Letztens war es mal wieder soweit: Ich saß mit Freund*innen und Bekannten in gemütlicher Runde zusammen, man trank Bier und Wein und redete, alles ganz entspannt. Bis sich einer der anwesenden Herren mir zuwandte: „Und du, was hältst du eigentlich von dieser ganzen MeToo-Sache?“ Nun gibt es die Menschen, die eine solche Frage aus ehrlichem Interesse stellen – die wissen, dass ich mich mit diesem ganzen Feminismus-Kram beschäftige, dass ich mich auskenne, und die deshalb meine Einschätzung hören wollen. Und dann gibt es die, die eine solche Frage eigentlich nur stellen, um ihre eigene Meinung loszuwerden, die meine Antwort nicht interessiert, weil sie sowieso schon beschlossen haben, was sie von einer Sache halten.
Angst vor einer abstrakten „Gleichheit“
So auch in diesem Fall. MeToo, das gab mein Gesprächspartner zu, sei ja schon wichtig und so. Aber: „Mal ehrlich, geht das nicht alles zu weit? Ich meine, wenn wir alle, Männer und Frauen, irgendwann gleich sind… Das kann’s doch auch nicht sein!“. Diesen Sprung von sexueller Belästigung und Gewalt zu einer vermeintlich gleichgeschalteten Geschlechterwelt muss man erstmal hinbekommen – doch leider wird er von gar nicht mal so wenigen Menschen gemacht. Den begleitenden Gedankengang stelle ich mir so vor: Frauen machen ihre Erlebnisse mit sexueller Belästigung und Gewalt öffentlich, es wird dementsprechend über das unangemessene Verhalten von Männern diskutiert, man(n) weiß nicht mehr, wie man(n) sich verhalten soll, die Erotik stirbt aus, harmloses Flirten ist nicht mehr drin,
männliches Verhalten wird immer mehr reglementiert, Frauen haben die Deutungshoheit und bestimmen, was angemessen und was unangemessen ist, Frauen bekommen immer mehr Rechte… Männer und Frauen sind gleich?
Okay, das klingt, so aufgeschrieben, nicht besonders logisch. Trotzdem: Die Angst vor einer abstrakten „Gleichheit“ ist real, das stelle ich in schöner Regelmäßigkeit fest. Als würden alle Geschlechterunterschiede, alles, was Menschen voneinander unterscheidet, automatisch verschwinden, wenn unsere Gesellschaft gleichberechtigter wird. Als sei Ungleichberechtigung eigentlich was Positives, schließlich sorgt diese für schön getrennte Geschlechterrollen und bewahrt uns vor einer Welt, in der – angeblich – totale Vereinheitlichung und Gleichheit herrschen.
Apokalypse, now
Was ich mich außerdem jedes Mal bei Gesprächen über die vermeintlichen Gefahren der Gleichheit frage: Was denkt mein Gegenüber denn, wann diese apokalyptische Zukunftsvision eintreten wird? Von welchem Zeitraum reden wir? Denn wenn ich mir so anschaue, was in unserer Gesellschaft passiert, und auf welchem gleichstellungspolitischen Stand wir uns jetzt befinden, dann ist das Ganze eher kein Ereignis, das in den nächsten Jahren oder gar Jahrzehnten passiert. Berechnungen des Weltwirtschaftsforums zufolge wird es noch 100 Jahre dauern, die Geschlechterlücke zu schließen: 144 Länder wurden nach Chancen in den Bereichen Wirtschaft, Bildung, politischer Teilhabe und Gesundheit klassifiziert. Insgesamt haben Frauen nur 68 Prozent der Chancen und Resultate, die Männer haben. Sprich, von einer drohenden „Gleichheit“ sind wir noch weit entfernt.
Das alles habe ich auch meinem Gesprächspartner erklären können. Ich habe es versucht, habe von eigenen Erfahrungen mit Sexismus und Belästigung erzählt, habe Geschichten von Freundinnen erwähnt, habe aufgezählt, was alles aus feministischer Sicht überhaupt nicht gut läuft in Deutschland. Am Ende nahm er nur einen Schluck von seinem Bier, mein Kopf drehte sich (Alkohol und Anstrengung sei Dank) und ich wusste genau: Das hat ihn alles nicht überzeugt. Weil er nicht wirklich interessiert daran war, meine Sichtweise zu erfahren. Weil er sich für einen guten, harmlosen Kerl hält (und das glaube ich ihm auch), der sich doch nur Sorgen um das zukünftige Mann-Frau-Verhältnis macht.
Ich schenkte mir noch Wein nach und fühlte mich, wie so oft, wie die hysterische Emanze, diejenige, die überall Probleme sieht und immer total übertreibt. Ärgerte mich darüber, dass ich mich so fühlte. Darüber, dass selbst so etwas wie #MeToo nicht ausreicht, um ein grundlegendes Umdenken in Gang zu bringen. Darüber, dass ich und andere auch in den kommenden Jahrzehnten die immer gleichen Diskussionen führen müssen. Bis wir dann endlich alle in der schön gleichgeschalteten Geschlechterwelt leben.