Schon über eine Woche ist es nun her, dass Miroslava Duma (ihres Zeichens Instagram- und Modepersönlichkeit), sich der darauffolgenden Konsequenzen unbewusst, ein vermeintliches Songtextzitat mit ihrer Instagramcommunity teilte – es dauerte nicht lange, da stand das Internet plötzlich in Flammen. Nicht nur Stimmen gegen Rassismus waren hier deutlich herauszuhören, sondern auch sich empörende. Über die vermeintlich überemotionale Spitzfindigkeit, wenn es um Sprache geht zum Beispiel. Aber eben auch solche, die zurecht ihre Bedenken über Internethetze äußerten. Ich persönlich war einfach nur schockiert. Nicht über all die wohl durchdachten Stimmen, die laut wurden oder über den allgemeinen (und wichtigen!) Diskurs, denn den schätzte ich wie immer sehr. Aber über die bis ins Unermessliche verhärteten Fronten. Das Gegeneinander. Über die aufschäumende Wut, die auf manch einer Website der oft wenig konstruktiven Spiegel Online-Kommentarleiste ähnelte und ja, auch unter Nikes (wichtigem) Artikel zu besagtem Thema hing mir einige Male die Kinnlade ganz weit unten.
Geflügelter Ausdruck der gesamten Diskussion auf verschiedensten Outlets war: „Weiß & privilegiert“ – und während genau diese Bezeichnung für viele automatisch etwas schuldbehaftet klingt (vielleicht, weil „privilegiert“ im Gesamtkontext ja nun wirklich nicht als das schmeichelhafteste Adjektiv daherkommt?), habe ich selbst das Gefühl, dass aufgrund exakt dieses „Argumentes“ für oder gegen etwas, auf der einen Seite bloß Wut entsteht und auf der anderen Seite tiefe Verunsicherung geschürt wird.
„Darf ich jetzt nichts mehr sagen, weil ich weiß bin?“– Holla die Waldfee, soweit kommt es noch. Doch, natürlich. Ein weißes Privileg besteht aber trotzdem. Und es beeinflusst tatsächlich unser aller Leben. Wir müssen uns dessen bewusst sein, ohne diesen Umstand als Argument für alles geltend zu machen. Ein Erklärungsversuch.
Es geht los mit einer zu oft gehörten Aussage, bei der sich die Nackenhaare bei mir regelmäßig aufstellen. Szenario: Eine Rassismusdiskussion ist im vollen Gange, weiße Menschen, schwarze Menschen und People of Colour diskutieren angeregt und tauschen sich aus, bis der Satz „Ich sehe keine Hautfarben, für mich sind alle Menschen gleich“ fällt. Puh. Vielleicht ist das ja gut gemeint, bei diesem Statement ist aber dennoch etwas unheimlich schief gelaufen. Es geschieht bereits hier der erste, gravierende Fehler: Der, der auf dieser Erde umher wandelt und keine Hautfarben, keine Unterschiede in dem Umgang mit Menschen unterschiedlicher Ethnien wahrnimmt, und damit sind Unterschiede in der menschlichen Rezeption gemeint, Unterschiede im Gebaren und Verhalten gegenüber schwarzen Menschen und POC, der ist nicht nur fahrlässig, sondern auch naiv und möglicherweise von einer wunderbaren weißen Blase umschlossen. Vielleicht aber auch: weiß und privilegiert.
So drastisch wird man womöglich erst dann, wenn man die Nase schlichtweg voll hat von all dem Unverständnis und dem weißem Protest gegen die Omnipräsenz schwarzer Gegenwehr. Ohne inflationär den Begriff in den Raum schmeißen zu wollen, seine Wichtigkeit jedoch klar zu manifestieren: Der weiß geborene Mensch kommt mit einem Privileg daher, welches unbestreitbar und allgegenwärtig ist. Wann, wie, wo, könnte man sich nun Fragen und ja, ich habe sie alle, die Antworten: Und zwar in der Grundschule bei der alljährlichen Lehrerbeurteilung, beim Vorstellungsgespräch für einen Ausbildungsplatz, beim Umgang mit der Staatsgewalt. POC haben in all diesen Situationen ihren weißen Mitmenschen gegenüber einen entschiedenen Nachteil. Ihre Hautfarbe lässt eine nicht deutsche, beziehungsweise nicht westliche Identität vermuten. Wenn auch oft fälschlich.
