Gestern, am 09.01.2019 teilte Oliver Rasche auf Welt.de „Panorama“ seine Meinung über die kurz zuvor aufgetretenen Rassismusvorwürfe gegen H&M. Eine persönliche Meinung, die ich so nicht stehenlassen kann und will. Ein Kommentar:
Was war das nur für eine Woche bis jetzt? Erst die Golden Globe Verleihung, ein riesiger Haufen Empowerment und eine schallend bejubelte Rede (und was für eine Rede!) von Oprah Winfrey, dann plötzlich Empörung und Rassismusvorwürfe gegen die neuen H&M Onlineshop Bilder – dabei haben wir gerade erst Mittwoch. Man würde fast meinen, dass im Angesicht eines noch so jungen Jahres, das bereits derart vollgeladen ist mit wichtigem Gesprächsstoff, ein lautes Hurra fällig gewesen wäre. Zumindest ein anerkennendes Nicken. Nicht aber für Sie, Oliver Rasche. Vor lauter Wut und Empörung über die Empörung haben Sie am Dienstag doch direkt ein mittellanges, vermeintlich kluges Schriftstück ins Internet geblasen, das aus offensichtlicher Ignoranz und viel Unverständnis bestehend jedoch lächerlich klein wirkt und aussieht wie ein bloßes Klagelied von jemandem, der als weißer Mann abermals den Rassismusvorwurf fürchtet. „Mäh mäh mäh. Ich bin gar kein Rassist“. Herr Rasche, verzeihen Sie mir diesen Hinweis, aber: Es geht hier beim besten Willen nicht um Sie.
Es geht unter anderem darum, dass ein milliardenschwerer Modekonzern und gleichzeitig eine der führende Modemarken in vielen Kleiderschränken weltweit, kürzlich eine bewusste Entscheidung getroffen hat. Aus Kalkül oder grober Fahrlässigkeit? Wie in den This is Jane Wayne News gestern schon verkündet, lässt sich über das tatsächliche Zustandekommen dessen, worüber wir jetzt reden werden, nur mutmaßen, doch eines steht für mich schon jetzt fest: Das ist subtiler Rassismus – at it’s worst! Rassismus im Schafspelz, der im ersten Augenblick zuweilen sogar niedlich daher kommen mag. Ein gefährliches Werkzeug der Medien – und zwar unabhängig davon, ob die vorangegangene Intention einfach nur ein bisschen blöde oder geplante PR-Maschinerie war. Weil es verklärt. Und verharmlost.
„Aber warum?“, fragen Sie sich, Oliver Rasche, und auch all ihre treuen Leser*innen, die Ihre Gedanken mit klatschenden Emojis befeuern und so dankbar sind, dass „endlich mal jemand Klartext redet“. „Wird damit Schwarzen geholfen?“, „Ist nicht rassistisch, wer Rassismus vermutet?“ und überhaupt „Sagt die Problematisierung nicht auch eine Menge über die Problematisierer aus?“. Fragen über Fragen. Zum Teil sogar berechtigte. Für Sie aber, Herr Rasche, der, so vermute ich, über keinerlei persönliche Erfahrungen und Begegnungen mit Rassismus und/oder Diskriminierung verfügt, scheint die Sache klar. Oder doch nicht? Sie sind ja doch auch sehr unsicher. Ich kläre Sie also gern auf.
