Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich mir eines vergangenen Sommers mein Klapperfahrrad geschnappt und eine Cappuccino-Schokolade gekauft habe, um anschließend heulend zum Programmkino im Nachbardorf zu radeln. Ich hatte mich gerade mit meiner Mutter gestritten – und die Grace-Kelly-Doku mit Nicole Kidman schien mir ein guter Weg, um dies zu verarbeiten. Kinos zählten schon damals zu meinen vielen metaphorischen Zuhause. Vermutlich ist es die Symbiose aus Bildern, Lichtern, Geräuschen, Bewegungen und Wörtern, die mein Herz oft viel mehr zu berühren vermag, als das alleinige Wort. Manchmal sogar noch mehr als Bücher – wegen der vielen verschiedenen Sinneseindrücke! Deshalb habe ich mich am Wochenende für euch auf die Suche durch das neueste Kuddelmuddel der Kinofilme gemacht und die besten 5 Filmtipps für den Januar zusammengetragen.
Egal ob Doku, Thriller, Indie, Komödie, Krimi oder Drama – da ist hoffentlich für jede*n was dabei:
Für alle Ich-gebe-mir-heute-mal-die-volle-Ladung-Emotionen-Menschen:
„Aus dem Nichts“
„Aus dem Nichts“ ist beinahe keine Neuheit und auch kein Geheimtipp mehr. Inhaltlich angelehnt an das Nagelbombenattentat der NSU 2004 in Köln, ist der aktuelle Film von Fatih Akin in letzter Zeit fast schon mehr in den Medien diskutiert worden als im vergangenen Jahr der Raubüberfall auf Kim Kardashian. Zum Beispiel aufgrund der herausragenden Leistungen Diane Krugers als Schauspielerin und Fatih Akins als Regisseur/Drehbuchautor und Produzent. Katja (Diane Kruger) verliert im Film nicht nur ihren kurdischen Mann Nuri Sekerci, sondern auch ihren Sohn. Eine Welt bricht zusammen, während sich zeitgleich eine alles überschattende Wucht anbahnt, die sich aus Wut, Zerstörung, Hilflosigkeit und Verzweiflung zusammensetzt. Wer sich den Trailer ansieht, der weiß eigentlich schon, was da auf ihn zukommt: Ein riesengroßer Kloß im Hals.
Der Film steht jedenfalls ganz weit oben auf meiner To-Watch-List, aber als ich ihn vor etwa einem Monat nach einem quietschvergnügten Dinner ansehen wollte, kniff ich am Ende doch. Den Inhalt kann man nämlich sicherlich nicht zu jeder Zeit aufnehmen. Mein Tipp also: Macht euch entweder alleine auf die Socken, um euch voll und ganz der Tragik hinzugeben, oder schnappt eure Liebsten als emotionalen Support.
Für Birkenstock-Urgesteine, Edelsteinwasser-Komsument*innen und Matt Damon-Fans:
„Downsizing“
Jeder hat schon einmal von dem ökologischen Fußabdruck, sowie der Tatsache gehört, dass wir gerade leben, als hätten wir ganze zweieinhalb Planeten zur Verfügung. Der neue Film von Alexander Payne, „Downsizing“, liefert da einen besonders charmanten Ausweg aus dieser menschgemachten Misere: Wenn der Mensch zu große Fußabdrücke hinterlässt, muss man den Fuß eben kleiner machen – und somit den ganzen Mensch.
In den Hauptrollen: Matt Damon und Kristen Wiig, die als Paul und Audrey ein einfaches amerikanisches Ehepaar spielen, das sich in Zeiten der Überbevölkerung nicht von seinem verschwenderischen Lebensstil verabschieden möchte und deshalb mit der zelluläre Miniaturisierung liebäugelt. Während Audrey noch kurz vor „dem Eingriff“ kehrt macht, zieht Paul die Prozedur durch und lässt sich auf 12,7 cm schrumpfen. Fortan lebt er in einer abgeschirmten Miniaturgemeinde namens „Leisureland“ und muss im Laufe der Zeit erkennen, dass der Mensch wahrlich gut darin ist, wissenschaftliche Ideen zu missbrauchen – was mit einer guten Intention startete, mündet schließlich in allerlei Chaos.
Filmstart ist der 18. Januar und wenn ihr mich fragt, ist eine originelle Idee wie diese auf jeden Fall den Kauf eines Kinotickets wert.
Für alle „Mein-Alltag-ist-bodenständig-genug-deshalb-gebt-mir-jetzt-sofort-ein-bisschen-wildes-Hollywood“ Zuschauer*innen:
„Orient Express“
Ganz ehrlich, mit so einer Starbesetzung (Michelle Pfeiffer, Johnny Depp, Kenneth Branagh, Penelope Cruz, Judi Dench, Daisy Ridley) konnte „Mord im Orientexpress“, basierend auf dem Roman von Agatha Christie, gar kein Fall für die Klospülung mehr werden, auch wenn der britische „Guardian“ und „Vanity Fair“ nicht gerade begeistert waren. Der Film erzählt die Geschichte des Detektivs Hercule Poirot, der auf der Rückreise von einem seiner Fälle, in den legendären Orient-Express steigt und schließlich auf die Leiche des dilettantischen Kunsthändlers Ratchett stößt. Poirot soll gegen sämtliche Mitreisenden ermitteln – einer von ihnen muss schließlich schuldig sein. Zur Auswahl stehen etwa die spanische Missionarin Pilar Estravados, die Gouvernante Mary Debenham, Professor Gerhard Hardman, die Witwe Mrs. Hubbard und auch der Doktor Arbuthnot – doch was anfangs wie ein leichtes Spiel aussieht, wird für Poirot schließlich zu einem seiner schwersten Fälle.
