Ich erinnere mich nicht mehr, wann ich Pola zum allerersten Mal traf, vor drei Jahren vielleicht oder vier, es war jedenfalls ein kalter Tag und irgendwo in Hamburg, der Himmel sah traurig aus, aber Pola nicht. Sie leuchtete. Und Leute, die leuchten, sind mir ja bekanntlich die liebsten, weil sie präsent sind ohne sich aufzudrängen, weil sie der Seele gut tun, wie bunte Medizin, die gegen den Verdruss der grauen Masse hilft. Pola ist das Gegenteil von Grau, oft laut, vor allem dann, wenn es sein muss, aber im richtigen Moment auch leise, und jedes Mal, wenn ich sie wiedersehe, wünsche ich mir eine Teekanne aus Porzellan herbei, die wie jene des Hutmachers in Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ auf Ewig voll bleiben möge. Weil Pola so viel zu erzählen hat. Über das wilde Leben, ihren Spagat zwischen Hamburg und Berlin, über ihre Freundin Thekla, mit der sie die Kleiderei gründete, über Nachhaltigkeit und Feminismus, über das Frauenkollektiv _innen, ihr einstiges Kunststudium oder über Simone De Beauvoir, die übrigens am gleichen Tag Geburtstag hat wie die heute 27-jährige Pola Fendel selbst, die kein Buch lesen kann, ohne Knicke in den Seiten zu hinterlassen:
Aber jetzt erzähl mal, Pola
– welche Bücher haben dich geprägt?
Kafka am Strand / Haruki Murakami
Mein erstes Lieblingsbuch, lässt man eine pre-teenage Sucht nach Miss Marple und Hercule Poirot außer Acht. Ich war ein bisschen zu jung, um Murakami zu lesen, darum klebte meine Mama bei Mister Aufziehvogel die zu harten Seiten zusammen. Kafka am Strand konnte ich ohne verklebte Seiten lesen und wie ich es verschlang, binge reading, dieses seltsame Coming Of Age Märchen in all seiner Sprachgewalt.
Dieses Buch war das erste, das mir als manchmal ein wenig einsamen Teenie eine Art Familie wurde; ich las immer wieder einzelne Passagen als würde ich mich mit ihm unterhalten und sonst stand es beruhigend sicher in meinem Regal.
On The Road / Kerouac
Nach dem Abi musste ich schnellstens weg aus meiner plötzlich zu klein gewordenen Heimatstadt Köln und raus, natürlich nach Amerika. Meine dreimonatige Reise durch das Land (per Greyhound Bus !!) wurde begleitet von Kerouacs On The Road. Gekauft in Strands Bookstore in New York wurde es zu meiner Post-Köln, Das-Leben-Ist-Ein-Abenteuer Bibel und die treibende aufgeregte Unruhe in mir entsprach genau der Kerouacs Zeilen und ihrem ratternden Tempo.
“[…]the only people for me are the mad ones, the ones who are mad to live, mad to talk, mad to be saved, desirous of everything at the same time, the ones who never yawn or say a commonplace thing, but burn, burn, burn like fabulous yellow roman candles exploding like spiders across the stars and in the middle you see the blue centerlight pop and everybody goes “Awww!”
Die unsichtbare Frau / Siri Hustvedt
Es ist eigentlich unmöglich, ein paar Sätze über Siri Hustvedts Debüt zu finden. Ich fühle mich zuhause in diesem Buch, verstanden. In der Zeit als ich es das erste Mal las, hatte ich gerade angefangen zu studieren und Die unsichtbare Frau erzählte mir von mir: davon, eine junge Frau zu sein, von dem Gefühl sich aufzulösen und gleichzeitig sehr intensiv zu existieren. Und von der Suche nach (weiblicher) Identität, ohne jede Floskel.
Der Idiot / Dostojewski
Vielleicht war es meine Liebe zum Sonntagsmärchen (Achtung TV Tipp: immer Sonntags direkt nach der Sendung mit der Maus), meistens alte russische und tschechische Verfilmungen, die mich zur russischen Literatur brachte.
Russische Autoren lesen ist ein bisschen wie ich mir Game of Thrones gucken vorstelle – ultra lang und ultra gut gemacht, aussichtslose Liebe, Macht und Intrigen und unzählige detailliert gezeichnete Charaktere mit Namen, die man sich nicht merken kann.
Der Idiot ist mir das liebste (okay und die Möwe von Tschechow, aber irgendwann muss diese Liste ja auch ein Ende haben), warum ist schwer zu sagen – vielleicht weil ich ein wenig verliebt bin in die Hauptfigur Fürst Myschkin, der titelgebende „Idiot“ ? Vielleicht wegen seines Scheiterns an der vermeintlichen „Normalität“ ? Als ich das Buch in der Trennungszeit von meinem Exfreund zum zweiten Mal las, hatte ich vergessen, wie es ausgeht und mein Herz brach doppelt.
nur die / Heike-Melba Fendel
Das Leben einer Frau, erzählt in Fragmenten, sozusagen die erwachsenere Entsprechung Hustvedts Unsichtbarer Frau. Dieses Buch ist wichtig, nicht nur weil es für eine Tochter aufregend ist, in Leben und Betrachtungen der eigenen Mutter zu streunen, sondern weil wir selten genug die literarische Möglichkeit eines female gaze erhalten. Und noch seltener in einer solch sprachlichen Poesie. Von philosophisch bis zu Sätzen, die sich jedes Teenager Mädchen in ihren Schulordner kleben sollte: „Leben Sie, solange es geht, im Abenteuer!“
Ich schreibe, um herauszufinden, was ich denke /
Susan Sontag
Ich fing sehr spät mit Mitte 20 an, Sontag zu lesen, nicht wegen der zunehmenden Beschäftigung mit Feminismus, sondern weil ich in meinem Filmseminar Jugoslawien, eine Auflösung in Bildern erfuhr, dass Sontag zur Zeit des Bosnienkrieges Anfang der 90er Jahre eine immens wichtige Rolle in meiner Herzensheimat Sarajevo gespielt hatte. „Jeder, der neutral diesem Krieg gegenüber steht, ist scheiße“ — ihre Arbeit dort zeigt auch, was für eine Bedeutung und politische Wirksamkeit Kunst bekommen kann.
Klar, sollte man wahrscheinlich lieber ihre Essays lesen als ihre Tagebücher, wenn man sowas überhaupt pauschal sagen kann, aber ich liebe den seltsam intimen Blick ins Innere dank Tagebüchern (übrigens auch die von Albert Camus, wenn ich noch eine kleine Leseempfehlung am Rande aussprechen darf).
Sagte zwar Sylvia Plath, aber genau das ist der Geist dieses Tagebuchs. I feel you, Susan.