Zeit ist doch heute, im Jahr 2017 meine ich, für die meisten Menschen Mangelware. Das Gefühl der Überlastung klopft mal stärker, mal schwächer ans Oberstübchen und zwingt uns ja schon fast zum Verharren. Nichts geht mehr. Blackout. Und damit ist man bei Weitem nicht allein: Alle in Eile, alle auf der Jagd, während die Uhr tickt. „Morgen ab 12:00 Uhr hab‘ ich zwei Stunden“, schreibt sich gut in der digitalen Verabredung und kommt dem Gegenüber sehr gelegen. Da war ja noch was. Irgendwas ist immer. Und dann sitzt man am Ende prokrastinierend auf dem Bett, auf der Couch oder irgendeinem anderen Küchenmöbel und das auch noch verzweifelnd, weil es ja eigentlich so viel zu tun gäbe. Alles für die Katz. Aber ist das wirklich so?
Ist der ganze Druck, der Stress und diese Eile eigentlich eingebildet, also gar nicht wirklich da, oder entstanden aus der immerwährenden Zeitverschwendung, der Daddelei am Laptop, Handy, Tablet – oder ist der Tag wirklich einfach zu voll? Aber: Wer möchte schon immerzu dem effizient genutzten Tag hinterher rennen? Ich zum Beispiel, erinnere mich an etliche Abende, an denen es im Kopf ratterte und ich mit schlechtem Gewissen darüber nachdachte, dass heute nun wirklich kein sehr sinnvoll genutzter Tag hinter mir lag. Nicht sinnvoll genutzt. Geht das überhaupt?
Was können wir uns heute alle glücklich schätzen, dass es etwas gibt, das Abhilfe und Klarheit im täglichen Nachrichten-, Informations-, und Termin-Jungle schafft: Kalender führen, To-Do Listen abhaken, Gruppenchat bei WhatsApp pflegen. Die wenigsten kommen ohne den Schnickschnack au: Von manchen verteufelt, für viele lebenserhaltend, damit die stetige Koordination des alltäglichen Wahnsinns irgendwie funktioniert. Während sich also die unbeantworteten Nachrichten stauen und kein Tagesordnungspunkt sich so recht abarbeiten lässt, schweift man in die Gedankenflucht ab – und das am besten auch gleich wieder mit dem nächsten Beschallungsmedium, bei dem man garantiert nicht denken muss aka Fernseher oder Youtube oder was es nicht sonst noch alles gibt. Nur ist es wirklich alles so viel? Oder fühlt es sich nur so an? Wenn das ganze Umfeld mit herumhetzen beschäftigt ist, weil es ja eigentlich keinen freien Nachmittag, Abend und geschweige denn Samstag mehr gibt, will man ja nicht auf der Strecke bleiben. Freizeitstress ist, hört hört, schließlich auch Stress!
„Keine Zeit haben“ als Teil des guten Tons und mit „Boar stressig“, auf die Frage „Wie ist’s bei dir“, zu antworten, wird zur Floskel, während noch eine ausgiebige Me-Time eingeplant werden muss, um auch ja gefestigt und mental gesund in den nächsten Tag zu starten. Lang lebe die Prokrastination. Es ist der Mercedes unter den Freizeitaktivitäten – und sind wir mal ehrlich – der beste Zeitvertreib, den es gibt. Die braucht ein jeder nämlich ganz dringend. Besonders, weil einen ansonsten tatsächlich alles erdrückt und man sich seine Lücken schaffen muss. Eben das was passiert, wenn alles ein bisschen zu viel wird, die To-Do zu lang und der Druck zu stark. Für das reine Nichtstun nämlich. Nach dem Duschen zwei Stunden lang im Handtuch herumsitzend, die Handyfotos durchwischend oder die Wand anstarrend – damit verlebt sich der Tag ganz wunderbar. Wohl verdient vor allem, weil die Alltagsflucht wiedererwartend nicht immer die allmorgendliche Meditation oder die regelmäßige Yogaübung sein muss. Das können schließlich nicht die einzigen Wege zum endgültigen Seelenheil sein.
Wenn sich alle also mit vollen Terminkalendern battlen und die Uhren schneller ticken als man schauen kann, lassen wir uns am besten nieder mit einem großen Glas Cola und einer Packung Pombeeren.
Denn wenn man nämlich so richtig drüber nachdenkt, gibt es doch tatsächlich recht wenige Dinge, die man als wirkliche Zeitverschwendung einfach so abtun kann. Zeit mit sich selbst, dem Fernseher und der Lieblingsserie zum Beispiel, gehört meines Erachtens nicht dazu. Die kleinen Inseln, ganz abseits von Sport, Museumsbesuch oder dem Lieblingsschmöker auf dem Nachttisch, erfüllen nämlich auch ihren Zweck und gehören eben einfach dazu.
An alle Selbstoptimierer*innen und Dauer-Geplagten: Macht doch einfach mal wieder ganz ohne schlechtes Gewissen das, wonach euch ist. Denn wird es im Oberstübchen mal wieder alles ein bisschen zu viel, dann ist ein kleines Austreten aus dieser rasanten Welt vielleicht manchmal das Einzige, das hilft. Ganz ohne mahnende Gedanken im Kopf:
Verschwendet doch einfach mal wieder eure Zeit!
Die neue Staffel Stranger Things ist schon seit vier Wochen draußen und alle haben sie geschaut. Nur du hinkst hinterher. Trau dich!