Das Gegenüber urteilt demnach über eine mutmaßliche Herkunft, über die Fähigkeit besagter Menschen, sich adäquat in zu verhalten, über ihren Bildungsstand, mutmaßliche Probleme im Elternhaus und – ja man glaubt es kaum – oft genug auch über ihre Zurechnungsfähigkeit. Und natürlich nicht, weil das weiße Gegenüber entschieden hat, dass der Mensch mit einer mutmaßlich anderen Herkunft oder nicht deutschen Identität ein schlechterer Mensch sei, nicht, weil das weiße Gegenüber ein Rassist ist. Sondern weil das Gegenüber (vermutlich) in einem rassistisch sozialisierten Umfeld aufgewachsen ist, in dem es vor unterschwelliger Diskriminierung und Alltagsrassismus nur so wimmelt. Zurechnungsfähigkeit, Bildung und gesellschaftlicher Stand werden bei Menschen ohne vermuteten interkulturellen Hintergrund nicht ansatzweise so schnell infrage gestellt, wie etwa bei schwarzen Menschen und POC. Punkt.
Wer behauptet, er sehe keine Hautfarben, möchte eigentlich so viel richtig machen und begeht dennoch so viele Fehler. Natürlich sind alle Menschen gleichbedeutend und gleichrelevant. Aber auch gleichberechtigt? Ich glaube nicht, und bestimmt bin ich nicht allein mit diesem Gefühl. Fakt bleibt nämlich, dass diese Einstellung, dass wir alle „gleich“ sind, nicht die ist, die jedem Menschen auf diesem Erdball innewohnt. Während der naive Mensch oder der besonders bemühte versucht, den Unterschied zu ignorieren, sind unfaire Bezahlung, Polizeigewalt und Vorurteile nämlich noch immer unheimlich präsent und somit auch ganz deutlich wahrzunehmen für jede*n hier, auch für die nicht Betroffenen.
Nicht Betroffene sind in diesem Fall Menschen mit weißer Hautfarbe. Während Kritiker*innen dieser Empfindung, nein, dieses Faktes, stets versuchen, ein ganz anderes Fass zu öffnen, für Menschen mit Übergewicht und roten Haaren oder kleiner Körpergröße, die es ebenfalls vor Diskriminierung zu schützen gilt, plädiere ich weiterhin an den gesunden Menschenverstand und ein Mindestmaß an Selbstreflexion: Der schwarze Mann, der gebrochenes Deutsch spricht und seine Fahrkarte nicht mit sich führt, wird von Kontrolleuren anders behandelt, als der vermeintlich deutsch aussehende rothaarige Vater mit seinem Kind. Der wird im Park nämlich nach seinen Personalien gefragt, wird nicht in den Club gelassen. All das sind Beispiele für Dinge, die ihm aufgrund äußerer Merkmale zustoßen. Für Situationen, in denen Menschen Entscheidungen treffen, weil sie in ihrem Kopf kategorisieren, geschürte Stereotype abrufen und Vorurteile durch die Blume aussprechen, vielleicht bewusst, vielleicht unbewusst. So sieht der Alltag für viele schwarze Menschen und POC in westlich kultivierten Ländern aus. Jeden Tag, immer wieder, die ganze Zeit. Wie also kann man hier ernsthaft meinen, dass keine Hautfarben (mehr) gesehen würden? Kein Unterschied gemacht werde? Eine törichte Annahme.
„Critical Whiteness“ bedeutet in diesem Sinne also, seine von Geburt an gegebenen Privilegien zu verstehen und zu hinterfragen, jedoch keinesfalls eine grundsätzliche Schuld zu tragen. Wohl aber, Verantwortung zu tragen und gewillt zu sein, die Stimmen all jener von Rassismus und Diskriminierung betroffenen Menschen zu verstehen, ihren zuzuhören. Man kann sich zum Beispiel fragen: Warum werde ich so behandelt und XY nicht? Warum bekomme ich den Job, die Wohnung etc.?
Niemand sucht sich die eigenen Hautfarbe aus. Deshalb darf und kann von Schuld auf weißer Seite keine Rede sein. Von (mehr) Selbstreflexion und Achtsamkeit aber sehrwohl. Wenn man sich seiner Position im Alltag nämlich bewusster wird, schafft man gleichzeitig Raum für mehr Verständnis für Menschen, die aufgrund ihres Aussehens Benachteiligung oder Diskriminierung erfahren.
Und vielleicht auch mehr Verständnis dafür, dass sich Menschen über die Benutzung des Wortes N***er aufregen. Oder über die Bezeichnung „Schokobaby“.
„Inwiefern stellt Weißsein als unsichtbarer Maßstab das Nicht-Weiße als Abweichung und minderwertige Abstufung dar?“, fragt Millay Hyatt in einem äußerst schlauem Essay für deutschlandfunk.de und beantwortet im nächsten Atemzug direkt viele Fragen darüber, warum und wieso wir eben noch nicht so weit sind, über Hautfarbe und darüber angenommene Identitäten hinwegsehen zu können. Denn nur, wenn wir Gleichheit propagieren, ohne dabei Farbenblindheit einzufordern, erschaffen wir einen Diskurs, in dem die noch immer präsenten Unterschiede und Rezeptionen unterschiedlicher Themen gehört und verstanden werden. Alles andere wäre schon wieder nur: Weißmalerei. Dabei ist die Welt doch bunt.