Vulvinchen-Gründerin & Sexualpädagogin Agi Malach: „Der Bezug zum eigenen Körper fehlt oft“

Ach ja, das weibliche Geschlecht. Wo Männer vielfältige und kreative Begriffe für den Penis haben, sprechen Frauen oft nur von „da unten“ oder „untenrum“, wenn es um ihre Vulva geht. Warum eigentlich? Das weiß die Sexualpädagogin Agnieszka „Agi“ Malach. Vor zweieinhalb Jahren hat sie ihr Projekt Vulvinchen gegründet und verkauft seitdem Schmuck in Vulva-Form. Wenn die Berlinerin nicht gerade liebevoll Fimo-Vulven formt, gibt sie Workshops, hält Vorträge und versucht, das Thema Vulva zu enttabuisieren. Ein Gespräch über Sexualität, Scham und Selbsterforschung.

 

 

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Agi, erinnerst du dich noch, an wen du deinen ersten Vulvinchen-Schmuck verkauft hast?

Das lässt sich nicht mehr so eindeutig ausmachen! Ich habe die ersten Vulvinchen-Anhänger für eine WG-Party gemacht. Ein Freund von mir meinte: „Bring doch mal ein paar von den Dingern mit, dann verkaufen wir die gegen Spenden“. Die WG-Party war riesig, es waren jede Menge Menschen da und die kleine Schale mit Vulvinchen-Anhängern wurde mir förmlich aus der Hand gerissen (lacht).

Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, Schmuck in Vulva-Form herzustellen?

Die Idee ist aus meiner Arbeit als Sexualpädagogin entstanden. Wenn ich in Schulen gehe oder Workshops gebe, spreche ich mit den Schüler*innen und Teilnehmer*innen natürlich über den Körper. Dafür haben meine Kolleg*innen und ich auch Anschauungsmodelle. Dabei ist mir dann irgendwann aufgefallen, dass es superviele Penisse gibt, aus den verschiedensten Materialien: aus Holz, aus Gummi, und so weiter. Aber Vulven, davon gab es kaum welche! Wir hatten nur so eine Art Vulva-Kissen und ein sehr anatomisches Modell aus dem Piercingstudio. Also habe ich beschlossen, selber aktiv zu werden.

Du bist quasi in die Vulva-Produktion eingestiegen!

Genau! Ich habe mir gedacht, ich bastel mir ein eigenes Vulva-Modell aus dieser Modelliermasse Fimo. Das hat nicht so gut funktioniert, aber es war noch ein wenig Fimo übrig und da habe ich dann einfach einen Kettenanhänger draus gemacht. Das war der Anfang von Vulvinchen: Ich habe viele kleine Vulven gebastelt und fand die so schön, dass ich sie mir tatsächlich um den Hals hängen wollte. Einen Tag später kam mir der passende Name – Vulvinchen – in den Sinn. Mit Paint habe ich ein Logo entworfen, so ganz simpel, und mir eine Facebook-Seite zugelegt.

Hattest du so eine Art Businessplan? Die Monetisierung der Vulva?

(lacht) Nee, da steckte überhaupt kein Plan dahinter! Ich habe mich nicht mit Marketing oder Zahlen auseinandergesetzt oder damit, wie viel ich produzieren will. Ich hatte nur diese Vision und den Spaß daran, es zu machen.

 

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Als Sexualpädagogin bist du auch oft in Schulen unterwegs. Welche Erfahrungen hast du da gemacht?

Ich finde es total wichtig, den Kindern und Jugendlichen Wissen über ihren eigenen Körper zu vermitteln. Wir haben meist nämlich immer noch einen schlechten Zugang zu unseren Körpern! In den Biologie-Büchern werden Körper nur als Querschnitte dargestellt, so ganz klinisch. Wenn ich also mit den Schüler*innen spreche und den Körper und die darin stattfindenden Abläufe eingehend erkläre, dann sorgt das schon für riesige Augen: Ah, so ist das, so läuft zum Beispiel mein Zyklus! In einigen Schulklassen gibt es eine sehr normierte Vorstellung davon, wie eine Vulva auszusehen hat – nämlich hell, rasiert, glatt…

[typedjs]Der Drang, den eigenen Körper zu erforschen, ist bei vielen einfach nicht da. Das ist per se nicht schlimm – aber es ist schlimm, wenn es aufgrund von Scham und Ekel geschieht.[/typedjs]

Und schockiert dich das?

