Fashion Tales // Es ist ok, ulkig auszusehen.

16.11.2017 Mode, box1, Kolumne

Mir passiert das recht häufig. Dass ich irgendwann im Laufe eines x-beliebigen Tages von der großen Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung erschlagen werde. Nicht auf die schlimme Art und Weise, die einen zuweilen ins Tal der Selbstzweifel verbannen kann, sondern auf diese urkomische, wegen der man mitunter lauthals über sich lachen und auch halb ernst darüber nachdenken muss, ob anderer Leutes Augen womöglich einfach ganz anders sehen, in anatomischer Hinsicht, als die eigenen. Neulich etwa, als ich davon überzeugt war, in aller Eile mein Lieblingsoutfit des Jahres aus meinem Schrank heraus gefischt zu haben, vor allem wegen dieser tollen Harmonie zwischen uralter Samthose und giftgrünem Pullunder. Ich merkte schon, dass ich mit dieser mutigen Meinung eventuell allein dastehen würde, als das Gesicht meines Verlobten bei meinem Anblick anfing zu wackeln als säße er auf einer ratternden Waschmaschine. Das tat er nicht, er hatte bloß alle Mühe, nicht loszuprusten und sich vor lauter Amüsement nass zu machen, untenrum. Mir doch egal, dachte ich, um kurz darauf erhobenen Hauptes Richtung piekfeinem Soho House zu stampfen. Ich war nämlich zu einem Abendessen in munterer Modemenschen-Runde eingeladen gewesen. Die trugen zwar tendenziell Schwarz, ließen sich aber nichts anmerken. Was ich sehr freundlich fand. Man ist dort ja auch ganz anderes gewöhnt.

Und dann, irgendwann, als ich nach einem Gläschen Rotwein, das ich heimlich mit Cola gestreckt hatte, aufs stille Örtchen verschwinden musste und auf dem Weg dorthin an einem scheitelhohen Spiegel vorbei schritt, begriff ich plötzlich, dass ich mir beim Ankleiden sehr wohl darüber im Klaren gewesen sein muss, ein wenig ulkig zu wirken, ganz bestimmt nicht vorteilhaft und wohl kaum seriös. Zum ersten Mal seit langer Zeit, so ehrlich muss ich sein, blinzelte ich in diesem Moment neckisch meinem eigenen Spiegelbild entgegen. Und ich erkläre euch nun, wieso. Es hat nämlich auch etwas mit meinem schälen Pony zu tun.

In letzter Zeit war ich modemüde. Der Mode überdrüssig. Modisch rat- und rastlos. Beim Anblick von gewickelten, schulterfreien Blusen etwa wurde mir kalt, Fotos von nackten Beinen im Nieselregen machten mich traurig, Jeanshosen zu Sweatshirts waren mir egal und für pellwurstenge Retter des Sexappeals fehlte mir die Muße. Unendlich viele Mikrotrends von der Stange passten mir nicht ins Konzept, oder ich nicht in deren, wer weiß das schon, und außerdem sehnte ich mich nach einem Ausweg aus Klonhausen. Den fand ich aber nie. Weshalb ich geistig permanent nackig dastand und kurz davor war, künftig ausschließlich dem dunkel gekleideten Existenzialismus zu frönen. Dann aber machte ich zunächst kurz Schluss mit Instagram. Also nicht mit meinem eigenen, aber mit all den fremden Bildern, die meinen persönlichen Blick auf meine eigene Kleidung zu verzerren schienen. Ich kaufte auch nichts neues, trotz Frust. Dann trug ich in meiner Freizeit zwei Wochen lang dieselbe Hose und auch nur einen einzigen Pullover. Das schaffte ich ohne zu muffen. Auch ohne motzen. Und plötzlich merkte ich, wie es besser wurde. Ich vermisste Blusen von vor drei Jahren und Kleider, die noch mehr Jahre auf dem Buckel hatten. Ich sah wieder den prächtigen Modewald statt kahler Bäume! Ich sah mich wieder! Und erinnerte mich daran, dass ich endlich aufhören wollte, darauf zu achten, gut auszusehen. Viel lieber wollte ich aussehen wie ich. 

