Slow Sunday // Über steinige Neuanfänge, einsame Zeiten & den inneren Frieden

10.12.2017 box3, Slow Sunday, Kolumne

Es war verdammt schwer: Neue Stadt, neue Freunde, eine zerbrochene Beziehung und viel Heimweh. Mein Umzug nach Berlin vor knapp einem halben Jahr hat mich mehr Kraft gekostet, als ich dachte und mich von Grund auf verändert. Gelernt habe ich: Ein kompletter Neuanfang ist möglich, aber er braucht Zeit. Vor allem, um ein neues Zuhause zu finden.

Ich erinnere mich oft an den Moment, als das Taxi mit mir und meinem Koffer die Straße meiner Wohnung in Köln verließ. Damals mehr mit einem lachenden, als einem weinenden Auge, denn ich konnte nicht erwarten, meinem Leben einer riesigen Veränderung zu unterziehen. Ich wusste, dass ich flüchtete, aber weder gab es etwas, dass mich in Köln auch nur noch eine Sekunde halten konnte, noch wusste ich mir anders zu helfen.

Wir dachten, es sei eine Beziehung für die Ewigkeit, aber ich wir hatten uns getäuscht. Nach mehr als sieben Jahren, einem Ring am Finger und fast meinen ganzen Zwanzigern, war plötzlich Schluss. Das tut weh, für alle Beteiligten. Ich verabscheue den Satz “die Zeit heilt alle Wunden”, weil die Zeit eher alle Wunden verschließt, als unbedingt heilt. Schmerzhafte Erinnerungen verblassen irgendwann vielleicht, aber sie verschwinden eben nicht.

Es kam auch sonst alles zusammen. Meine zu der Zeit aktuelle Jobsituation hatte mich überirdisch unterfordert und auch meine innerfamiliären Begebenheiten schrieen lautstark nach massiver Veränderung – und nach Flucht. Berlin war die logische Konsequenz und die einzige, die sich uneingeschränkt richtig anfühlte. Zumindest in der Theorie. Ich will nichts schönreden, die ersten Tage waren extrem hart. Heimweh, ein bekanntes Gefühl für mich, aber nicht in dieser Form. Um morgens aufzustehen, brauchte ich fast drei Stunden, mein ganzer Körper tat so wahnsinnig weh, als hätte ich eine Grippe ohne weitere Symptome. Es war, als hätte mich jemand aus meinem alten Leben gerissen und einfach irgendwo ausgesetzt. Auf der Straße brach ich mehrfach in Tränen aus, einfach so und ohne Grund. Ich konnte nicht schlafen, nicht essen, ja eigentlich auch nicht sprechen. Ich fühlte mich, als würde ich schlafwandeln durch Berlin laufen, ohne Ziel und ohne Zeitgefühl. Trennungsschmerz von einem ganzem Lebensabschnitt. Und ich dachte, dieser Zustand würde nie wieder aufhören.

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Es dauerte eine Weile bis ich realisierte: Es wird niemand kommen und mich retten, mich aufbauen, mir helfen oder mich sonst irgendwie weiterbringen. Es gab genau mich selbst und niemand anderen sonst. Ich hatte diese Erkenntnis nicht zum ersten Mal in meinem Leben, aber diesmal war sie am deutlichsten. Es klingt so negativ, so allumfassend, aber ich habe gespürt, dass es eine echte Chance ist. Als Chance zu wachsen und für immer unabhängig zu sein – etwas, was ich nie wirklich war. Daraus schöpfte ich Kraft, enorm und für mich unvorstellbar viel Kraft – vielleicht mehr als ich jemals hatte. Ich schaltete in den sozialen Überlebensmodus und begann mich aufzurappeln. Langsam, aber stetig.

Während ich versuchte mich und mein gebrochenes Herz sozialen Interaktionen zu unterziehen, um nicht völlig zu vereinsamen, war mein Äußeres trotz allem Bergauf weiterhin das komplette Gegenteil von meinem Inneren. Ich fühlte mich leer, einsam und völlig isoliert. Ich hatte das Gefühl, es passierte wochenlang gar nichts. Heute weiß ich, ich war zu ungeduldig mit mir. Was ich brauchte war Zeit, um mich zu sortieren, Zeit neue Freundschaften zu etablieren, mich und mein vergangenes Verhalten zu hinterfragen, mir einen Job zu besorgen und herauszufinden, wann ich eigentlich aufgehört hatte, auf mich selber Acht zu geben oder warum ich nie damit angefangen hatte. Eben Zeit, ein neues Zuhause zu finden – in mir selbst.

