Der Frühling blüht! Herz – war er je so schön?
Lag je ein solcher Schimmer auf den Höhn
Und in den Thälern solch ein lieber Glanz?
Ein jeder Baum trägt seinen Blüthenkranz –
Auch du, mein Haupt, willst unter grünen Zweigen
Dich ahnungsvoll dem Glück entgegen neigen.
Die beiden Hände drück‘ ich auf die Brust –
Ist’s Schmerz, der drinnen lodert, ist es Lust?
Vielleicht ja beides. Mit ihrem Gedicht hat die deutsche Novellistin Anna Ritter zwei sehr ambivalente Frühlingsgefühle in eine einzige Frage gepackt, deren Beantwortung zuweilen schwer fällt. Denn einerseits würde ich mich schon allein beim Gedanken an die warmen Tage gern nahezu nackend ausziehen und Sonnen-rollig gen Spree radeln, im kurzen Rock oder Top. Anderseits zieht sich mir beim Gedanken an starrende Menschen aber der Magen zusammen. Und nein, ich meine damit nicht ausschließlich lüstern geiernde Männer. Auch, aber eben nicht nur. Als nicht minder unangenehm empfinde ich nämlich die Saison des Körper-Vergleichs, der vor allem von Frauen betrieben wird, untereinander. Zwei Zustände, die von der Sonne herbei beschworen werden also, über die wir unbedingt reden müssen. Denn beide sind keine Hirngespinste, sondern real praktizierte Absonderlichkeiten, die jede treffen. Weil frau es ohnehin nicht wirklich richtig machen kann. Frau ist ja entweder zu aufreizend gekleidet, zu scharf, zu hässlich, zu dick oder zu dünn. Irgend ein Haar in der Suppe unterschiedlicher Antlitze findet sich gemeinhin immer. Was können wir also tun? Zusammenhalten. Wir alle. Wir wollen ja schließlich ein schönes Leben und einen noch schöneren Sommer, richtig?
Denn liebe Männer. Es geht ja gar nicht darum, dass sich niemand mehr an Schönem erfreuen soll. Und Brüste und Beine und Arme und all das sind ja nunmal schön. „Erfreuen“, das kann man sich aber auf vielerlei Arten, respektvoll zum Beispiel oder schlicht und ergreifend respektlos. Letzteres ist daneben und gehört sein gelassen, das wisst ihr längst. Dann tut es doch einfach auch. Wenn ihr also höflich bleibt, vielleicht lächelt und kurz guckt, weil Gucken etwas ganz Natürliches ist, dann macht ihr damit noch überhaupt gar nichts falsch, wir sind ja nicht unsichtbar. Und viele von euch wissen sowieso, wie das geht, das Gucken, das nicht stört. Manche von euch übertreiben es aber so sehr, dass ein einfacher Blick schonmal zum Glotzen ausufert und dieses Glotzen kann sehr unangenehm und verletzend sein, weil es alles wegglotzt, was mit wirklichen Werten, den inneren zum Beispiel, zu tun hat. Man(n) kann durchaus auch Selbstbewusstsein weg- und Selbstzweifeln hinglotzen. Wenn das passiert, wird es für alle doof. Weil sich am Ende keiner mehr wohl fühlt. Wir am wenigsten, denn wir können ja nichts tun, jedenfalls nicht viel mehr als entweder daheim bleiben oder uns dem ganzem Schlamassel stellen. Dazu fehlt es vielen aber an Muße und Mut. Macht es uns also leichter. Macht, dass wir uns frei bewegen und frei fühlen können, dass wir den Sommer genauso sehr genießen können wie ihr. Wir haben nunmal Brüste mit Nippeln dran. Und Beine! Und Pos! Dass ihr da kurz hinseht, geschenkt. Aber dann darf der Blick gerne wieder ganz schnell zu den Augen wandern oder in die Ferne, wir sind schließlich weder Objekte noch Frischfleisch und nein, wir kleiden uns auch nicht bewusst luftig, um euch abzuschleppen. Sondern um den Wind zu spüren. Um nicht zu sehr zu schwitzen. Um es gemütlich zu haben. Um uns zu gefallen. Vielleicht auch ein bisschen, um euch zu gefallen, hin und wieder, aber es wäre gemein, würdet ihr diesen Umstand ausnutzen oder per se davon ausgehen, jede Frau, die sich leicht kleidet, warte nur auf eure Blicke. So ist das nämlich nicht. Eine Frau, die sich luftig kleidet, wartet allerhöchstens auf den einen Blick von dem einen Mann (oder der einen Frau). Aber nicht auf euren. Nicht auf das kollektive Gaffen. Seht ihr also, dass einer eurer Kumpels gerade dabei ist, sich zu vergessen, stupst ihn doch kurz liebevoll an. Als Erinnerung daran, dass wir alle nur Menschen sind, die lieber miteinander leben als gegeneinander oder fleischlich füreinander.
Und liebe Frauen. Seid doch nicht so hart zueinander. Seid stark füreinander. Halter zusammen. Und lasst das Vergleichen sein. Geschmäcker sind verschieden, Gehirne auch. Manche mögen’s kurz, manche lang, andere sind dick und andere dünn. Wir alle sind schön. Denn euer Empfinden, nein, unser Empfinden, ist nicht das Maß der Dinge. Es steht uns nicht zu, zu urteilen. Über Körper oder Kleidung. Es gibt keine Bitches, keine magersüchtigen Irren und keine fetten Säue. Es gibt wieder nur: Menschen. Die ihre eigenen Päckchen und Gründe mit sich herum schleppen, von denen wir meist überhaupt gar keine Ahnung haben können. Vielleicht ist die „magersüchtige Irre“ nur sehr schlank, das darf sie nämlich sein! Vielleicht ist aber auch gerade ihr Kind gestorben, ja wirklich. Vielleicht ist sie krank. Vielleicht kann sie vor Kummer nicht mehr essen. Vielleicht kann sie aber auch nur noch essen, die runde Frau da vorne, vor Traurigkeit. Vielleicht liebt sie aber auch ihre Rundungen! Jedes Kilo! Das darf sie! Weil sie schön ist. Weil Schönheit in sämtlichen Formen und Farben daher kommt. Egal wie wir es also drehen und wenden: Es steht nicht zu, zu (ver)urteilen. Herablassend zu handeln oder hochnäsig zu schauen, bloß weil irgendjemand nicht in unsere kleine Welt passt. Das ist sie nämlich: Schweineklein. Wenn wir meinen, wir hätten ein Recht auf Bösartigkeiten. Wenn wir anderen das Gefühl geben, falsch oder wertlos zu sein. Wenn wir andere benutzen, um uns selbst besser zu fühlen. Seid keine Arschlöcher. Aber auch keine Opfer! Steht zu euch. Schämt euch nicht. Tragt, was ihr wollt und lasst andere tragen, was auch immer sie wollen, lasst Bäuche blitzen und feiert, was ihr habt. Steht zu einander. Steht gemeinsam für eine Welt ein, in der ihr gerne lebt. Ist in der Praxis wirklich gar nicht so schwer, mit ein bisschen Übung.
Dann klappt es auch mit dem Frühling. Und der Sommer kann endlich kommen.