Es gibt ein Foto von Putin, das nicht jede*r mögen muss: Halb nackend, also oberkörperfrei, sitzt er da recht stolz auf einem Gaul – und zeigt der Welt seinen Busen inklusive zweier Brustwarzen. Schön oder gut finden muss man diesen Ausblick mitnichten, verbieten kann man Wladimir dieses Gehabe aber ebenso wenig. Zum Glück. Jeder Mensch dieser Welt sollte sich doch schließlich oberkörperfrei zeigen dürfen. Die Hälfte der Menschheit macht das, überspitzt gesagt, ja auch nach Lust und Laune. Es sind die Fahrradfahrer, denen in der Sommersonne der Schweiß über den nackten Wanzt rinnt oder Faulenzer auf der Parkbank etwa, die sich den Nabel brutzeln lassen. Ein gewohnter Anblick. Fahrradfarerinnen und Parkbankfaulenzerinnen hingegen sieht man niemals oben ohne. Ja, wollen sie womöglich nicht? Mag sein. Aber das ist nichtig. Denn sie dürfen überhaupt nicht, laut Gesetzt. Wir dürften nicht, selbst wenn wir wollten.
Hätte Angela Merkel sich also auf einen Schimmel geschwungen, um barbusig gen Wiederwahl zu reiten, so wäre sie vermutlich nicht nur für übergeschnappt erklärt, sondern auch zu einer saftigen Geldstrafe verdonnert worden. Erst recht, hätte sie ihren Ausritt via Instagram oder Facebook dokumentiert. Dort herrscht wegen eindeutiger Richtlinien vonseiten Apples zum vermeintlichen Schutze der Jugend (vor perversen weiblichen Brüsten?) nämlich noch immer gähnende Gleichberechtigungs-Leere: Männer-Nippel stören hier rein rechtlich niemanden, wird hingegen ein echter weiblicher Nippel aus Fleisch und Blut fotografiert und online gestellt, greift alsbald die Zensur. Accounts werden gesperrt und Bilder gelöscht. Wir kennen das längst. Sogar Rihanna hat es schon getroffen. Auch die Bewegung „Free the Nipple“, der es um weitaus mehr als nur um das Recht auf halbe Nacktheit geht, sondern um Gleichberechtigung und die Entkriminalsiierung der weiblichen Brust, die weiterhin munter sexualisiert, objektifiziert und zensiert wird, ist den meisten von uns geläufig. Ändern tut sich jedoch nichts. Genau genommen gilt eine waschechte Brust in der Öffentlichkeit auch in Deutschland noch immer als „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ oder „Belästigung der Allgemeinheit“. Im Umkehrschluss bedeutet das demnach obendrein: Männer, die oben ohne durchs Städtchen flanieren, tragen (wenn auch meist unbewusst) ein Privileg zur Schau, das ihnen ganz allein vorbehalten ist. Im Jahr 2018. In einer Zeit, in der Feministinnen erneut belächelt und schikaniert werden, zum Beispiel für ihr „eingebildetes Ungerechtigkeitsempfinden“. Ein Anti-Feminist würde auch diesmal behaupten: Ihr wollt doch gar nicht mit euren Busen durch die Städte wackeln, also stellt euch nicht so an!
Das liegt daran, dass sie die Tragweite dessen nicht begreifen können. Daran, dass sie nicht verstehen wollen, dass dieses Gesetz, das jeden weiblichen Nippel der Welt zum schweinischen Objekt degradiert, nur ein Symptom dieses großen Ungleichgewicht ist, das bis heute zwischen den Geschlechtern messbar und spürbar bleibt. Der Sommer, der uns da gerade frohlockend empfängt, dokumentiert das jedes Jahr aufs Neue ganz wunderbar. Und so kam es, dass die bezaubernde Reese Blutstein unter einem ihrer letzten Instagram-Posts abermals eine wichtige Debatte entfachte. Rein rechtlich betrachtet hatte Miss Blutstein mit der Veröffentlichung dieses Fotos übrigens überhaupt nichts falsch gemacht, ein transparentes Kleidungsstück genügt, um der IG-Zensur den Garaus zu machen. Die Sitten-Polizei aber schlug trotzdem zu; ein paar Kommentare sind mittlerweile verschwunden. Was nicht schlimm ist, denn viel wichtiger sind Beiträge wie diese hier:
Sie erinnern uns daran, dass wir diesen Kampf nicht nur für uns kämpfen. Dass Feminismus auch bedeutet, für die zu sprechen, die nicht gehört werden. Dass es nicht nur darum geht, dass wir uns kleiden dürfen, wie wir wollen. Oder eben nicht. Sondern darum, dass wir, insbesondere wir Frauen, ein Recht auf Sicherheit haben (müssen), das in vielen Ländern und Gesellschaften bis aufs Äußerste verletzt wird, jeden Tag. Das zeigt auch dieser Kommentar:
„I’m from México and here it is forbidden but o Ku for you protection. In fact, they rape you for wearing tight jeans, I can not imagine what it would be like if I’m semi naked. More than pleasure, one does it for protection. I imagine that’s what you mean. No one is criticizing your style (@double3xposure) – we all have doubts about how you do to dress like that in public.“
Und dann gibt es da noch diese junge Frau, die schreibt: „I love how you defend our right as women to wear the hell we want to wear. We shouldn’t be limited just because we have different body traits or functions. And I mean my brother has bigger boobs than me so why shouldn’t I be able to walk around with no shirt when it’s too hot?“
Was hier banal klingen mag, ist in Wahrheit eine bitter ernst gemeinte Frage, die wir an jede*n richten sollten, der*die das Prinzip Menschsein noch nicht verstanden hat. Damit aus der erträumten Utopie endlich eine längst überfällige Realität werden kann – in der eine Brust einfach eine Brust ist. Und kein Grund zur Unterdürckung.