Ich habe mir das gute Stück im kleinen, aber hoch gelegen Sputnik-Kino angeguckt und war total hin und weg von diesem im Film verkörperten Glamour der 30-er Jahre. Besonders mochte ich den überraschenden Plot und die metaphorische Botschaft, die man daraus durchaus für sich ziehen kann. Obwohl der Film kein Liebling wird, bekam ich exakt, was ich erwartet hatte: Erste Sahne Hollywood-Entertainment. Ein toller Film für einen entspannten Abend im Kino, aber nicht fürs DVD-Regal zu Hause.
Für Indie-Liebhaber*innen, Gesellschaftsrebellen und die, die damit liebäugeln, es zu werden:
„Lady Bird“
Ein Auto, eine Mutter, eine Tochter, eine ganz normale Diskussion – über die Zukunft, Wünsche und Pläne, die noch geschmiedet werden müssen. Dann, ganz plötzlich, wird der Tochter, die sich „Lady Bird“ nennt, die Diskussion zu blöde. Sie stürzt sich kurzerhand aus dem fahrenden Auto. In ein neues Leben, wenn man so will. Dies ist die Eingangsszene des Trailers zu „Lady Bird“, dem neuen Film von Greta Gerwig, die übrigens schon neben dem Studium anfing Theaterstücke zu schreiben. „Lady Bird“ wird in Kritiken gefeiert und erhielt vermutlich verdient zwei Golden Globes.
Die Geschichte dreht sich um die 17-jährige Christine McPherson (Saoirse Ronan), genannt „Lady Bird“, die versucht, ihrem nordkalifornischen Heimat-Einöde „Sacramento“ zu entkommen. Viel lieber würde sie zum Beispiel mit ein paar Künstlern im Wald zu leben, an der Ostküste etwa. Mit diesem Wunsch im Hinterkopf erlebt der Zuschauende ihr letztes Jahr an der katholischen High-School, ihr erstes Mal mit einem Jungen und ihre ständigen Auseinandersetzungen mit der Mutter, die angsteinflößend, aber lieb sein soll. Lady Bird ist demnach ein Porträt des Erwachsenwerdens, einer besonderen, verrückten und vielleicht gerade deshalb so normalen Mutter-Tochter-Beziehung. Dieses durchaus altbekannte Szenario wird so unverblümt, klischeebefreit und wahrhaftig erzählt, dass man sich eigentlich nur in diese Coming-of Age-Komödie verlieben kann.
Für Naturgeister, Kunstliebhaber*innen und 3Sat-Fans:
„Leaning into the wild“
Bitte liebe Leser*innen, bitte hört genau jetzt kurz auf, diesen Text zu lesen und googelt den Namen „Andy Goldsworthy“. Sofort! Sonst dürft ihr nicht weiterlesen!
Und? Wahnsinn. Andy Goldsworthy ist ein Künstler, der einen ganz festen Platz in meinem Herzen hat. Die Beziehung, die er mit sich selbst einerseits und andererseits mit der Natur eingeht, ist zweifelsohne außergewöhnlich, inspirierend und doch auch ein bisschen unverständlich, oder: kompliziert. Denn Goldsworthy nimmt Eingriff in die Natur, aber nur mithilfe ihrer eigenen Mittel, er nimmt sie etwa aus ihrer natürlichen Umgebung und lässt sie kurz darauf in einem ganz neuem Licht erstrahlen. Natürliche Elemente wirken in ihrer natürlichen Umgebung auf einmal künstlich, wie vom Menschen gemacht und sind doch so verzaubernd. Es ist eine Antithese, entweder ich mähe den Rasen und er ist eine ebene Fläche oder ich mähe ihn nicht und er bleibt ein chaotisches Wirrwarr. Es wirkt beinahe so, als hätte Andy die Fähigkeit, den Rasen zu ebnen, ohne ihn zu mähen. Klingt seltsam? Ist es. Aber ihr werdet es noch verstehen, kann bestimmt.
Um Andy ganz grundsätzlich besser ergründen und außerdem besser verstehen zu können, wie er seine Kunst, die auch „Land Art“ genannt wird, überhaupt erstellt, hat der Regisseur Thomas Riedelsheimer diesen außergewöhnlichen Menschen für uns begleitet – in einen Park in San Francisco, einen Wald in Schottland oder in die Provence. Ihr merkt schon, ich könnte den ganzen Tag eine Lobeshymne auf Andy singen, stattdessen sage ich nun ganz bestimmt: Guckt euch diese Doku an, egal ob ihr in Verbindung mit der Natur oder der Kunst, mit beidem oder keinem steht!