Ich befürchte, es gibt kaum jemanden, den ich tatsächlich persönlich kenne und gleichzeitig so sehr bewundere wie Friederike Schilbach. Zwar weiß ich überhaupt nicht mehr, wo oder wann wir uns kennenlernten, aber spätestens als irgendwann ein kleiner Brief in meinem Postfach landete, handgeschrieben und einem Buch beiliegend, das sie mir in innerhalb jener wenigen Zeilen so schmackhaft machte wie ein süßes Milchreistörtchen und am Ende sogar goldrichtig lag, wurde Friederike für mich so etwas wie eine intellektuelle Version der Amélie Poulain, falls man das so sagen kann. Bloß weitaus weniger verschroben, versteht sich. Und umringt von einer Aura der allerersten Sahnegüte. Friederike ist so ein Mensch, der leuchtet, ja wirklich. Einer, der auf wundersame Weise viel mehr von der Welt zu sehen scheint als alle anderen.
Und wo sie als Lektorin nun schon so derart viele kostbare Bücher in unseren deutschsprachigen Lesekosmos katapultiert hat, war es womöglich bloß eine Frage der Zeit, bis sie schließlich ein eigenes herausbringen würde. Ich ahnte es ja ehrlich gesagt schon ganz klammheimlich, als ich irgendwann eine flüchtige und doch liebreizende Nachricht erhielt, in welcher ich um einen quadratischen Schnappschuss von meinem stillen Örtchen gebeten wurde. Wenn es eine Person auf der Welt gab, der ich diesen Wunsch erfüllen würde, dann wohl Mademoiselle Schilbach. Es konnte schließlich nur Schönes dabei herauskommen. Also knipste ich ein Foto von dem sterbenden Kaktus gleich neben dem Waschbecken, den mein Sohn am Tag zuvor mit einer bunten Kette und einem XXL-Tampon verziert hatte.
Ihr seht also: Zwar erzählen in Friederikes gerade erschienenen Bildband „Bathroom Chronicles“ viele, viele andere Leute ihre Geschichten und überhaupt nicht Friederike selbst, aber das tut diesem Stück weiblicher Badezimmer-Historie nun wirklich keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil, die Idee dahinter ist ebenso genial wie keck, aber auch romantisch, erquickend und, ja eben doch, verschroben. Mich wundert es jedenfalls nicht, dass Friederike tatsächlich rund 100 Frauen dazu gebracht hat, ihr (und damit nun auch uns) Einblicke in deren mal mehr und mal weniger geheimnisvolle, aber immer intime Kammern zu gewähren.
„Die Idee zu diesem Buch kam mir, als ich gerade zu Besuch bei einer Freundin in Italien war. Sie wohnt dort in den Sommermonaten in Monopoli, einer Kleinstadt am Meer, in einer Wohnung, die früher mal einem Kapitän gehört hat. Meine Freundin hat sie eigenhändig, ganz behutsam, renoviert. Wo früher eine Feuerstelle mit Kamin war, ist jetzt das Badezimmer. Wenn man in die Dusche steigt, kann man am Ende des meterlangen Schachts, ganz oben, ein Stück freien Himmel sehen, ein bisschen wie bei einer Lichtinstallation des Künstlers James Turell. Der Charakter dieses Badezimmers gleicht dem meiner Freundin: luftig, offen, minimalistisch, schön. Und so bat ich sie in jenem Sommer, kurz bevor ich abreiste, mir ein Foto davon zu schicken – als Erinnerung. Das tat sie, dazu schrieb sie ein paar Zeilen, es las sich wunderbar, wie ein Mini-Porträt. Zurück in Berlin fragte ich weitere Freundinnen – anfangs nur vier oder fünf –, ob auch sie mir ein Foto von ihrem Badezimmer schicken würden. Und fast jede Freundin schickte mir den Kontakt einer weiteren Freundin, deren Badezimmer unbedingt Teil meiner Sammlung werden müsse. So kamen Tag für Tag Mails mit Fotos und kleinen Geschichten an, über Yucca-Palmen, Reisesouvenirs und mondäne Großmütter. Bald waren es über hundert Fotos, die alle viel über die Frauen erzählten, die sie aufgenommen hatten.“
