu anfangen? Wird alles beim Alten bleiben? Die Zukunft fühlt sich nebelig an.
Drum würde mich an dieser Stelle ungemein gern interessieren, wir ihr damit umgeht oder umgegangen seid: Egal ob ihr in euren jungen 20ern steckt oder kurz davor seid, die 50er zu begraben. Warum haben wir eigentlich Angst vorm Älterwerden oder warum ruht manch eine*r von euch komplett in sich, während ich mir beim Gedanken daran fast in die Hose mache?
30, poah, wo ist die Zeit bloß hin? Ich fasse es nicht. Wirklich nicht.