Geht es ums Thema Kinder, kann man es ja nur falsch machen. Insbesondere dann, wenn noch keine Kinder da sind. Ein Seufzer.
Letztens, im Ruhrgebiet. Ich stand Samstagsmorgens in dem Blumenladen, in dem meine Familie schon seit Jahrzehnten vom Geburtstagsblumenstrauß bis zum Tannenbaum so ziemlich alles kauft. „Für wen ist der Strauß denn?“, fragte die Verkäuferin, während sie meinen Kauf einpackte. „Für meine Freundin Leonie“, strahlte ich, „die ist nämlich gerade zum ersten Mal Mama geworden!“ Freudiges Seufzen bei der Verkäuferin sowie bei der anderen Kundin, die gerade an der Kasse bezahlte. „Das ist ja schön“, sagte die Verkäuferin. „Wie alt ist Leonie denn?“ Ich antwortete, dass Leonie so alt sei wie ich, also im Januar 30 würde. Nun schaltete sich die andere Kundin, schätzungsweise in ihren 60ern, in das Gespräch ein: „Ich sach ja immer: Das erste Kind vor 30. Sonst ist das nix! Ich war ja damals quasi schon eine Spätgebärende, hab mein erstes Kind mit 25 bekommen.“ Ich kam kaum dazu, freundlich zu nicken, da machte sie schon weiter: „Ich meine, manchmal klappt das ja auch nicht. Oder es geht was schief. Aber nee, Abtreibung, das kam bei mir nie in Frage. Sollte es auch nicht! Der liebe Gott hat sich bei allem schon was gedacht.“ Ich lächelte angestrengt, bezahlte, verließ den Laden und fragte mich, was ich getan hatte, um so eine Unterhaltung Samstagmorgens um zehn zu verdienen.
Wenig subtile Diskussionen
Kinder, das wurde mir wieder einmal bewusst, ist ein Thema, bei dem viele Menschen reinreden und mitmischen wollen. Das wissen Eltern sowieso, das wissen aber auch diejenigen, die überhaupt noch keine Kinder haben. Ich dachte immer, das sei ein Mythos, aber je mehr ich mich der 30 nähere, desto klarer wird: Für einige Menschen bin ich nicht mehr Julia, sondern eine wandelnde Gebärmutter. Eine ungenutzte Gebärmutter, wohlgemerkt. Mir gegenüber trauen sich die Verwandten und Bekannten meist nicht, das so direkt anzusprechen – meiner Mutter gegenüber haben sie aber keine Hemmungen. Ob meine Mutter denn nicht auch gerne Großmutter werden würde, fragte eine soeben zur Großmutter geadelte Verwandte besorgt. Woraufhin meine Mutter souverän antwortete, natürlich würde sie gerne Großmutter werden, zur Schwangerschaft könne sie ihre beiden Töchter aber nunmal nicht zwingen.
In anderen Familien verläuft diese Diskussion weniger subtil. Zwei Töchter einer befreundeten Familie, Ende 20 und Anfang/Mitte 30, müssen sich auf sämtlichen Familienfeiern mit ihrem vermeintlichen Versagen auseinandersetzen. Da sagt die Oma enttäuscht Dinge wie: „Katharina, du nimmst die Pille? Aber… dann kann ja gar nichts passieren.“ Dass Katharina keinen Partner hat, mit dem sie das großmütterlich herbeigesehnte Kind bekommen könnte, stört offenbar nicht – Hauptsache, sie wird schwanger. Irgendwie. Ist dann endlich ein Kind da, reicht das aber auch nicht. „Wollt ihr denn kein Zweites?“, lautet die Frage, kaum dass Kind Nr. 1 geschlüpft ist.
Können wir uns nicht einfach mal ein bisschen locker machen?
Wie man es macht, ist es falsch. Keine Kinder zu haben und eventuell auch gar keine Kinder haben zu wollen, stößt immer noch auf völliges Unverständnis. Freiwillig Kinderlose gelten als irgendwie seltsam, gestört, unnormal. Menschen, die zwar Kinder haben wollen, aber vielleicht noch nicht jetzt, werden gnadenlos unter Druck gesetzt: Warum denn warten, noch seid ihr jung, etc. etc. Und Eltern können sowieso nichts richtig machen, schließlich wissen alle anderen besser, wie sie ihre Kinder erziehen sollten, und warum ein Einzelkind eine ganz blöde Sache ist.
Je älter ich werde, desto mehr nervt mich das alles. Können wir uns nicht einfach mal ein bisschen locker machen? So als Gesellschaft? Uns nicht ständig in die Lebensentscheidungen anderer Menschen einmischen und ihnen im schlimmsten Fall ein schlechtes Gewissen einreden? Ich habe keine Lust mehr auf Fragen wie: „Hat deine Schwester eigentlich einen Freund?“, und, wenn ich verneine, auf wissendes Nicken: „Dann bist du wohl gefragt.“ Als ob das Überleben meiner Familie von meiner Reproduktionsfähigkeit abhinge. Genauso wenig habe Lust auf Situationen wie folgende: Eine Freundin gesteht, dass ihr Vierjähriger gerade unausstehlich ist. „Mein lieber kleiner Junge ist zu einem Monster geworden“, seufzt sie. Ich unterhalte mich darüber mit vier männlichen Bekannten, alle kinderlos, die sofort wissend nicken: „Klar, das ist halt die Trotzphase“ und sodann die besten Erziehungsmethoden für den bockigen Jungen diskutieren. Kennen sie ja alle bestens. Nicht.
Beim nächsten Mal
Im Nachhinein wünschte ich, ich wäre im Blumenladen schlagfertiger gewesen. Ich wünschte, ich hätte zu der anderen Kundin so etwas gesagt wie: „Wissen Sie, ich bin fast 30, aber weder fühle ich mich unzulänglich, noch mache ich mir Stress, weil ich keine Kinder habe. Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob ich welche haben will. Na und? Im Übrigens: Abtreibungen haben nichts mit Gottes Plan zu tun, sondern sind persönliche Entscheidungen, und oftmals schwierige noch dazu. Schönen Tag noch!“ Aber vielleicht schaffe ich es ja beim nächsten Mal. Denn das es ein nächstes Mal, eine ähnliche Situation gibt, das steht fest.