[typedjs]"(Das Badezimmer) ... ist ein intimer Raum, vielleicht der intimste der ganzen Wohnung, in dem sie ihr Leben ausbreiten, sich selbst gegenübertreten, beim Aufwachen oder vor dem Ausgehen, ihre Identität konstruieren, ein Selbstporträt schaffen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich mich so gern in ihren Badezimmern aufhalte: weil dort ein bisschen was von ihrem Zauber, ihren Alltagsritualen greifbar wird."[/typedjs]
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Leanne Shapton, New York City „Das Foto zeigt mein Badezimmer, Blick Richtung Flur. Ich liebe Monica Vitti und besonders dieses Bild von ihr, das auch in meinem Buch ‚Bedeutende Objekte und besondere Besitzstücke‘ vorkommt. Das eine Handtuch habe ich in einem Seconhandladen gefunden, ich mochte das Lila und das Muster. Das andere ist ein Badetuch von Hermès. Ich liebe bunte Handtücher. Weiße mag ich nur in Hotels. Ich hänge meine nassen Badeanzüge an der Badezimmertür auf, wenn ich vom Schwimmbad zurückkomme oder mit meiner Tochter beim Schwimmunterricht war. Der blauweiße ist ein alter Badeanzug von Speedo, der tief auf der Hüfte sitzt.“
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Sheila Heti, Toronto „Ich weiß nie, welche Zahnpasta ich kaufen soll. Genau wie bei Wein kann ich mich einfach nie daran erinnern, welche Sorte ich mag und welche nicht. Als mein Freund mal eine halb aufgebrauchte Tube aus einem Urlaub mit seinem Bruder auf den Kaiman-Inseln mitbrachte, wusste ich: Ab sofort nur noch genau diese Zahnpasta. Sie ist so pink und scharf! Ich habe auf eBay gleich sechs Schachteln bestellt und bewahre sie auf dem Schränkchen oberhalb der Toilette auf. Bis ich dieses Foto aufgenommen hatte, wusste ich gar nicht, wie staubig es dort oben ist.“
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Juman Malouf, Bearsted, Kent „Eine Freundin hat mir diese Postkarte geschickt. Das Bild stammt von einem britischen Künstler namens Alfred Wallis. Manchmal glaube ich, dass es die letzte Postkarte ist, die ich je bekommen werde. Wallis war als Kind Schiffsjunge und hat viele Segelschiffe gemalt, vielleicht auch, weil die mehr und mehr durch Dampfschiffe ersetzt wurden. Die Postkarte zeigt eines dieser Dampfschiffe, die er verabscheute. Meine Badezimmer erinnert mich vom Gefühl her an das Bad in so einem alten Boot, abgesehen vielleicht von der Tapete. Die sieht aus wie der Garten, den ich von meinem Badezimmerfenster aus sehen kann.“
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Gillian Henn, Berlin „An meinem Lieblingsplatz im Bad stehen ein Tabak-Duft aus Kuba, ein schwarzes Kamel aus Wien, eine Seife aus der Farmacia di Santa Maria Novella aus Florenz. Was man nicht sieht, aber in dieser Aufzählung nicht fehlen darf: Direkt daneben befindet sich ein kleines schwarzes Reiseradio, das mich morgens mit meinem Lieblingssender Radio Paradiso in den Tag begleitet.“
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Roz Chast, New York City „Das ist ein kleines Regal, es hängt in unserem oberen Badezimmer. Das Regal stammt aus einem Secondhand-Laden und ist mit Vögeln verziert. Ich mag Vögel sehr. Auf dem Regal steht ein kleiner Emu, den ich von einer Freundin bekommen habe, als ich sie in Australien besuchte. Sie weiß, wie sehr ich Vögel mag. Das Gemälde stammt von meinem Sohn. Er meinte, es solle ihn darstellen, als Kind, wie er sich behütet fühlte von meinem Mann und mir, während er lernte auf eigenen Beinen zu stehen. Vielleicht wollte er mich veralbern, als er das sagte, ich weiß es nicht genau. Vögel gibt es auf dem Gemälde jedenfalls keine.“
