Helau und Alaaf! Ich komme aus dem Norden und habe von Fasching (oder Karneval?) ehrlich gesagt keine Ahnung. Den Rosenmontagsumzug halte ich deshalb für ein fröhliches Kollektivbesäufnis. Nichts dagegen einzuwenden! Sich gemeinsam verkleiden und dabei Schabernack treiben? Klingt doch wunderbar! Mit Süßigkeiten um sich schmeißen von diesen hübschen, politischen Wägelchen herunter, die durch die Stadt fahren? Ich wäre am Start wirklich. In der Schule und im Kindergarten früher, da gab es für mich sogar auch noch Verkleidungen als Hexe oder als Tiger geschminkt, und jedes Mal eine Polonaise durch den Toberaum, hinter mir ein Krokodil und vor mir Pocahontas, die mit der linken Hand auf der Schulter des Vordermannes „Wuwuwuh“ Laute machte. Nun bin ich ja aber ein bisschen älter geworden und denke: Und Was früher nichts weiter als ein herrlicher Spaß war, kommt mir heute mindestens so furchtbar wie der Federschmuck auf dem Coachella Festival. Denn, wenn man mich fragt: Nein, die optische Nachahmung von traditioneller Kleidung eines indigenen Volkes ist kein angebrachtes Kostüm. Und ich erkläre auch gerne, warum.
Aber nochmal kurz zurück zum Ursprung dieser Debatte: Schon wieder surfte ich neulich nämlich wutentbrannt im Internet herum. Das jährliche Blackfacing aus Fulda hatte ich noch nicht einmal richtig verdaut, genau so wenig wie die ganzen wütenden Stimmen da draußen, die sich „ihren Karneval“ nicht nehmen lassen wollen, als ich plötzlich aus allen Wolken fiel, während ich bei otto.de nach einem neuen Kühlschrank suchte. Nur so zum Spaß machte ich parallel dazu einen kleinen Abstecher in der „Karnevalsabteilung“ von Mamas liebstem Versandhaus – ehrlich gesagt längst ahnend, dass wenig Gutes dabei heraus kommen würde. Dass der Vogel allerdings so präzise abgeschossen werden würde, damit hätte aber nicht einmal ich gerechnet. Man ist in diesem Unternehmen offenbar weit, weit davon entfernt, zu verstehen, was politische Korrektheit bedeutet. Was Sensibilität anderen Kulturen gegenüber heißt. Oder Respekt. Selbst bei jedem eingefleischten Faschings-Freund sollten da doch die Alarmglocken läuten, oder nicht?
Im ansprechend kuratierten Online Sortiment findet die motivierte Karnevalistin alles, was ihr Herz höher schlagen lässt. Bereitgestellt über otto.de, produziert von Deutschlands vermeintlich größten Karnevalshersteller Kostüme.com. Es gibt da zum Beispiel einen „stylischen Scheich“, die „Mexikanierin Yari“, „Eskimo Männer „Ukulo“, diverse Variationen von „asiatischen“ Stereotypen und sogar ganze „chinesische Familien“, aber auch „sexy Geishas“ oder „Reis-Sammler“. Am meisten schaudert es mich allerdings vor dem „afrikanischen Uhreinwohner“. Wie lustig!
Kostümauswahl via otto.de/karnevalskostüme/folklore
Besagte Materie scheint emotional aufgeladen und sensibel wie kaum eine andere zu sein. Karneval trifft viele Menschen mitten ins Herz: Tradition, Kindheitserinnerung, Spaß an der Freud und überhaupt: Früher, da war es doch vollkommen egal, ob der kleine Max ein „Indianer“ Kostüm trug, oder nicht? Da gab es diese Diskussionen über politische Korrektheit noch nicht und außerdem verstehen wir, die Kritiker*innen, doch allesamt überhaupt keinen Spaß. Wohin soll sie nur führen, die Übersensibilität?! Aber jetzt mal ehrlich: Ein wenig Rücksichtnahme versaut euch schon nicht das Karnevalsfest, kein Sorge. Es geht nämlich auch ohne Verkleidungen, die andere verletzten. Wer keine Alternativen findet, dem mangelt es womöglich bloß an einem: An Fantasie.