Was labert die Alte, denkt ihr jetzt. Also mache ich es so kurz wie ich meinen Pony infolgedessen geschnitten habe, mit der Küchenschere. Den habe ich mir aus ähnlichen Gründen herbei gesehnt aus denen ich zum obigen Outfit griff.

Ich fand, es war Zeit, nicht mehr mittelscheitelschön (und öde) zu bleiben, sondern sich einem Charakterkopf anzunähern. Jemandem, der sich aus dem Herzen heraus anzieht, der eigenen Laune entsprechend kleidet und auf alles andere pfeift. Ich beschloss, dass „vorteilhaft“ kein Kriterium mehr sein dürfe, weil mir ebenjenes oft die Laune verdarb. „Der Pony ist aber interessant“, sagte zum Beispiel jemand an jenem Abend, aus Verlegenheit. Erst war ich ein bisschen traurig, aus Eitelkeit, aber dann ganz beseelt. Ist „interessant“ nicht vielfach herrlicher als „hübsch“? Nicht immer und ausschließlich, schon klar. Es kommt wohl auch darauf an, wonach einem gerade der Sinn der steht. Aber ich muss euch sagen: Meiner steht mir derzeit nach Randale. Nach „Wie es mir gefällt“, nach Freude und Bunt. Ich finde nämlich, dass sich die Stimmung der getragenen Kleidung manchmal durchaus auf die innere Stimmung übertragen kann. Deshalb mag ich die Mode ja so sehr und plädiere dafür, sie nicht zu unterschätzen! Sie kann uns selbstbewusster machen, besser gelaunt, keck, lustig, (ich bin so) k-l-u-k, mysteriös, lasziv, stark und alles andere, was wir für erstrebenswert halten. 

Aber sie kann uns auch fertig machen. Wenn sie uns unter Druck setzt, wenn wir dazu gehören wollen, wenn wir meinen, nicht mithalten zu können, wenn wir uns hauptsächlich für andere, statt vor allem auch für uns selbst kleiden, wenn wir vergessen, wer wir (modisch) eigentlich sind, wenn wir die Mode irgendwie falsch benutzen. Genau das ist mir irgendwann passiert. Ich wollte, dass mich andere für „gut gekleidet“ halten. Bis ich herausfand, dass immer irgendwer abkotzen wird, ganz egal, was wir anhaben. Die Hauptsache ist also, dass wir uns freuen, wenn wir in den Spiegel schauen. Und sei es nur, weil wir ein bisschen ulkig aussehen.

Mich würde übrigens wirklich interessieren, was passieren könnte, wenn jeder und jede tatsächlich stets anziehen würde, worauf er oder sie Lust hat. Ich tippe ja auf viel mehr Glitzer. Und Röcke an Männern. Und Schlafanzüge. Und jede menge Wohlbefinden.

 

Pullunder: MMissoni (Press Sample) 
Bluse: H&M (2016), ähnliche hier
Hose: Gucci Vintage über Vestiaire Collective
Loafer: Gucci 
Tasche: Olympia Le Tan 

21 Kommentare

  1. Mona

    Toll, herzerwärmend, herzallerliebst. Wunderbarer Artikel.
    Ich hab laut in der Bahn gelacht und konnte sehr mitempfinden, da ich jahrelang als tapfere Kriegerin in der Mode Branche den Drang hatte immer vorne dabei zu sein. Dadurch wurde mein Repertoire an Textilien immens und ich gelangweilt. Mir dienten eine blaue Jeans und ein kapuzenpullover über genau diese Phase hinweg. Ich dachte nur ich bin so bekloppt.

    Schön! Danke für die Lesemomente

    <3

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  2. Nellah

    Was für ein wunderbarer, herz erfrischender Text! Wir brauchen viel mehr Vielfalt, viel mehr Farben und viel mehr Glitzer da draußen! Ich finde dich, wie immer, wunderwunderschön, der Pony ist perfekt so! Danke für diesen Anstupser zum mutig sein. Wir schulden dieser Welt und uns selbst so viel mehr als unsere plakative , normative Schönheit. Das Strahlen von innen heraus, das Aufzeigen wer man im Herzen ist oder eben gerade heute sein möchte, auch das kann Mode sein.