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Jasmin Schreiber, Berlin „Manchmal steht Besuch in meinem Bad und wundert sich. Darüber, dass ich vermeintlich zehnmal den gleichen Nagellack besitze. Dabei stimmt das überhaupt nicht – meine Sammlung umfasst ganz und gar unterschiedliche Nuancen von Rosa, Rot und Orange. Ich trage den Lack jeweils zur Tagesform passend.“
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Imke Jurok, Hamburg „In meinem Badezimmer steht eine Schatulle mit Löwenfüßen von einem Flohmarkt in Süditalien. Sie war eigentlich für unsere Ferienwohnung in Monopoli, Apulien, gedacht, aber dann musste sie doch mit nach Hamburg, wo wir eigentlich leben. In der Schatulle befinden sich zwar nur rostige Haarklammern, Sicherheitsnadeln, verlorene Knöpfe und ein Stummel Kajal, aber diese Dose erinnert mich jeden Tag an Wäsche-auf-dem-Dach-Aufhängen, lautstark palavernde Nachbarn und Wein zum Mittagessen, wie das nur in Italien gibt.“
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Emma Patterson, London „Ich mag duschen fast genauso gern wie schlafen. Es scheint eine der wenigen Beschäftigungen zu sein, bei denen der Körper die Sorgen des Geistes vollkommen ausschaltet. Wenig überraschend also, dass das Badezimmer einer meiner Lieblingsorte in der Wohnung ist. Es befriedigt so viele ursprüngliche Bedürfnisse, Wärme, Ruhe, man hat ein Plätzchen ganz für sich. Ich mag es nicht, wenn zu viel herumsteht, deswegen halte ich mich an die Basics. Shampoo, Conditioner und vielleicht ein besonderes Face-Peeling, das verspricht, die Zeit zurückzudrehen. Daneben, vor unseren leicht psychedelischen Badezimmerfliesen, stehen meine Lieblingszahnbürste sowie eine selbstgemachte Ananas, ein Hochzeitsgeschenk. ‚Pineappple‘ war nämlich der erste Spitzname, den mein Mann für mich fand, weil er die Art so mochte, wie ich meine Haare trage.“
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„Die Kette habe ich in den Achtzigern mit meiner Mutter und meinem älteren Bruder im Bett gebastelt. Meine Mutter hat sie zu blondierten Haaren und getigerten Leggings getragen. Godzilla habe ich meinem kleinen Bruder auf dem Flohmarkt abgekauft, das Geschäft lief nicht gut. Seither steht er auf unserem Spiegelschrank im Bad. Er passt gerade so unter die Decke. Und die Taschenuhr trägt meine Initialen. Ich habe sie von meiner Mutter, die dieselben Initialen hat. Neben einem Ring, den ich am Finger trage, ist das alles, was ich an Schmuck besitze.“
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Philomene Magers, Berlin „Unser Badezimmer ist ein Ruheort. Ich halte mich gerne darin auf und kläre morgens meine Gedanken. Die Steinplatten geben ihm eine stabile Kühle, und wenn man in der Badewanne liegt, erkennt man in der Maserung des Steins immer neue Bilder.“
Die Frauen im Buch sind zwischen 20 und 75 Jahre alt, manche leben auf dem Land, viele in Großstädten, in Tokio, Johannesburg oder in Berlin. Manche kannten wir bisher noch nicht, andere schätzen wir schon längst: So etwa Lena Dunham, Sheila Heti, Hanya Yanagihara („A little life“), Erica Jong, Lily Brett, Veronika Heilbrunner, Mirna Funk, Kera Till, Leanne Shapton oder Margo Jefferson.