Herr Rasche. Das geht an Sie und alle Zeweifler*innen im selben Boot: Es mag vielleicht schockierend wirken, ist aber wahr: Die Welt vieler Menschen, und damit meine ich einerseits die Lebenswelt und andererseits das ganz persönliche Erleben und Empfinden, ist geprägt von Rassismus. Rassismus? Ja. Denn Rassismus, jetzt werden Sie sich wundern, passiert nicht nur dann, wenn ein Nazi einen Witz über Kanacken macht, Rassismus ist auch nicht nur dann präsent, wenn einem schwarzen Menschen der Zutritt zu einer Lokalität verwehrt wird oder Fremdenfeindlichkeit gar in Gewalt ausartet. Rassismus kann auch auf anderen Eben ekelhaft werden. Auf Ebenen, die sie persönlich vielleicht noch nicht erklungen haben, die deshalb aber trotzdem existieren (denken sie nur an all die Worte „zwischen den Zeilen“, die sie als Schreibender nun wirklich zu genüge kennen). Nämlich dann, wenn Rassismus subtil wird, ja fast unsichtbar, und daraus resultierend eben auch, sobald weiße Menschen wie Sie so weit gehen, das Vorkommen und das in diesem Fall spezifische Vorliegen von Rassismus gänzlich anzweifeln. Oder: Wenn ein schwarzes Kind der „Affe im Dschungel“ wird, während sein weißer
Freund als „Überlebenskünstler“ ins (Werbe-)Rennen geschickt wird. Alles feinsäuberlich festgehalten auf den Pullovern, die beide tragen. Der Moderiese ist in diesem Fall also nicht viel besser als der, der laut „Ich habe es ja gar nicht so gemeint“ ruft. „Gar nicht so gemeint“, bedeutet hier nämlich vor allem „zu wenig nachgedacht“. Natürlich bin ich für die späte Einsicht und Entschuldigung von Seiten H&Ms dennoch sehr dankbar. Aber dann, urplötzlich, fühlen sich etliche Menschen dazu aufgerufen klarzustellen, dass sie niemals, aber wirklich nie, niemals auf die Idee gekommen wären, den Schwarzen Jungen mit dem Affen-Titel auf seinem Pullover zu assoziieren. Das verstünde ich sogar, wenn, nach Erklärungen, ein bisschen Einsicht folgen würde. Oder Empathie. Das passiert allerdings selten. Also: Bravo, Herr Rasche. Bravo an alle anderen und herzlichen Glückwunsch. Wollen wir wirklich die Augen vorm Weltgeschehen verschließen, vor unseren Mitmenschen und jenen, die benanntes Problem direkt betrifft? Die Rassismus erfahren haben und noch immer erfahren? Welchen Grund kann es für diese Empörung über die Empörung geben? Ja, welchen? Es will mir nicht einleuchten.
Ich will aber auch Ihnen keine Angst machen, einige Illusionen muss ich Ihnen trotzdem nehmen: Beschimpfungen wie Urwaldaffe sind Ihnen nicht vertraut? Schön. Von Affenlauten als gängige Beleidigung im Fußballstadion haben Sie noch nie etwas gehört? Davon, dass Sportler*innen mit Bananen beworfen werden? Herr Rasche, was können Sie sich glücklich schätzen. Sie als weißer Mann, als einer, dessen Geschlecht und Ethnie vor Privilegien nur so strotzt, sind bisher also verschont geblieben von Diskriminierung und rassistischer Beleidigung? Vielleicht bleiben die Fragen in Ihrem Kommentar so omnipräsent, weil Sie mit der Materie einfach nicht vertraut sind, haben Sie darüber schonmal nachgedacht? Vielleicht wäre stille Zurückhaltung und ein aufmerksames Zuhören also angebrachter gewesen, als anmaßend über richtig oder falsch wahrgenommen Rassismus zu urteilen?
Das Geschöpf aus dem Urwald, sein überlegener und kultivierter Bezwinger. Die Wilden und die Europäer. Klingelt da etwas? Wie gerne würde ich manchmal die Augen davor verschließen, wie sich auch heute noch gegenüber People of Colour verhalten wird, wie Menschen mich sehen und mit mir umgehen, weil ich nicht weiß bin. Wie sehr wünsche ich mir, dass schwarze Menschen nicht schon seit etlichen von Jahren unterdrückt, verkauft, zur Schau gestellt worden wären, und wie lieb wäre es mir, wenn nicht Millionen von Menschen durch die weiße Hand, durch den „Überlebensexperten im Mangrovendschungel“ eines qualvollen Todes hätten sterben müssen. Könnte ich nur all’ diese Dinge ausblenden, Herr Rasche, so wie Sie! Aber ja, diese Dinge sind passiert. Sie gehören zu unserer Geschichte und diese gilt es ernst zu nehmen und zu verarbeiten. Das hat nichts mit Übertreibung oder gar Paranoia zu tun. Denn beim genauen Hinsehen fällt dem aufmerksamen Menschen der Rassismus an jeder Ecke auf. Nicht etwa nur dem spitzfindigen oder dem, der gerne klagt, sondern dem, der gelernt hat, mit einem rassismuskritischen Blick durch die Welt zu wandeln.