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  3. Amelie

    Ich weiß ganz genau was du meinst. Durch den Überfluss an vermeintlich perfekt gekleideten Menschen die ich jeden Tag in der Stadt oder im Internet sehe, habe ich ständig innerlich an meinen Klamotten rumgemäkelt. Bis ich gemerkt habe, dass es gar nicht die Klamotten sind. Ich hätte alles im Schrank haben können, nichts wäre gut genug gewesen. Also habe ich mir das Verbot auferlegt, Neues zu kaufen und mir vorgenommen, ohne nachzudenken das an zu ziehen, was da ist und worauf ich Lust habe. Und schwupdiwups, mach ich mir viel weniger Gedanken um das Äußere im allgemeinen, mag mich mehr so wie ich bin und finde wieder Teile an mir schön, die ich seit zwei Jahren nicht mehr an hatte. Das ist so schön entspannend.

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  4. Katja

    Nike, du sprichst mir aus der Seele. Ich komme gerade fris h von der Uni ins Arbeitsleben und stehe jeden Morgen verzweifelt vor dem Kleiderschrank um irgendwas zu finden was „office wear“ ist aber auch zu mir passt und dazu nicht zu kalt ist. Schuhe sind am schlimmsten. am liebsten würde ich mit meinen zerschlissenen Jeans, converse und picken Pulli losziehen aber „das geht nicht“. An dieser Stelle würde ich mich über ein Spezial zur „büromode“ (doofes Wort) a la Jayne Wayne sehr freuen xx

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    1. Flo

      Yes bitte! Ueber einen „Bueromode“ Artikel wuerde ich mich auch sehr freuen. Ich arbeite leider dort, wo man Anzug traegt und frau „irgendwas mit Rock“. Ich kann mir schon ein sehr trendiges Buero-Outfit ausdenken, was mir dagegen super schwer faellt ist etwas zu finden, das angemessen, nicht langweilig und gleichzeitig bequem ist…

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  5. Marie

    Liebe Nike, zum allerersten Mal in meinem Leben schreibe ich einen Kommentar unter einen Blogartikel. Vielleicht weil ich zum allerersten Mal nach dem Lesen eines solchen tränenüberströmt und zugleich mit einem amüsierten Grinsen im Gesicht vor dem Computer sitze. Und nicht mehr daran zweifle, ob es in Ordnung ist, morgen wieder den gleichen Pulli und die gleiche Hose zu tragen wie gestern. Und heute. Sondern das jetzt einfach in der Gewissheit tun kann, dass ich gerade nicht anders kann. Und dass die Lust auf etwas anderes und der Eigensinn, zu wissen, wie das Andere dann aussieht, Zeit braucht um aus dem tiefen Gedanken-, Gefühls- und Tätigkeitschaos, in das ich mich gerade katapultiert und verstrickt habe, an die Oberfläche zu kommen. Aber ich freue mich schon jetzt darauf, was dann kommt, wenn es soweit ist. Und zumindest meine Augen sind bereits jetzt voller Glitzer. Grüße von Herzen.

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  6. Jule

    Wie gern ich dich als Freundin hätte! Ich habe auch vor ca. 2 Wochen mit Instagram aufgehört, weil ich neue Inspirationen suche. Am besten nur noch aus meinem Kleiderschrank, um nicht ständig zu konsumieren und trendorientiert zu sein. Ich vermisse Instagram überhaupt nicht! Dieses stupide Scrollen durch Fotos macht mich gerade echt nicht mehr an. So wie auf diesem Blog mit mehr Tiefgang präsentiert, macht Mode Spaß!

