Der Freundeskreis wundert sich kaum und auch auf Mitleidsbekundungen musste ich dieses Mal verzichten. Was in meiner Jugend mein Fahrrad war, ist heute mein Handy, denn trotz Panzerglasfolie und allem Pi Pa Po, hat es mich zum wiederholten Male verlassen. Ja, ohne Halskette am mobilen Endgerät wäre das sicherlich nicht passiert. 3,5 Jahre lang ein treuer Begleiter, hat es schon die dritte Verglasung hinter sich und drohte zuletzt sein ganzes Display zu verlieren. In Bier ertränkt, in Reis gelegt und all das nur, um es nach 24 Stunden wieder anzuknipsen, zufrieden mit sich selbst, weil das Handy nach diesen etlichen Blessuren ja noch immer fast tadellos funktionierte.
Und dann passierte es zum allabendlichen Daddeln vor dem Einschlafen: In den Händen über dem Kopf, zack. Es fiel. Erst auf die Nase, auf die Bettkante und noch ganze 50 cm runter auf den Parkettboden. Es verabschiedete sich. „Das Handy ist irreparabel“, bestätigt mir zuletzt der mitleidige Mitarbeiter beim Elektrofachhandel meines Vertrauens und damit ist mein Schicksal besiegelt. Es folgen: Die acht Stadien der Handylosigkeit und ein lautes „wie konnte es nur so weit kommen?“
Tag 1: Nach dem Handy ist vor dem Handy
Panik und Schock, schwere Not. Das Handy ist hin und der Geldbeutel leer. Von Müdigkeit und Erschöpfung und Kater geplant, jammert es sich so herrlich gut. Nur so richtige Tränen wollen nicht fließen. Geplagt von Schuld wird der schwarze Bildschirm begutachtet und die eigene Existenz bemitleidet. Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Und ein jeder weiß, dass du kein Smartphone hast, wenn du kein Smartphone hast – und trotzdem: Das Letzte, was ich will, ist irgendeinem Riesenunternehmen wieder ein kleines Vermögen zu schenken, nur um wieder online zu sein und zu daddeln. Abends. Vor dem Einschlafen. Verzweifelt bin ich auf der Suche nach einer Alternative, vielleicht sogar einer generellen, die mir den Handykauf erspart? Rebuy hat gebrauchte Modelle. Mit einem Klick bin ich dabei und staune über die achttägige Lieferzeit. Nun ist es entschieden. Eine Woche handyfrei. Soll ich mich jetzt freuen?
Tag 2: Wer postet eigentlich noch privat auf Facebook?
Wenn, dann soll der akute Handyverlust doch aber nur meine Woche und nicht die meiner engsten verderben. Zum Glück ist der Computer noch heil und das Faceboo-Lesezeichen nur einen Klick entfernt. Was sollen nur die armen Leute machen, die seit Stunden vergeblich auf eine WhatsApp Antwort von mir warten? Sofern alle bescheid wissen, können mich die Heavy User auch über die blaue Lieblingsapp der 2000er erreichen. Alles fühlt sich an wie in der Mittelstufe: Ein richtiger Computerchat wie ICQ damals, nur ohne den nervigen Ton und da keiner Lust hat auf lange Gespräche, sind hier die wichtigsten Dinge blitzschnell über die Bühne gebracht. Großes Plus: Videotelefonie à la Facetime geht auch hervorragend und Mama ist auf Facebook auch schon ein alter Hase. Alles was ich brauche.
Tag 3: In der Ruhe liegt die Kraft
Hätte mir jemand gesagt, was mir ohne Handy alles passiert, hätte ich es schon längst mal beiseitegelegt. Mit der Bahn braucht es eine halbe Stunde in die Uni. Heute ohne Musik, ohne BVG #weilwirdichlieben Wlan und ohne viel zu lange Sprachnachrichten, die ich stets für die Nachwelt aufnehme. Stattdessen: Die Schönheit der Westberliner U-Bahnhöfe bewundern, sich Gedanken machen über das vergangene Wochenende und die nächste Unizeit bis hin zu den lang ersehnten Semesterferien. Auf dem Rückweg dann ein ausgiebiges Gespräch mit der liebsten Kommilitonin. Ich kann mich weder über den 30minütigen Weg beschweren, noch über den Feierabendbetrieb in der U7. Ich weiß nämlich nicht, wie spät es ist und habe auch nicht das Bedürfnis nach der Uhrzeit zu schauen. Kurz das Handy entsperrt – einfach so? Pustekuchen! Und daheim gibt es auf der Toilette mal wieder Zeitschriften und Reportagen zum Stöbern. Das habe ich lange nicht mehr gemacht.
Tag 4: „Boar, sind die viel am Telefon!“
Während ich im Homeoffice meinem Freund gegenübersitze, fällt mir, neben meiner offensichtlich viel fixeren Arbeitsweise, so ganz ohne Gruppenchats und Instagram, vor allem auf, wie oft man doch sein Handy in die Hand nimmt, ohne auch nur das geringste zu machen. Aus der Tasche, entsperrt und zurück. Nach 20 Minuten wieder von vorne. Hui, ich bin nicht besser und so langsam wird mir dann doch Angst und Bange. Auch an der Bushaltestelle dasselbe Spiel. Jeder kennt die Memes und Videos und die Gedanken über die Abstumpfung und Erblindung der Gesellschaft und die Meisten sind auch Teil davon. Es fällt aber erst richtig auf, wenn du als einzige in der Vorlesung nichts zum Draufschauen hast – oder alle um dich herum mit einem krummen Rücken den Tag bestreiten. Ein weiterer Grund noch einmal extra auf seine Haltung zu achten, bevor der Wahnsinn wieder losgeht.