Nehmen wir als Beispiel doch eines der beliebtesten Kostüme aller Zeiten, von Kindergartenkindern angefangen bis hin zum erwachsenen Jecken: Ein paar bunten Streifen ins Gesicht, dazu noch der Federschmuck auf den Kopf und schwups – sind alle Sorgen, der Völkermord und die bis heute andauernde Diskriminierung amerikanischer Völker vergessen. Traditionen und Habitus, Jahrhunderte alt und gepflegt, werden unüberlegt verhökert, verspottet und Stereotypen zur Schau gestellt, nur so aus Spaß versteht sich und überhaupt nicht böse gemeint. Weil es so einfach ist, wenn man selbst nicht betroffen ist.
Ähnlich verhält es sich mit „afrikanischen Uhreinwohnern“ und „Chinesen“: Wie kommt man (zumindest nach eingehender Aufklärung) überhaupt darauf, gegen diese „neue und nervige politische Korrektheit“ in Bezug auf Kostüme, zu wettern? Müsste man nicht eher denken: Ups, stimmt! Darauf achte ich ab sofort gern!? Wieso sollte man weiterhin auf die Idee kommen, sich temporär mit Attributen anderer Ethnien zu schmücken, sich mithilfe von körperlichen Merkmalen zu verkleiden, die Menschen aus China, schwarze Menschen oder POC aber niemals ablegen können werden? (Stichwort Blackfacing, Afro-Perücken oder Augenformen). Und unter denen sie, im Gegensatz zu all den Jecken, die sich dieser Merkamale binnen Sekunden wieder entledigen können, rassismusbedingt bis heute leiden, die ihr Leben mitunter bestimmen?
„Ich bin kein Kostüm!“ ist eine Plakatkampagne, die vom Forum gegen Rassismus und Diskriminierung auch in Deutschland aufgegriffen und mit Geldern des Antidiskriminierungsverbands Deutschland sowie dem Verein der Bundestagsfraktion DIE LINKE e.V. durchgeführt wird. Die Plakate werden anlässlich des diesjährigen Straßenkarnevals auf den Infoscreens in den U-Bahnen zu lesen sein. In einigen Teilen der U.S.A klären seit 2016 sogar diverse Universitäten ihre Student*innen über unangemessene Halloween-Verkleidungen auf – Tendenz steigend.
Denn einige Kostüme stärken rassistische und stereotype Bilder. Europäer_innen benutz(t)en diese Bilder, um Ausbeutung und Unterdrückung von bestimmten Menschengruppen zu rechtfertigen.
Wie kommt man nur auf die Idee, dass all das in Ordnung sei? Wie kommt man darauf, dass damit „der gesamte Spaß verboten“ würde, ja der Karneval an sich „in Gefahr“ wäre? Wie kann man ernsthaft meinen, „das sei ja gar nicht so schlimm“? Und, selbst wenn man letzterer (problematischer) Meinung ist: Weshalb kann man dann nicht zumindest aufgrund tausender Alternativen (wie wäre es etwa mit einem prächtigen Fabel-Vogelwesen, wenn man doch so sehr auf Federn steht) einfach nur Rücksicht auf fremde Gefühle und (diskriminierte) Kulturen nehmen?
Ihr lieben Jecken. Habt das bunteste und wildeste und schönste Karnevalsfest aller Zeiten. Aber bitte, bitte, versucht zu verstehen, dass ein paar wenige Kostüme nicht zum Karneval dazu gehören sollten. Weil der mitschwingende Hohn beim großen Besäufnis oder der Polonäse nicht wegzukriegen ist und weit über kulturelle Aneignung oder einen respektvollen Umgang miteinander hinausgeht.
In diesem Jahr habe ich mich lange vorbereitet auf die einseitigen Diskussionen unter kritischen Artikeln bezüglich Blackfacing und unangemessener Karnevalskostüme. Ich versuche, mich darüber zu freuen, dass Vorfälle wie diese überhaupt medial aufgegriffen, dass sie präsenter werden, dass ein Diskurs entsteht. Ich habe inzwischen auch gelernt, mich zu wehren. Die Wut und Verletzung, die ich nach meinem Fund auf otto.de unter der Rubrik Folklore verspüre, stellt mich trotzdem vor eine neue Aufgabe: Wie geht man mit diesen Kränkungen um? Schweigen ist jedenfalls keine Lösung. Die Mail an Kostüme.com ist bereits auf dem Weg.