Mir passiert das recht häufig. Dass ich irgendwann im Laufe eines x-beliebigen Tages von der großen Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung erschlagen werde. Nicht auf die schlimme Art und Weise, die einen zuweilen ins Tal der Selbstzweifel verbannen kann, sondern auf diese urkomische, wegen der man mitunter lauthals über sich lachen und auch halb ernst darüber nachdenken muss, ob anderer Leutes Augen womöglich einfach ganz anders sehen, in anatomischer Hinsicht, als die eigenen. Neulich etwa, als ich davon überzeugt war, in aller Eile mein Lieblingsoutfit des Jahres aus meinem Schrank heraus gefischt zu haben, vor allem wegen dieser tollen Harmonie zwischen uralter Samthose und giftgrünem Pullunder. Ich merkte schon, dass ich mit dieser mutigen Meinung eventuell allein dastehen würde, als das Gesicht meines Verlobten bei meinem Anblick anfing zu wackeln als säße er auf einer ratternden Waschmaschine. Das tat er nicht, er hatte bloß alle Mühe, nicht loszuprusten und sich vor lauter Amüsement nass zu machen, untenrum. Mir doch egal, dachte ich, um kurz darauf erhobenen Hauptes Richtung piekfeinem Soho House zu stampfen. Ich war nämlich zu einem Abendessen in munterer Modemenschen-Runde eingeladen gewesen. Die trugen zwar tendenziell Schwarz, ließen sich aber nichts anmerken. Was ich sehr freundlich fand. Man ist dort ja auch ganz anderes gewöhnt.
Und dann, irgendwann, als ich nach einem Gläschen Rotwein, das ich heimlich mit Cola gestreckt hatte, aufs stille Örtchen verschwinden musste und auf dem Weg dorthin an einem scheitelhohen Spiegel vorbei schritt, begriff ich plötzlich, dass ich mir beim Ankleiden sehr wohl darüber im Klaren gewesen sein muss, ein wenig ulkig zu wirken, ganz bestimmt nicht vorteilhaft und wohl kaum seriös. Zum ersten Mal seit langer Zeit, so ehrlich muss ich sein, blinzelte ich in diesem Moment neckisch meinem eigenen Spiegelbild entgegen. Und ich erkläre euch nun, wieso. Es hat nämlich auch etwas mit meinem schälen Pony zu tun.
In letzter Zeit war ich modemüde. Der Mode überdrüssig. Modisch rat- und rastlos. Beim Anblick von gewickelten, schulterfreien Blusen etwa wurde mir kalt, Fotos von nackten Beinen im Nieselregen machten mich traurig, Jeanshosen zu Sweatshirts waren mir egal und für pellwurstenge Retter des Sexappeals fehlte mir die Muße. Unendlich viele Mikrotrends von der Stange passten mir nicht ins Konzept, oder ich nicht in deren, wer weiß das schon, und außerdem sehnte ich mich nach einem Ausweg aus Klonhausen. Den fand ich aber nie. Weshalb ich geistig permanent nackig dastand und kurz davor war, künftig ausschließlich dem dunkel gekleideten Existenzialismus zu frönen. Dann aber machte ich zunächst kurz Schluss mit Instagram. Also nicht mit meinem eigenen, aber mit all den fremden Bildern, die meinen persönlichen Blick auf meine eigene Kleidung zu verzerren schienen. Ich kaufte auch nichts neues, trotz Frust. Dann trug ich in meiner Freizeit zwei Wochen lang dieselbe Hose und auch nur einen einzigen Pullover. Das schaffte ich ohne zu muffen. Auch ohne motzen. Und plötzlich merkte ich, wie es besser wurde. Ich vermisste Blusen von vor drei Jahren und Kleider, die noch mehr Jahre auf dem Buckel hatten. Ich sah wieder den prächtigen Modewald statt kahler Bäume! Ich sah mich wieder! Und erinnerte mich daran, dass ich endlich aufhören wollte, darauf zu achten, gut auszusehen. Viel lieber wollte ich aussehen wie ich.
Was labert die Alte, denkt ihr jetzt. Also mache ich es so kurz wie ich meinen Pony infolgedessen geschnitten habe, mit der Küchenschere. Den habe ich mir aus ähnlichen Gründen herbei gesehnt aus denen ich zum obigen Outfit griff.
Ich fand, es war Zeit, nicht mehr mittelscheitelschön (und öde) zu bleiben, sondern sich einem Charakterkopf anzunähern. Jemandem, der sich aus dem Herzen heraus anzieht, der eigenen Laune entsprechend kleidet und auf alles andere pfeift. Ich beschloss, dass „vorteilhaft“ kein Kriterium mehr sein dürfe, weil mir ebenjenes oft die Laune verdarb. „Der Pony ist aber interessant“, sagte zum Beispiel jemand an jenem Abend, aus Verlegenheit. Erst war ich ein bisschen traurig, aus Eitelkeit, aber dann ganz beseelt. Ist „interessant“ nicht vielfach herrlicher als „hübsch“? Nicht immer und ausschließlich, schon klar. Es kommt wohl auch darauf an, wonach einem gerade der Sinn der steht. Aber ich muss euch sagen: Meiner steht mir derzeit nach Randale. Nach „Wie es mir gefällt“, nach Freude und Bunt. Ich finde nämlich, dass sich die Stimmung der getragenen Kleidung manchmal durchaus auf die innere Stimmung übertragen kann. Deshalb mag ich die Mode ja so sehr und plädiere dafür, sie nicht zu unterschätzen! Sie kann uns selbstbewusster machen, besser gelaunt, keck, lustig, (ich bin so) k-l-u-k, mysteriös, lasziv, stark und alles andere, was wir für erstrebenswert halten.
Aber sie kann uns auch fertig machen. Wenn sie uns unter Druck setzt, wenn wir dazu gehören wollen, wenn wir meinen, nicht mithalten zu können, wenn wir uns hauptsächlich für andere, statt vor allem auch für uns selbst kleiden, wenn wir vergessen, wer wir (modisch) eigentlich sind, wenn wir die Mode irgendwie falsch benutzen. Genau das ist mir irgendwann passiert. Ich wollte, dass mich andere für „gut gekleidet“ halten. Bis ich herausfand, dass immer irgendwer abkotzen wird, ganz egal, was wir anhaben. Die Hauptsache ist also, dass wir uns freuen, wenn wir in den Spiegel schauen. Und sei es nur, weil wir ein bisschen ulkig aussehen.
Mich würde übrigens wirklich interessieren, was passieren könnte, wenn jeder und jede tatsächlich stets anziehen würde, worauf er oder sie Lust hat. Ich tippe ja auf viel mehr Glitzer. Und Röcke an Männern. Und Schlafanzüge. Und jede menge Wohlbefinden.
Pullunder: MMissoni (Press Sample)
Bluse: H&M (2016), ähnliche hier
Hose: Gucci Vintage über Vestiaire Collective
Loafer: Gucci
Tasche: Olympia Le Tan