Kürzlich gab es ein Wochenende, an dem sich bei mir die Ereignisse in puncto gesundes Abschalten im stressigen Alltag derart überschlugen, dass ich mich beinahe den Männern und Frauen in weißen Kitteln überließ. Ich fasse mal kurz zusammen:
1. Freitag Abend beim Essen mit Freunden: Während ich mir gerade genüsslich die mit einem köstlichem Wok-Gericht beladene Gabel in den Mund schob, klingelte mein Handy. Ist ja nicht so, als wäre es nicht schon schlimm genug, das ich das Teil am Tisch habe. Nein. Ich setzte noch einen drauf: „Ähähä, scusi, da muss ich leider kurz rangehen. Ist wichtig!“.
2. Samstag Abend im Deutschen Schauspielhaus: Eine Minute vor der Premiere des Stücks „Zum goldenen Handschuh“ von und mit Heinz Strunk inhaliere ich nicht etwa das Programmheft und bereite mich mental auf diese (übrigens ganz großartige!) Inszenierung vor, sondern checke hektisch im Sekundentakt, ob ich eine überlebenswichtige Antwort auf meine Mail bekommen habe. Natürlich ganz zur Freude der Menschen neben mir.
3. Sonntag Abend während eines Films, den ich mir mit meinem Freund reinziehe, springe ich wie von einer Tarantel gestochen vom Sofa und quieke: „Shit, ich muss dem Finanzamt noch das Dokument mailen!“ Sexy, ich weiß.
Ich stecke da eben seit einiger Zeit in den Fängen der Selbstständigkeit und habe das scheinbar unüberwindbare Problem bekommen, nie wieder Feierabend machen zu können. Versteht mich nicht falsch, ich liebe es selbstständig zu sein, denn nur so kann man auch mal unter der Woche bis um zehn schlafen, genüßlich frühstücken, Yoga machen, einkaufen fahren, wann immer einem gerade danach ist und sich auch mal erst um 14 Uhr an den Schreibtisch setzen, um dann als Ausgleich die ganze Nacht durchzuarbeiten. Man entscheidet alles selbst. Klasse, oder? Nein. Denn so sehr ich es auch genieße unabhängig zu sein – man ist sein ganz eigenes kleines Unternehmen, um das man sich in allen Punkten selbst kümmern muss. Und mein persönlicher Endboss bei diesem Freelancer Game heißt Time Management. Bedeutet: Sich während der Arbeitszeit wirklich nur auf die Arbeit zu konzentrieren und nicht ablenken zu lassen; dafür außerhalb der Arbeitszeit auch mal den Laptop auszumachen und das Handy wegzulegen. Aber im Grunde gilt diese Regel nicht nur für die Selbstständigkeit, sondern für alle Arbeitsformen. Denn ich kenne genügend Leute, die auch bei einer Festanstellung in ihrer Freizeit nicht abschalten können.
Aber ich ackere planlos durch den Tag und träume dabei heimlich von einem kleinen Manager-Mainzelmännchen, das mein ganzes Leben regelt. Ich würde dann nur noch meine Artikel in die Tastatur hauen, ein paar wichtige Termine machen und danach einfach mein Leben chillen. Das Manager-Mainzelmännchen würde sich um all die anderen Dinge kümmern wie Rechnungen schreiben, Mails beantworten, wichtige Telefonate führen, Steuererklärung vorbereiten, die Krankenkasse bequatschen, unerwartete Probleme klären, die Selbstständigkeit regeln. Alles, was mir in meiner persönlichen Entwicklung irgendwie echt gar nichts bringt. Seien wir ehrlich: Jede*r von uns träumt von so jemanden, oder?
Da die Möglichkeit des Manager-Mainzelmännchens jedoch eher ausgeschlossen werden kann, gibt es also nur noch einen Weg, um einigermaßen im Leben klarzukommen. Der schöne Teil des Time Managements: Das Abschalten, sobald man frei hat. Egal, ob es sich um einen Feierabend und einen Urlaub handelt.
Umso glücklicher war ich als mir ein etwas längerer Feierabend in Form einer Reise nach Patagonien bevorstand und ich dem agilen Alltag und Lebenswahnsinn endlich mal kurz entfliehen konnte: 10 Tage weg vom Schreibtisch, raus aus Hamburg, Deutschland, Europa – bis ans andere Ende der Welt. Einfach mal Handy, Laptop, Telefonanrufe, Mails, Papierkram und den restlichen Stress zu Hause lassen. Yes. Es war höchste Zeit – und ich war derart bereit dafür. Dachte ich.
