Ich fühle mich so wunderbar leicht, denn ich besitze kaum etwas. Ein Zustand, den ich mir über Monate, ja Jahre erarbeitet habe und dessen Idee mich von Anfang an so packte, dass ich sofort süchtig wurde. Süchtig nach Ausmisten, verkleinern, Ballast abwerfen und einzelne Stücke wirklich lieben lernen. Süchtig nach einem Zustand der völligen materiellen Freiheit, den man viel zu schnell mit emotionaler Freiheit verwechseln kann. Süchtig nach Raum und Zeit – beides, das viel mehr im Kopf entsteht, als in einem leeren Wohnzimmer. Wo sich ein latentes Suchtgefühl einschleicht, findet sich auch ein starker Wunsch nach Veränderung. Ich musste lernen, dass Minimalismus mich nicht glücklicher machen kann, dafür aber zufrieden und ausgeglichener.
Als ich meinen ersten Decluttering-Prozess hinter mir hatte dachte ich: Jetzt kann ich mich von nichts mehr trennen, ich besitze weniger als die meisten Menschen und meine Wohnung sieht verdammt leer aus. Zwei Jahre später kann ich euch sagen, es geht immer noch mehr. Der Perfektionismus trieb und treibt mich immer weiter und ich versuche irgendwie den Spagat zu schaffen zwischen Zwang und Freiheit. Zwischen Wollen und Müssen. Zwischen Ankommen und Rastlosigkeit. Die Suche nach mehr Zeit und Kapazität und der Versuch meine Emotionen durch minimale materielle Ablenkung besser ordnen zu können ist mal erfolgreich und mal weniger erfolgreich.
Eine gute Erfahrung für mich war zu merken, dass weniger besitzen nie dazu geführt hat, dass ich mich schlechter, leerer oder einsamer gefühlt habe. Mein Leben ist eher intensiver geworden, weil eben mehr Platz da ist, für Gutes und für Belastendes. Es ist auch mehr Raum da für mich selber, viel Zeit für Gedanken und weniger Ablenkung. Ich kann mich nicht schnell mit etwas anderem beschäftigen, wenn mein Kopf anfängt zu rattern und meine Emotionen überkochen, denn es ist kaum etwas zum beschäftigen da. Ich würde sagen, dass das das schwierigste an einem minimalistisch geprägten Lebensstil ist:
Die Kraft aufzubringen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Und gleichzeitig hat mich genau das so unglaublich weitergebracht, weil es im Endeffekt etwas sehr positives ist.
Wenn ich an meinen ersten Minimalismus Artikel hier bei Jane Wayne zurückdenke merke ich, dass sich meine grundsätzliche Meinung geändert hat. Ich glaube nicht mehr, dass diese Art zu leben wirklich einfach durch die Bank weg für jeden etwas ist. Es verhält sich eher ähnlich wie mit dem Veganismus. Wenn man nicht innerlich das Verlangen nach echter Veränderung hat, nach dem sich selbst auf den Grund gehen, nach weniger materiellem Ballast, dann bricht man die Decluttering Reise nach kurzer Zeit ab. Man kann sich nicht zu dem Wunsch, sein Leben anders zu gestalten, zwingen. Auch zum Veganismus kann man sich nicht zwingen, denn wenn man etwas nicht mit ganzem Herzen möchte, dann schafft man es auch nicht. An dieser Stelle sei noch einmal gesagt, dass ich es völlig wertfrei meine, wer sich wann und ob überhaupt für etwas entscheidet. Ich behaupte nicht, dass ein minimalistisches Leben generell das Bessere ist, sondern nur, dass es für mich das Bessere ist.
Ein weiterer sehr positiver Nebeneffekt von weniger besitzen ist auch, dass ich viel weniger kaufe, dass ich bedachter kaufe und mehr Geld für Qualität ausgebe. Dadurch fühlt sich mein Leben beständiger und hochwertiger an. Ich spüre nicht mehr den Druck einen Trend mitzumachen oder ständig mein zu Hause zu verändern. Viele finden das vielleicht schade und ihnen würde damit ein Stück Lebensfreude entgehen, aber mir bereitet das Ganze einfach nur ein wahnsinnig friedliches Gefühl. Es ist, als wäre ich mittlerweile gegen den ganzen Konsumwahnsinn, zu dem wir tagtäglich angeregt werden, immun. Meine Bedürfnisse haben sich stark verändert und mein Verlangen nach materiellen Dingen ist auf ein Minimum gesunken.
In diesem Sinne wünsche ich euch ein wunderschönes zweites Adventswochenende, einen bedachten morgigen Shopping-Tag und möglichst viel Zeit mit euch selber.