„Feminism“ ist das Wort des Jahres – und was 2017 noch gebracht hat

In den USA gibt es – wenig überraschend – keine Gesellschaft für deutsche Sprache, die wenige Wochen vor Weihnachten das „Wort des Jahres“ kürt (dieses Jahr lautet es übrigens „Jamaika-Aus“, was schön deutsch und effizient klingt, aber mit einem kleinen Twist). Wörter des Jahres allerdings gibt es auch in den USA, nur werden sie dort von Wörterbuch-Macher*innen auserkoren. Dictionary.com verkündete, das Wort des Jahres 2017 sei complicit, was so viel bedeutet wie: sich an etwas mitschuldig machen – eine angesichts des Weinstein-Skandals, der daraus entstandenen #MeToo-Bewegung und diversen Ausfällen der regierenden Orange a.k.a. Donald Trump durchaus angemessene Wahl. 2017 war politisch und gesellschaftlich in vielerlei Hinsicht ein anstrengendes, ein frustrierendes Jahr, in dem viel in Bewegung kam, sich aber auch mal wieder die ganze Misere unserer angeblich doch schon total gleichberechtigten westlichen Gesellschaften zeigte. Für ein Jahr wie 2017 ist complicit also die nachvollziehbare, aber auch düstere Wahl.

(Ruth Bader Ginsburg)

 

Eine optimistischere Wahl bietet Merriam-Webster, ein Online-Wörterbuch (angeblich „America’s most trusted“). Merriam-Websters Wort des Jahres lautet nämlich: feminism. Es wurde danach gewählt, wie viele Suchanfragen es zu diesem Begriff gab. Es ist natürlich schwierig, ein komplettes Jahr in einem einzigen Wort zusammenzufassen, beziehungsweise wie die Gesellschaft für deutsche Sprache Wörter und Wendungen zu küren, „die das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben eines Jahres sprachlich in besonderer Weise bestimmt haben.“ Aber wenn man 2017 schon in einem Wort zusammenfassen muss, dann sind sowohl feminism als auch complicit passend.

[typedjs]Feminismus: Plötzlich kein Schimpfwort mehr![/typedjs]

2017 stand ganz eindeutig im Zeichen der Wut, des Protests, des Kampfes. Im Januar gingen weltweit Millionen Menschen während der Women’s Marches auf die Straße, um für Gleichberechtigung zu demonstrieren – und gegen einen amerikanischen Präsidenten, dessen Meinung zu Frauen sich mit dem Satz „Grab them by the pussy“ zusammenfassen lässt. Millionen Menschen machten klar, dass wir mitnichten im Alter des Post-Feminismus leben, wo es Frauen doch eigentlich super geht und Minderheiten nicht mehr diskriminiert werden. Feminismus erschien endlich wieder als etwas Notwendiges, als etwas, dass die Gesellschaft nachhaltig verändern kann. Er war plötzlich kein Schimpfwort mehr, sondern eine Haltung, mit der sich viele Menschen selbstbewusst identifizierten.

Im Oktober 2017 brach dann der Skandal um Filmmogul Harvey Weinstein aus. Schon bald wurde klar, dass dieser Skandal weit über Weinstein selbst hinausging. Der Hashtag #MeToo brachte eine Diskussion in Gange, die wahrscheinlich (hoffentlich) noch viele Monate, Jahre andauern wird. Zum ersten Mal gehen Frauen (und Männer) in einer derart großen Zahl mit ihren Erlebnissen von Sexismus, sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt an die Öffentlichkeit. Es geht um männliche Macht und damit verbundenen Missbrauch, um ein System, in dem viele Bescheid wissen, aber schweigen und andere zum Schweigen bringen – eben complicit sind. Neben den üblichen Warnungen vorwiegend männlicher Journalisten, jetzt würde es aber auch mal reichen mit diesem ganzen #MeToo und Opfer-Getue, erscheinen auch eine ganze Reihe nachdenklicher Artikel von Männern, die sich das erste Mal so richtig Gedanken über ihr eigenes Verhalten gegenüber Frauen machen.

[typedjs]Wörter haben Macht![/typedjs]

Nein, 2017 war in vielerlei Hinsicht kein einfaches Jahr. Es war sogar oft ein ganz schön bescheuertes Jahr, so aus politisch-gesellschaftlicher Sicht. Daran ändert auch die Wahl eines „Wort des Jahres“ nichts. Aber: Wörter haben Macht, sie geben Dingen einen Namen, sie schaffen Bewusstsein für bestimmte Sachverhalte. Dass die Begriffe feminism und complicit so oft gesucht wurden, ist kein Beweis dafür, dass Menschen sich tatsächlich mit ihren Implikationen auseinandersetzen – vielleicht sind sie einfach nur neugierig. Aber Neugier ist gut, denn in diesem Fall resultiert sie ja aus konkreten Ereignissen, die 2017 geprägt haben. Ereignisse, die vor allem aus feministischer Sicht entscheidend und wichtig waren. Wenn mehr Menschen den Begriff Feminismus einfach mal im Wörterbuch nachschlagen, anstatt ihn von vorneherein abzulehnen, dann ist das schon ein Erfolg. Und solche kleinen Erfolge werden dringend gebraucht – wer weiß, was 2018 bringt.

Kurz nachgefragt: Und was wäre euer „Wort des Jahres“?

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