Schon. Generell schockiert es mich, wie oft der Bezug zum eigenen Körper fehlt. In der Pubertät ist es ja normal, dass man mit den Veränderungen am eigenen Körper erstmal klarkommen muss. Natürlich fragt man sich da, was normal ist und was nicht. Aber abgesehen davon gibt es einen dauerhaften Nicht-Bezug zum Körper. Es gibt einen Ekel, sich anzufassen. Das kommt nie offensiv als Aussage, von wegen: „Ich ekele mich vor meinem Körper“! Es kommt eher bei Themen wie Verhütung zum Ausdruck. Wenn ich erkläre, wie der Nuva-Ring eingeführt wird, ist die Reaktion häufig: „Iiiih, da muss ich mich ja anfassen!“ Gleiches gilt für Menstruationstassen. Es reicht einfach nicht aus, nur biologisch-medizinisches Wissen über den Körper zu vermitteln. Sexualität ist ja etwas, das auch mit Wohlbefinden und Lust zu tun hat. Wenn ich aber darüber spreche, wird das ganz oft abgelehnt. Oft werde ich gefragt: „Warum soll ich mich anfassen? Wozu?“ Der Drang, den eigenen Körper zu erforschen, ist bei vielen einfach nicht da. Das ist per se nicht schlimm – aber es ist schlimm, wenn es aufgrund von Scham und Ekel geschieht.

Eigentlich sind wir doch heute alle so frei, auch sexuell. Warum fällt es gerade Mädchen und Frauen trotzdem oft schwer, über „untenrum“ zu sprechen?

Uff, da müsste ich kulturhistorisch ganz weit ausholen! Tatsächlich leben wir in dem Glauben, dass wir ganz viel über Sexualität sprechen. Aber die Qualität, in der wir über Sexualität sprechen, ist nicht gut. Es bleibt immer alles an der Oberfläche: Wenn es zum Beispiel um Grenzen geht, um Scham, dann wird es ganz schnell still.

Okay, aber zurück zum Thema: die Vulva und die damit verbundene Scham…

Also, ich glaube, das hat ganz viel mit Sichtbarkeit zu tun. Wenn etwas nicht sichtbar ist, dann ist es auch nicht in unserem Bewusstsein sichtbar. Die Vulva ist außerdem ideologisch vorbelastet: Man muss nur mal an Begriffe wie Jungfernhäutchen denken, oder Schamlippen! Warum sagen wir sowas? Unsere Sprache ist extrem lustfeindlich. Letztendlich leben wir ja nicht in einem Vakuum, sondern in einer Gesellschaft – und wenn die Vulva nirgendwo sichtbar ist, wenn Mädchen und Frauen ihr Wissen und ihre Lust nicht teilen können, warum sollten sie sich dann damit beschäftigen?

Wenn man sich aber mal online umschaut, kann man schon den Eindruck bekommen: Die Vulva hat gerade einen Moment, sie ist irgendwie… angesagt?

Das stimmt, und es freut und beruhigt mich ein wenig (lacht). Das Thema ist in den letzten Jahren präsenter geworden. Ich finde es toll, dass Menschen es angehen, ob politisch oder künstlerisch, oder einfach, weil sie Spaß dran haben.

 

[typedjs]Da war ein kleines Mädchen, das immer sagte, ihm tue sein „Schmetterling“ weh. [/typedjs]

Leiden wir alle unter Sprachlosigkeit – im wahrsten Sinne des Wortes – wenn es um die Vulva geht?

Es geht um Sichtbarkeit, und Sichtbarkeit erreicht man auch durch Sprache. Schon bei kleinen Kindern ist es wichtig, dass sie Begriffe für ihre Genitalien haben. Wenn nämlich die Eltern sprachlos sind, dann setzt sich das auch bei den Kindern fort. Ich erinnere mich an ein Erlebnis in einer Kita: Da war ein kleines Mädchen, das immer sagte, ihm tue sein „Schmetterling“ weh. Meine Kolleg*innen und ich haben ewig gebraucht um zu verstehen, dass das Mädchen Schmerzen an der Vulva hatte – weil es eine Blasenentzündung hatte! Aber nicht nur Kinder brauchen Begriffe, auch wir Erwachsenen müssen uns damit auseinandersetzen, welche Wörter wir benutzen wollen. Ich habe beispielsweise verschiedene Begriffe für verschiedene Kontexte: je nachdem, ob ich mit meinem Partner zusammen bin, ob ich einen Vortrag halte oder mit meiner Gynäkologin spreche…

Gibt es Begriffe, die du selber in Bezug auf die weiblichen Geschlechtsorgane ablehnst?

Ich bin kein großer Fan vom Wort „Scheide“. Das ist ein sehr gewaltvolles Wort – ohne Schwert ist die Scheide nichts wert oder so. Was ich hingegen gut finde ist, sich das Wort „Fotze“ wieder anzueignen. Wenn das gelingen könnte, das wäre toll.