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  7. Lisa

    Genau so!!!
    Dein Text spricht so viel wahres an das ich mein Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht bekomme. Ich ziehe dann mal den silbernen Lurex-Plissee-Rock meiner Oma an. Einfach weil ich ihn total liebe!
    Weil was wäre das Leben ohne Liebe 🙂

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  8. Rike

    Hey Nike.
    Was für ein schöner.runder.warmer Text! Ich finde du siehst herrlich aus, und dein Text spricht mir aus dem Medienüberfluteten Modehirn.
    Gruss. Rike

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  9. Jen

    Kann mich nur anschließen und muss noch was hinzufügen, denn auch ich bin viel zu sehr darauf bedacht, „modisch“ zu sein und mache mir viel zu viel daraus, was die – letztlich auch wieder gleichgeschaltete! – Modeblase denkt. Richtig schlimm bewusst geworden ist mir das absurderweise auf dem Spielplatz im Szenebezirk in Berlin. Ich habe mich umgesehen und 2, 3 Modetanten und Stylotypen entdeckt, also Mütter und Väter, die sich sehr mit ihrem Style auseinandersetzen und bei denen jede Socke bewusst gewählt und kombiniert wird. Und dann ist mein Blick auf die anderen gefallen, die „ganz normal“ angezogen waren, halt pragmatisch, nicht unmodisch, aber offensichtlich viel weniger „put together“.
    Und jetzt ratet mal, mit wem ich mehr Lust hatte, zu quatschen, wer grundsätzlich sympathischer rüberkam.
    Was soll ich sagen? Ich hab meine Celine-Tasche genommen und bin in meinen Marant-Stiefel beschämt nach Hause. ICH BIN so eine unsympatische Modegestalt. Und natürlich eigentlich ganz normal und nett. Was ich sagen will: Würde ich mir mal weniger Gedanken machen, was gerade so stylemäßig angesagt ist, diese nicht selbst gewählten Begehrlichkeiten wegschieben und selber frei entscheiden, Gott, ich würde ne Menge mehr Muster, Glitzer und Lackschuhe tragen.
    Danke fürs Vorbild-Sein!

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    1. Jule

      Hey Jen,
      ich bin auch so eine Modetussi vom Spielplatz. Allerdings aus Wuppertal und nicht aus Berlin. Da hier sowieso nie jemand auf meine Kleidung achtet und kaum einer weiß, wie teuer der ganze Kram ist, den ich trage, kann ich wohl behaupten, dass ich das für mich und nicht für andere mache.
      Ich verstehe, was du damit meinst, dem Ganzen nicht so viel Bedeutung beizumessen und sich nicht zu stressen. Nur wenn Mode dein Hobby ist und du gern Geld dafür ausgibst, warum nicht dazu stehen und genießen? Ich liebe es, mich mit meinen teuren (qualitativ hochwertigen) Sachen zu beschäftigen. Sie zu pflegen, zu kombinieren, anzusehen. Ansonsten würd ich die Sachen lieber verkaufen, wenn du keine Freude daran hast.
      Liebe Grüße

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      1. Jule

        Ach ja, warum sind Modemenschen denn unsymphatisch? Ich freue mich immer, wenn ich Menschen seh, die auf ihr Äußeres achten, einen Sinn für Ästhetik haben und nicht im Grau der Straßen untergehen.

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  10. Jana

    Deine Einstellung gefällt mir. Ich glaube, das werde ich mir zu Herzen nehmen.
    Und ich bin definitiv für mehr Schlafanzüge und Glitzer im Alltag 🙂

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  11. Sevgi

    Danke für diesen wunderbaren Text! Ich fürchte nur, jetzt ist bei mir die letzte Hemmschwelle gefallen und ich werde nun trotz Sophia-Loren-Körper ein Charlys-Angels-Outfit anlegen.

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  12. vivien_noir

    Oh, ich mache das meistens, dass ich anziehe, was ich für schön und toll halte, und schere mich weniger darum, was andere denken. Manchmal kommt es dann schon vor, dass ich untertags beginne, mich nicht mehr so wohl zu fühlen (weil ein Korsettrock im Büro offenbar einfach zu auffällig ist, und plötzlich alle männlichen Kollegen was von dir wollen, und sei es nur, dich mit Händeschütteln am Morgen zu begrüßen!), dann verändere ich das Outfit soweit es geht ohne umziehen (z.B. Hose hoch oder runter krempeln, Ärmel hoch oder runter krempeln, Pullover an- oder ausziehen, umbinden, Tuch anders binden, etc. – das hilft oft schon. Ich neige aber auch zu verrückteren Kombis und viel schwarz – ganz im Wechsel, oder voll avantgardistisch 🙂

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