Denn schon im Voraus hieß es, wir würden kein Netz haben. Klasse! Hatte ich gefühlt das letzte Mal mit 14. Doch schon am Flughafen fragte ich die anderen der Reise-Crew: „Äh, so gaaar kein Netz?“. Sorry, aber ich konnte mir das einfach nicht vorstellen. Nicht im Jahr 2017. „Ja! So gar kein Netz!“ war die Antwort, die mich auf einer Skala von eins bis Panik nach ganz weit oben katapultierte. „Ich checke lieber noch mal alle Mails der letzten drei Tage, schaue, wem ich bei WhatsApp noch nicht geantwortet habe und rufe hier und da kurz an und sag Bescheid. Nur um ganz sicher zu gehen“, dachte ich.
Zumindest merkte ich selbst, wie irre ich geworden war und fragte mich dann: Warum war es vor 15 Jahren noch möglich super entspannt in den Feierabend zu tanzen oder für ein paar Tage wegzufahren, sein Handy und seinen Laptop auszumachen und erst wieder erreichbar zu sein, wenn man zurück am Schreibtisch war? Und: Ist es überhaupt so, dass andere es uns heutzutage übel nehmen, wenn wir mal nicht antworten oder sind es einfach nur wir selbst, die sich total verrückt machen?
Also beschloss ich kurzerhand einen Selbstversuch zu starten und eine absolute Handy- und Laptop-Auszeit zu wagen. Keine Telefonate entgegennehmen, keine Mails beantworten, keine SMS schreiben. Allein das Vorhaben machte mich schon stolz. Aber ganz ehrlich, was blieb mir auch anderes übrig, ich saß ja bereits im Flieger ins Paradies. Einen halben Tag später also: ich in Patagonien. Wildnis. Wüste. Nix. Kein Empfang. Nicht einmal Strom. Und das fast durchgehend. Okay, cool. Ich muss sagen: Es war echt seltsam weder jederzeit jemand anrufen zu können noch ständig zu checken, was los war. Hätte mir jemand erzählt, dass man echte Entzugserscheinungen bekommen würde, weil man ständig automatisch auf sein Handy guckt, wie ein Roboter ganz selbstverständlich irgendwelche Apps öffnet oder dass morgens noch bevor das Licht angeht, der erste Griff zum Handy geht, hätte ich ihn ausgelacht. Aber so war es.
Was ich auch nicht bedacht hatte: Selbst wenn das Handy kein Netz hatte – das Gehirn hatte es schon noch. Und so checkte ich zwar nicht stündlich meine Mails und Anrufe auf dem Handy, doch in meinem Kopf hat sich eine ganz eigene Checkliste gebildet. Hier eine Artikel-Idee für später, da ein Anruf, den ich unbedingt tätigen muss, sobald ich wieder Netz habe, dann noch diesen und jenen Termin, den ich nicht vergessen darf und ach ja, bei dieser Kollegin muss ich mich auch endlich mal melden. Es dauerte genau zwei Tage bis ich mal merkte, was da eigentlich abging, mich offiziell für geisteskrank erklärte und fortan konsequent zwang auch das Hirn mal herunterzufahren. Selbsttherapie it is.
Ab Tag drei konnte ich mich dann endlich auf die wirklich wichtigen Dinge dieses Trips einlassen: das wunderschöne Land, seine unfassbare Natur und die Tiere, die Herzlichkeit der Menschen und unglaublich spannende und ehrliche Gespräche (bei denen ich übrigens herausfand, dass ich nicht die einzige Irre war, der es so ging). Was mir jeden Morgen und Abend dabei geholfen hat, abzuschalten, war das Meditieren. Ziel: Den Alltagswahnsinn mal für kurze Zeit hinter sich zu lassen, das Gefühl zu haben keine Verpflichtungen zu haben, sich vollkommen fallen zu lassen und auf das zu konzentrieren, was gerade ist und nicht, was sein könnte oder sein muss.
Mir wurde bewusst, dass wir uns immer selbst in eine Business Bubble stecken und uns dort gefangen halten. Weil wir ständig versuchen noch besser zu funktionieren, um anderen noch mehr zu gefallen und dadurch noch mehr zu erreichen. Was dabei auf der Strecke bleibt, sind wir selbst. Denn seien wir ehrlich, am Ende dankt es einem niemand – ob man nun Freitag Abend oder Montag Morgen auf eine Mail antwortet. Die Welt geht nicht unter. Auch wenn wir es manchmal denken.
Wer also wie ich nicht so gern mit einem Burnout ins 30. Lebensjahr starten möchte, für den gilt: Auszeit nehmen, Autoreply einstellen, wichtigsten Menschen Bescheid geben, Handy und Laptop ausschalten und einfach zwingen nicht mehr über das Alltagschaos nachzudenken. Nach zwei Tagen gewöhnt man sich schon daran – und es fühlt sich an wie drei Monate Urlaub auf Hawaii. Probiert’s aus.