Ach, Deutschland! Endlich hast du wieder eine Regierung! Überall beglückte Gesichter, ein strahlender Emmanuel Macron, der „chère Angela“ in Paris empfängt und ein Seufzer der Erleichterung, der gefühlt durch die halbe Welt geht: Deutschland is back! Ein halbes Jahr des Herumeierns ist beendet! Und theoretisch könnte ich mich ja auch darüber freuen, selbst wenn die Neuauflage der GroKo bei mir nicht gerade euphorische Gefühle auslöst.
Pillen vs. Smarties
Wenn, ja wenn, es nicht Jens Spahn gäbe (Horst Seehofer ist nochmal ein Sonderthema und wird hier sicherlich bald an anderer Stelle diskutiert). Spahn, frische 37 Jahre alt und aus dem mir studiumsbedingt sehr ans Herz gewachsenen Münsterland. Spahn, der nun von Angela Merkel eher widerwillig in die Regierung berufen wurde, weil die diesen hartnäckigen Kritiker eben irgendwie kaltstellen musste. Spahn, der sich nun Bundesminister für Gesundheit nennen darf. Sein Vorgänger Hermann Gröhe war so dermaßen leise, dass die meisten Deutschen ihn nicht mal beim Namen kannten. Bei Jens Spahn besteht diese Gefahr nicht: Er ist ständig medial präsent, stets meinungs- und auskunftsfreudig.
Insbesondere, wenn es um Empfängnisverhütung und Schwangerschaftsabbrüche geht. Zu diesen Themen hat Spahn nämlich eine dezidierte Meinung – und die hatte er schon immer, nur damals war das noch nicht so wichtig, damals war Spahn noch nicht Gesundheitsminister. Als vor einigen Jahren diskutiert wurde, die sogenannte „Pille danach“ von der Rezeptflicht zu entbinden und sie stattdessen rezeptfrei in Apotheken zu verkaufen, hatte Spahn direkt warnende Worte in Richtung Frauen parat: Die Pille danach sei „kein Smartie“ und dürfe deshalb nicht rezeptfrei verkauft werden. Was er meinte, war das: Frauen sind nicht fähig, verantwortungsvoll mit ihrem eigenen Körper umzugehen. Sie sind nicht in der Lage, Entscheidungen, die ihren Körper betreffen, überlegt und umsichtig zu treffen. Und: Frauen haben keine Ahnung, wie man verhütet und werden deshalb massenhaft die Apotheken stürmen, um die Pille danach zu kaufen.
Werben vs. Informieren
Nun ist Jens Spahn ein Mann, hat noch nie die Pille danach genommen und weiß deshalb nicht, dass diese Pille a) viel zu teuer ist, um sie sich wie Smarties in den Mund zu schmeißen und b) heftig in den Hormonhaushalt eingreift, Nebenwirkungen inklusive. Was Jens Spahn durchaus hätte wissen können ist, dass die Pille danach in anderen europäischen Ländern schon seit Jahren rezeptfrei in Apotheken erhältlich ist – und weder in Frankreich, noch den Niederlanden bilden sich in den Apotheken Schlangen von Frauen, die nach dieser Pille verlangen.
Das war vor ein paar Jahren. Jetzt befinden wir uns im Jahr 2018, Jens Spahn ist Gesundheitsminister und seit Monaten wird über den unsäglichen Artikel 219a des Strafgesetzbuchs diskutiert. Dieser Artikel betrifft das sogenannte „Werbeverbot“ für Abtreibungen – und stammt noch aus dem Dritten Reich. Ende letzten Jahres wurde die Ärztin Kristina Hänel vom Amtsgericht Gießen zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie darüber informierte, dass in ihrer Praxis Schwangerschaftsabbrüche angeboten werden. Seitdem wird darüber gestritten, wo die Grenze zwischen „Werbung“ und „Informieren“ verläuft. Die SPD würde den Paragrafen nun gerne abschaffen, hat aber um des lieben Koalitionsfriedens willen doch einen Rückzieher gemacht. Die Grünen sind sauer, die AfD freut sich und in der CDU/CSU herrscht sowieso Uneinigkeit.
Föten vs. Tiere
Jens Spahn – Überraschung! – gehört zu den Verfechter*innen des Paragrafen 219a. Der Bild am Sonntag sagte er letztes Wochenende, ihn würden „die Maßstäbe“ wundern:
Zunächst einmal: Wer will denn hier für Abtreibungen „werben“? Das Ganze ist ja nun wirklich nichts, für das man Werbung machen würde – es geht um Aufklärung, um Information, nicht darum, Frauen zur Abtreibung zu animieren. Und der Vergleich zwischen lebenden Tieren und nicht einmal zwölf Wochen alten Föten (denn nur bis zur 12. Woche ist Abtreibung in Deutschland ja normalerweise möglich) hinkt gewaltig.
Letztendlich geht es Jens Spahn wieder darum klarzumachen, dass er Frauen nicht zutraut, die für ihren Körper richtigen Entscheidungen zu treffen. Er tut außerdem so, als würden Frauen völlig sorglos mit Schwangerschaftsabbrüchen umgehen, als würden sie sich eine solche Entscheidung nicht gut überlegen, als sei eine Abtreibung für sie quasi wie ein Besuch bei der Zahnärztin.
Leichtfertig vs. durchdacht
Die Wahrheit ist: In manchen Situationen fällt die Entscheidung zu einer Abtreibung leicht, in anderen nicht. Für manche Frauen ist das Ganze kein großes Ding, für andere sehr wohl. Aber sehr selten dürfte die Entscheidung, abzutreiben, leichtfertig getroffen werden. Was Jens Spahn – wie so viele andere – nicht versteht, ist: Für das Recht auf Abtreibung zu sein, für das Recht auf Information, auf Aufklärung über diesen Eingriff, bedeutet nicht, Abtreibungen generell abzufeiern, sie toll oder sogar erstrebenswert zu finden. Menschen wie Jens Spahn, Menschen, die den Artikel 219a befürworten oder Abtreibungen in Deutschland sogar erschweren oder ganz verbieten wollen, trauen Frauen nichts, aber auch gar nichts zu. Sie haben kein Vertrauen in ihre Urteilskraft, kein Vertrauen in ihre Fähigkeit, selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen.
Und das ist das eigentliche Problem mit Jens Spahn: Nicht, dass er gegen Abtreibung ist. Sondern dass sein Frauenbild so ist, wie es ist – dass Frauen für ihn offensichtlich Kreaturen sind, die vor sich selbst geschützt werden müssen. Die Frage lautet nun: Wer schützt uns vor Jens Spahn? Vor seinen haarsträubenden Aussagen und Vergleichen? Vor seinem Unwissen? Die nächsten Jahre mit diesem Gesundheitsminister dürften anstrengend interessant werden.
P.S.: Das Gemälde im Header stammt von der wunderbaren Ana Leovy.