Tag 5: Die Angst vorm eigenen Whatsapp-Account
Ein Gefühl macht sich nach mehr als der Hälfte der Zeit in meinem Kopf breit und will nicht so recht verschwinden. Damals, im Büroalltag, gab es eine Hürde, die es meistens nach längerer Krankheit oder dem Urlaub zu überwinden galt: Holy E-Mail-Postfach mit mindestens 1000 neuen Briefen die hereingeflattert sind und einem den ersten Tag zur Hölle machen.
Ähnlich wie bei WhatsApp. Die Lust auf das kleine grüne Kästchen schwindet nur noch mehr, wenn man bedenkt, wie viele Nachrichten sich inzwischen hier angestaut haben könnten und eventuell darauf warten, beantwortet zu werden. Habe ich die Gruppenchats schon erwähnt? Sobald das neue Gerät im Haus ist, wird es besonders schwierig dem Reiz des
Neuen zu widerstehen, doch sonderlich Lust auf permanente Erreichbarkeit hat sich binnen der letzten Werktage nicht breitgemacht. Schließlich bleibe ich ja auch erreichbar, denn zumindest die Facebook-Seite auf dem Computer bleibt mir ja erhalten.
Tag 6: Der Zeitgewinn
Ich habe zwei Bücher gelesen. Beunruhigend. Auch wenn das intensivere Lesen erst seit knapp einem Jahr wieder so richtig auf der Tagesordnung steht, bleibt das Smartphone ein ständiger Konkurrent zum guten Schmöker – welch eine Schande. Ganz ohne es zu merken, waren es aber zwei ganz kleine Schinken, über die ich mich in der letzten Woche hermachte – und das sollte längst nicht alles sein. Früher ins Bett gehen und aufstehen und schlafen und schneller aus dem Haus kommen und nicht mehr die Nachverkehrsapp fragen? Das Zeitersparnis scheint ein schlechter Scherz zu sein und gleichzeitig vermisse ich klammheimlich den kleinen Zeitfresser Instagram. Da wusste ich immer, was die Freundinnen in Hamburg, Köln und Wien so treiben. Und der Rest der Welt nicht zu vergessen. Ein kurzes Filmchen in die Story, das gute Wetter, die neuen Schuhe oder das leckere Essen zeigen. Macht mir schon Spaß, wenn ich ganz ehrlich zu mir bin. Und alle wissen bescheid, was so los ist. Nächste Woche kann ich wieder anrufen, dann kann ich in Echtzeit berichten, eh viel feiner!
Tag 7: In Zukunft werd’ ich alles besser machen!
Engel links Teufel rechts, jetzt ist es fast geschafft und ich, oh Wunder, die Erste, die die Runde ermahnt, doch nun endlich das Mobiltelefon beiseite zu legen. Moralapostel lässt grüßen und alle anderen rollen genervt die Augen. Schlimm genug, dass meine Zwangspause nötig war, um mal wieder ganz bewusst die Nähe zum kleinen schwarzen Kobold in meiner Tasche ein bisschen zu lockern. Klar: Anrufen und SMS, WhatsApp-Chats und auch ein Foto hier und da, gehören dazu und machen Spaß – doch ich habe es zu bunt getrieben. Das bestätigte alleine das Gefühl beim Warten an der Supermarktkasse, bei dem die Hand nicht nur zwei Mal in die leere Manteltasche griff.
Und all das auch noch bei jemandem wie mir, die seit einem Jahr Kommunikationswissenschaften studiert und die Thesen über die Veränderung unserer Welt durch neue Medien nicht nur einmal durchgekaut hat. Sei es drum. In froher Hoffnung auf ein bisschen mehr Disziplin und Gelassenheit bezüglich unbeantworteter Chats und Mails, starte ich in die Neue Woche. Und so viel verspreche ich mir selbst: Es wird künftig bewusste Handy-Pausen geben, Bücher werden auch mit dem Apparat verschlungen und auch im Bad bleiben die Hefte definitiv liegen!
Tag 8: Sie ist wieder da!
Queen Smartphone! Nicht nur die neue Genration durfte es sein, sondern auch gepreppt mit Panzerglasfolie und XXL Hülle geht es in den Alltag. Da mein alter Freund damals nicht mal mehr ohne Headset telefonieren konnte und schon bei -1 Grad Adieu sagte, freue mich über uneingeschränkte Nutzung und die ganzen Vorzüge der Netzwerkgesellschaft. Und schon geht es wieder los. Das Daddeln in der Bahn, das Kopfüber-lesen-im-Bett oder die dreihundert Screenshots von Öffi-Verbindungen, gefolgt von 300 Nachrichten in Gruppenchats. Ich liebe es ja auch ein bisschen. Aber ein bisschen habe ich auch gelernt: Über die Zeitfresserei nämlich und darüber, dass es vor allem ok ist, das Handy mal in der Tasche zu lassen, wenn es gerade nichts auf dem Tisch zu suchen hat oder es darum geht, eine Verabredung auszumachen. Auch Marina Musterfrau kann im Notfall ein bisschen auf meine Antwort warten. Ganz bestimmt!