Nach sechs Monaten kann ich sagen, dass ich sehr viel mehr zu mir selbst gefunden habe und zu einer Handvoll neuer liebster Menschen um mich herum. Veränderung ist ein Prozess, der bei mir noch eine ganze Weile andauern wird und wenn ich ganz viel Glück habe auch nie aufhören wird. So vieles scheint immer wie ein unüberwindbarer Berg, aber wenn man einmal anfängt zu laufen, ist es gar nicht mehr so weit bis nach ganz oben. Mit diesem Artikel melde ich mich auch gleichzeitig hier bei Jane Wayne zurück. Ich habe die Pause gebraucht, aber auch genutzt und ganz viele neue Themen gefunden, die ich mit euch teilen möchte ❤️

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11 Kommentare

  1. Josephine

    Danke fürs ehrliche teilen, fürs Mut machen! Ich kann nur bestätigen, wenig hat mich so viel gelehrt wie sau einsame Zeiten! Man lernt sich selber mehr zu vertrauen, wenn man sich ab und zu alleine aus der Scheiße holen muss! Beste Grüße!

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  2. Julia

    Deshalb lese ich euch so gerne, weil hier nicht nur Oberflächlichkeiten recycelt werden. Ihr schafft es irgendwie zu zeigen, dass sich aus den Tiefen des Lebens manchmal auch etwas Schönes ergibt und gleichzeitig, dass die Schönen Dinge des Lebens mehr Tiefe haben, als man auf den ersten Blick glauben mag.

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  3. Julia

    Danke für Deine Worte! Selten hat jemand so toll, zusammen gefasst, wie es einem nach einer Trennung und einem Neuanfang gehen kann…genau vor 3 Jahren habe ich mich in einer sehr ähnlichen Situation befunden und habe einen harten Cut von München nach Köln gemacht. Mittlerweile kommt mir mein „altes Leben“ so weit weg vor, und ich kann nur sagen: es lohnt sich, sich aus seiner bekannten Komfortzone herauszubeugen, wenn man nicht mehr zufrieden ist! Ja, der Schritt ist hart und tut weh, aber manchmal kann man nur so wieder weiter wachsen! Ich kann rückblickend sagen: Es hat sich soooo gelohnt! Ich bin nun viel mehr ( wenn nicht überhaupt das erste Mal ) bei mir! und das genieße ich sehr!

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  4. Amelie

    Wow. Wie stark du dich da selbst rausziehst. Ich weiß, dass das nicht einfach ist. Aber es lohnt sich ganz sicher. Respekt und alles Liebe!

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  5. Marion

    Liebe Julia, vielen Dank für diesen Artikel. Mir ging es vor mittlerweile sieben Jahren ganz genauso. Ich hatte fast zwei Jahre lang Heimweh, bin auf dem Weg zum neuen Job jeden Morgen in Tränen ausgebrochen und habe mich ständig gefragt, was ich hier (am neuen Wohnort) überhaupt zu suchen habe. So ein Schritt ist eine Entwurzelung, die man erst mal verkraften muss. Ich bin völlig deiner Ansicht, daß die Zeit die Wunden schließt, aber niemals ganz heilt.

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  6. Janina

    Liebe Julia,

    nach Trennung im letztem Jahr nach 10 Jahren Beziehung, was fast einem Drittel meines Lebens entspricht, kann ich es dir gut nachfühlen. Meine Veränderungen waren im Äußeren vielleicht nicht so radikal, aber auch ich musste und muss viel lernen, vor allem eine Gemeinschaft mit mir selbst zu sein. „Genieß die Freiheit“ haben alle zu mir gesagt – und ich dachte stets, diese viel gerühmte Freiheit, ihr selbst wolltet sie doch nicht haben.

    Aber – die Zeit hilft tatsächlich und auch in bin zum ersten Mal in meinem Leben unabhängig. Das bringt zwar neue Fragen, aber ich würde lügen, wenn ich nicht sagen würde, dass die Suche nach Antworten nicht auch spannend und lehrreich ist und manchmal sogar Spaß macht.

    In diesem Sinne wünsche ich dir alles Gute und viel Freude beim Suchen und Finden und Träumefangen

    Liebe Grüße

    Janina

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  7. H.

    Word! Ich dachte mir beim Lesen bloss: Genau so ist das- so fühlt sich das an, so läuft das ab. Alles Gute für dich auch weiterhin <3

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  8. Pingback: Cherry Picks #46 - amazed

  9. Caroline

    Der Text spricht mir aus der Seele! Ich „flüchtete“ nach München und dachte anfangs so oft: Was hast du dir da bloß eingebrockt? Alle Routinen und Gewohnheiten waren weg, alles musste neu sortiert werden. Aber es lohnt sich, geduldig zu bleiben, denn man wächst so sehr an solchen Herausforderungen und auch ich bin mehr bei mir selbst angekommen als es je zuvor der Fall war.
    Liebste Grüße nach Berlin

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