Wäre mein Alter eine Taube, dann hätte mir dieser fast 30-jährige Straßenvogel diese Woche gleich mehrere Male auf den Kopf gemacht.
Freunde aus Südafrika waren angereist, und weil ich weiß, dass es dort momentan drinnen kälter ist als draußen, weshalb man die dicken Jacken vor dem Rausgehen auszieht und nicht anders herum, wollte ich es den beiden gleich doppelt gemütlich machen, mit warmem Selbsgekochtem und einem verfrüht geschmückten Weihnachtsbaum. Ich bin jetzt erwachsen, das schaffe ich locker!, dachte ich noch, als ich versuchte, mich etwa drei Stunden vor Ankunft panisch zwischen Pfannkuchen, Spaghetti und Semmelknödeln aus der Packung zu entscheiden, den einzigen Gerichten, die ich bis heute perfekt beherrsche. Weil ich früh gelernt habe, aus Defiziten Gutes zu machen, änderte ich mein Mantra schon wenige verzweifelte Überlegungen später: Ich bin jetzt erwachsen und kann mir zwar kein neues Auto leisten (der Scheibenwischer ist letzte Woche abgeflogen und auch sonst sieht es übel aus), aber immerhin das Kochhaus! Dort wird einem die Dinner-Planung quasi vorgekaut, es gibt Rezepte und portionierte Zutaten im selben Laden. Mich traf trotzdem der Schlag, als ich schließlich mit braunen Papiertüten und einem „Trotzdem noch DIY!“-Gefühl gen Küche stürzte, den Inhalt auf meine Anrichte entleerte und schließlich feststellte, dass die halbflüssigen Schokoküchlein tatsächlich keineswegs Backofen-fertig, sondern in Mehlbeuteln, Schokoraspeln und anderen Kleinteilen daherkamen. Mit so viel Eigeninitiative hatte ich dann doch nicht gerechnet. Nö ne, dachte ich jetzt. Mein Freund übernahm, als sich erste Schweißperlen der Versagens-Angst auf meiner Stirn bildeten. Rasch fühlte ich mich ziemlich viel kleiner als die Taube. Tief in mir wollte ich sogar nach meiner Mama rufen. Stattdessen legte ich Wäsche zusammen, die vor dem Weichspülgang ganz sicher noch weiß und nicht okkergrau gewesen war.
Als es klingelte, schlief mein Kind schon, weshalb ich kurzerhand ein neues fand. Der Bruder meiner Freunde war nicht nur überraschend mitgekommen, sondern auch Gluten-intolerant. Ich wollte mich erschießen. Wie ein wildes Huhn lief ich ziellos durch die Wohnung, um nach verträglichen Snacks zu suchen, von denen ich natürlich wusste, dass es sie hier nicht gab, ich entschuldigte mich währenddessen in Dauerschleife, schämte mich, schaufelte im Vorbeigehen immer neuen Salat auf des Bruders Teller, der eigentlich gar keinen Hunger hatte (das überhörte ich allerdings gekonnt), angelte mit einem Arm Nüsse aus einem übergebliebenen Nikolaus-Stiefel, mit dem ich vor Begeisterung wackelte wie mit Musikeiern, einmal, glaube ich, habe ich dem Bruder sogar am Kopf getätschelt und mich noch dazu permanent und in etwas zu hoher Stimmlage vergewissert, ob ich vielleicht noch etwas tun könne. Aber ja: Klappe halten, schnell. Meine Freunde ziehen direkte Ansagen dem Durch-die-Blume-Prinzip vor, das weiß ich nun. Auch, dass ich offenbar und unweigerlich knieftief im Muttertierdasein drin stecke – Sogar, wenn gar keine Kinder anwesend sind. Ich fühlte mich jetzt viel älter als die Taube. Und wachte am nächsten Morgen mit einem eingeklemmten Nerv, einer geschwollener Nase und Weizenhalm-tiefen Schlaffalten auf.
Beim Orthopäden stellte ich mich mit meinem Vornamen vor, woraufhin ich gesiezt wurde. Frau Berenike, sagte der Arzt, ich gehe davon aus, sie machen Sport? Nie, dachte ich und antwortete „manchmal“. Mit drei Spitzen im Rücken und einer 10er-Karte Physiotherapie hinkte ich schließlich ins Büro zurück, wo meine Steuerberaterin inzwischen schon ihr Revier markiert hatte, mit der siebten Bitte um Zusendung aller Unterlagen für den Jahresabschluss. Ich fühlte mich wie ein Kleinkind, das reif für die Rente ist, wenn ihr versteht. Irgendwie zwischen den Stühlen, abwechselnd zu jung für meinen gealterten Körper und zu alt für meine noch so jungen (Un)Fähigkeiten. Als ich meinen Sohn am Nachmittag vom Kinderladen abholte, schenkte er mir ein Teelicht. „Das ist für dich, weil du meine beste Freundin bist“, sagte er. „Weil wir sind ja beide 3 Jahre alt.“ Zumindest einer von uns hat an diesem Tag also kapiert, dass Alter mindestens egal und höchstens Ansichtssache ist.