Personal Heroines // Alba Rohrwacher als Angelica in „Daughter of mine“

19.02.2018 Film

Diese Frau ist eine Wucht: Sie ist schamlos, anstrengend, ziemlich oft betrunken, ruppig, laut und ausfallend. Sie ist aber auch verführerisch, kämpferisch und voller Lebensfreude. Diese Naturgewalt von Frau heißt Angelica und ist einer von drei Hauptcharakteren in Laura Bispuris zweitem Spielfilm Figlia mia (Daughter of mine), der am Sonntag auf der Berlinale Weltpremiere feierte. Gespielt wird Angelica von der Deutsch-Italienerin Alba Rohrwacher, die schon 2015 in Bispuris Debüt Sworn Virgin brillierte – damals als androgyne Hana auf der Suche nach der eigenen Identität.

Tochter zweier Mütter

Hana und Angelica könnten nicht unterschiedlicher sein: Wo Hana sich vorsichtig an alles herantastet, gehemmt ist, unsicher, bewegt Angelica sich raumgreifend und mit großem Selbstbewusstsein durch die Welt. Und ihre Welt, das ist Sardinien, das ist das der heruntergekommene Hof, auf dem sie alleine mit ein paar Pferden und einem Hund lebt. Sie macht ihre eigenen Regeln, die Meinung der anderen ist ihr egal. Doch dann steht eines Tages die zehnjährige Vittoria (Sara Casu) vor ihrer Tür, die Angelica bei einem Rodeo erspäht hat und sich der Anziehungskraft dieser Frau, die so anders ist als ihre Mutter Tina (Valeria Golino), nicht entziehen kann. Tina ist von den Besuchen ihrer Tochter bei der unberechenbaren Angelica nicht begeistert. Dass Angelica hoch verschuldet ist, den Hof verkaufen und aufs Festland ziehen muss, freut Tina insgeheim. Denn Vittoria ist eigentlich Angelicas Tochter, nicht Tinas. Tina war bei der Geburt dabei, hat Vittoria zu sich genommen und zusammen mit ihrem Mann als ihre Tochter großgezogen. Vittoria ist ihr ein und alles, Angelicas plötzlicher Kontakt mit Vittoria verunsichert und verärgert Tina – vor allem, weil Angelica partout ihren Hof nicht verkaufen will und immer mehr Einfluss auf die schüchterne und zurückhaltende Vittoria gewinnt.

 

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Dass Vittoria Angelica Tochter ist, wird schon in den ersten Minuten des Films klar. Figlia Mia kreist deswegen nicht um eine große Enthüllung, sondern konzentriert sich auf die Beziehung zwischen den drei Frauen. Behutsam, Schicht für Schicht, legt er Emotionen und Gefühle frei, nimmt sich Zeit für jeden seiner Hauptcharaktere. Er zeigt Tinas tiefe Liebe zu ihrer Tochter, ihren unaufgeregten Alltag in ihrem kleinen sardischen Dorf, ihre Rituale. Er begleitet Vittoria auf den Schulhof, wo die anderen Mädchen mit ihrer zurückhaltender Art nicht viel anfangen können – Vittoria, das wird deutlich, ist ein Mädchen, das keinen Anschluss zu Gleichaltrigen hat und sich oft alleine fühlt.

Fremdscham und Bewunderung

Und dann ist da natürlich Angelica. Angelica, die auf ihrem Hof wahlweise in einem durchsichtigen Schlauch-Kleid oder in Unterwäsche herumschlurft, die Haare zu einer Art Nest zusammengewurschtelt. Angelica, die abends in der Dorfkneipe die Männer betrunken darum anbettelt, ihr doch noch einen auszugeben – verzweifelt und mit ihrem zu kurzen Kleid und den großen Ohrringen gleichzeitig verführerisch-lasziv. Angelica, die keine Ahnung hat, wie man mit Kindern umgeht und was Vittoria eigentlich von ihr will. Angelica, die die Musik im Auto laut aufdreht, aus vollem Halse mitsingt und selbst die gehemmte Vittoria zum Tanzen bringt. Angelica, deren Auftreten eine einzige Herausforderung ist.

Alba Rohrwacher in der Rolle der Angelica flirrt und schimmert. Sie verführt das Publikum, Vittoria, sogar Tina. Ihre Persönlichkeit füllt die Leinwand und ihrer Anziehungskraft kann man sich selbst dann nicht entziehen, wenn Angelica im billigen Kleidchen Blowjobs gibt, wenn sie Vittoria abkanzelt oder Tina anschreit. Man schämt sich für sie – aber man bewundert sie auch. Laura Bispuri hat Angelicas Charakter für Rohrwacher geschrieben und die spielt sich die Seele aus dem Leib. Ihre Angelica ist nie nur das Eine oder das Andere. Überschwängliche Lebensfreude und existentielle Verzweiflung, Selbstständigkeit und Sehnsucht nach Nähe liegen bei ihr immer nah beieinander. Ein wunderbarer, fordernder Charakter. Eine wunderbare Schauspielerin.

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