Warum sind Frauen eigentlich so besessen von der Form ihrer Vulva? Steckt dahinter wirklich der „Porno-Effekt“ – oder ist es sehr viel komplexer als das?

Also, erstmal ist Porno ja per se nichts Schlechtes. Es gibt vielfältige und queer-feministische Pornos, in denen verschiedene Körper und Praktiken gezeigt werden. Aber es stimmt: Im Mainstream-Porno gelten ganz bestimmte Normen: Die Vulva ist rasiert, hell, hat kleine Lippen und da guckt nirgendwo irgendwas raus. Auch der Anus ist gebleicht und hell! Natürlich verfügen Menschen über Medienkompetenz und können zwischen der Realität und dem, was sie in einem Film sehen, unterscheiden. Wenn wir aber immer nur einseitige und normierte Bilder der Vulva sehen, kann sich das in uns verfestigen. In Biologie-Büchern beispielsweise ist die Vulva meist nicht mehr als ein Schlitz, ein Strich. Da wird nicht thematisiert, dass die äußeren und inneren Lippen dick, dünn, schrumpelig oder was auch immer sein können.

 

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Unser Verhältnis zur Vulva ist also komplexbeladen. Kann man denn trotzdem einen entspannten und aufgeklärten Umgang mit seiner Vulva lernen?

Klar, das kann über verschiedene Herangehensweisen geschehen. Ziel ist dabei eindeutig nicht dieses Ganze: Ich muss meinen Körper so lieben, wie er ist, und die Vulva muss meine beste Freundin sein. Das erzeugt nämlich enormen Druck! Stattdessen sollte das Ziel sein, ein Bewusstsein dafür zu bekommen, wie ich ganz persönlich zu meiner Vulva stehe. Manche Menschen sind sehr optisch veranlagt: Die können einfach mal ein bisschen googeln, sich anschauen, was da zum Thema „Vulva“ so auftaucht, und sich fragen, was diese Bilder mit ihnen machen – was gefällt mir, was nicht, und warum? Es geht darum, auch zu hinterfragen, in die Vergangenheit zu schauen und herauszufinden: Warum ist das so? Wie ist meine Familie, wie sind meine Erzieher*innen mit dem Thema umgegangen? Durfte ich meine Vulva als Kind zeigen? Durfte ich mich anfassen? Man kann sich natürlich auch vor einen Spiegel setzen und sich die eigene Vulva anschauen. Das kann jede Menge verwirrende Gefühle und Reaktionen hervorrufen – und die haben alle ihre Berechtigung! Wer eher haptisch veranlagt ist, kann sich abends im Bett einfach mal die Hand auf die Vulva legen und schauen, wie sich das anfühlt, und das über einen längeren Zeitraum wiederholen. Toll finde ich auch, wenn man versucht, die eigene Vulva zu malen. Eine Freundin hat mich mal gefragt: „Würdest du deine Vulva unter hunderten Vulven an der Wand erkennen?“. Gute Frage!

Und wenn ich das Ganze eher theoretisch angehen will?

Da gibt es tolle Bücher (Empfehlungen am Ende des Textes, Anm.) – es kann hilfreich sein, erstmal nachzuvollziehen, woher bestimmte Bilder und Normen kommen. Generell kann man sich über diese verschiedenen Herangehensweisen dem Thema nähern und in Ruhe schauen: Was passiert mit mir? Sobald etwas gedanklich in Bewegung kommt, verändert sich was – und, davon bin ich überzeugt, zum Positiven. Am Ende steht dabei nicht immer die absolute Befreiung. Es ist genauso okay, wenn man feststellt: So wie ich denke und fühle, komme ich gut klar damit. Oder: Ich will mich nicht anschauen.

Man kann sich ja auch erstmal eine Vulvinchen-Kette zulegen! Aber glaubst du, dass eine Vulva-Halskette wirklich so viel verändern kann?

Ich erhoffe mir von dem Projekt vor allem, dass ich damit Menschen erreiche und sie über dieses Thema ins Gespräch bringe. Weil dann nicht mehr dieses Schweigen besteht, dieses Todschweigen.

Noch nicht genug vom Thema Vulva? Hier sind Agis Lektüre- und Instagram-Tipps:

Laura Méritt: Frauenkörper neu gesehen. Ein illustriertes Handbuch (2012)

Liv Strömquist: Der Ursprung der Welt (2017)

Naomi Wolf: Vagina. Eine Geschichte der Weiblichkeit (2013)

Mithu M. Sanyal: Vulva. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts (2009)

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