Dem, der verstanden hat, dass die Gesellschaft, in der wir leben, rassistisch kultiviert ist und der es nicht nur für unangebracht hält, dem kleinen Jungen einen Affen-Titel zu verpassen, sondern auch verpönt, dass sein kleiner Bruder als Werbefigur für Schokokuchen herhält oder missbilligt, dass dessen Mutter einen Comic auf der Müllermilch ziert. Während wir für gleiche Rechte kämpfen, ist es vor allem wichtig, vorhergegangene und aktuelle Rassismusvorkommen wahr und ernst zu nehmen. Das gilt auch für weiße Männer, nein Menschen, lieber Oliver Rasche.
Und genau dann, wenn Sie sich wieder unsicher fühlen, viele Fragen haben zu Rassismus und dem Gefühl, das er in einem oder in Ihnen auslöst, und warum das eigentlich immer noch so ein leidiges Thema ist, dann fragen Sie beim nächsten Mal doch am besten einen Schwarzen Menschen, Herr Rasche. Der hat hat Ihnen nämlich sicherlich ganz, ganz viel zu erzählen.
Einen kleinen Meinungsspiegel aus einer schwarzen Medienlandschaft finden Sie außerdem hier:
Tupoka Ogette, Auorin von „exit RACISM: rassismuskritisch denken lernen“ auf Facebook:
„Aktuelle H&M Werbung. Der rassistische Blick auf zwei liebenswerte und süsse Kinder. Das Leben im Dschungel. Einer der Affe, einer der Überlebensexperte. Wer hat die besseren Chancen? Wem wird geholfen? Wer wird gejagt? Wer “muss” sich verteidigen? Wem wird geglaubt? Wer hat einen Vertrauensvorschuss? Wer gilt als “wild, aggressiv”? Wer hat Angst vor wem?
Du denkst ich interpretiere zu viel in diese H&M Werbung? Ich sage: Willkommen zu der Lebensrealität meines Sohnes und seinen Schwarzen Freunden. #sHaMe„
Rapper Megaloh via Instagram:
„Ihr habt es bestimmt alle mitgekriegt: H&M hatte in England eine Kollektion für Kinder unter anderem mit diesen beiden Bildern beworben. Seit dem gab/gibt es Aufruhr im Netz weil viele das Bild des schwarzen Jungen aufgrund des von ihm getragenen Hoodies mit der Aufschrift „Coolest Monkey in the Jungle“ als rassistisch und diskriminierend betrachten. Gleichzeitig gibt es scheinbar die weit verbreitete Meinung, dass alle die das als rassistisch sehen selbst rassistisch sind weil sie darauf aufmerksam machen und spalten wollen zwischen schwarz und weiss. All diesen Menschen die so argumentieren habe ich etwas zu sagen: Es kann nicht ernsthaft eure Logik sein mit der ihr versucht den strukturell vorhandenen Rassismus einfach abzutun! Wie menschenverachtend, geschichtlich uninformiert und empathielos muss man eigentlich sein um sowas behaupten zu können? Glaubt ihr ernsthaft wir wollen so gesehen werden und drängen uns selbst in die Opferrolle? Glaubt ihr das macht uns Spaß immer wieder verletzt zu werden, wütend zu sein und dafür zu kämpfen als gleichwertige Menschen behandelt zu werden? Selbst wenn ihr behauptet nicht rassistisch zu sein und keine Farbe zu sehen, selbst wenn ihr nicht die unglaublich schrecklichen Details der jahrhundertelangen kolonialen Ausbeutung kennt, die dem schwarzen Kontinent und all seinen Kindern und Kindeskindern angetan wurde und die bis heute wirtschaftlich, politisch und psychologisch nachwirkt, selbst wenn ihr nicht wisst, dass schwarze Menschen im letzten Jahrhundert hier in Zoos ausgestellt und begafft wurden so solltet ihr doch einfach rein menschlich die Fähigkeit haben Respekt und Mitgefühl zu entwickeln wenn Menschen zeigen, dass sie sich durch etwas wieder und wieder erniedrigt fühlen. Wie kann man sich als jemand der nicht betroffen ist herausnehmen drüber zu entscheiden ob jemand anderes diskriminiert wird? Ihr macht euch so stark uns wissen zu lassen dass wir aus eurer Sicht rumheulen, warum? Habt ihr eine Vorstellung wie hoffnungslos das macht? Wir wollen alle die schreckliche Geschichte hinter uns lassen aber das geht nur in dem man sich auf Augenhöhe damit auseinandersetzt und versucht Verletzungen zu heilen.#BSMG „
Ein Video zur Thematik inklusive Artikel von der Huffington Post Black Voices :
https://www.instagram.com/p/BdswY5NjFmi/?taken-by=hippypotter