„I belong deeply to myself“, heißt es in einem Gedicht der britisch-somalischen Autorin Warsan Shire. „Ich gehöre mir ganz allein“, schreibt sie — und imaginiert damit eine Wirklichkeit, die ich mir für uns Frauen so sehr wünsche. Leider gibt es aber Tage, an denen ich aus den Augen einer Frau in die Welt schaue und feststelle, dass ich selbst zwar diesen Anspruch an mich und mein Sein hier habe, dass genau das aber nicht ausreicht. Ich muss diesen Anspruch auch vor anderen vertreten, in einer Gesellschaft, die mir als Frau erstens noch nicht sehr lange und zweitens noch immer nicht besonders aufmerksam zuhört. Der letzte Freitag, an dem ein Referendum in Irland über die Liberalisierung des Abtreibungsrechts entschieden hat, gehörte nun zu einem jener Tage, die immer mal wieder, quasi als kleine freundliche Reminder, darauf hinweisen, wie weit wir oft noch von dem entfernt sind, was selbstverständlich scheint. Zum Beispiel davon, auf einem Planeten zu leben, auf dem Frauen allein und selbstbestimmt über ihre Körper entscheiden dürfen.
Während hierzulande noch immer eine wichtige Debatte über den Paragraphen 219a geführt wird, vielleicht wütender und entschlossener denn je, machen sich Frauen in Irland bis heute mit einem Schwangerschaftsabbruch strafbar – die Konsequenz sind Gefängnisstrafen von bis zu 14 Jahren. Schuld daran ist der 8. Verfassungszusatz von 1983, der Frauen und Ungeborenen gleiche Rechte zuschreibt. Strafrechtlich nicht verfolgt werden ab 2012 ausschließlich Frauen, deren Leben sich aus medizinischer Sicht durch eine Schwangerschaft in Gefahr befand.
Das bedeutet, dass ein Schwangerschaftsabbruch in fast allen Fällen juristisch verfolgt und bestraft werden kann. Dies gilt auch für Opfer sexueller Straftaten oder jene, die mit absoluter Wahrscheinlichkeit einen nicht überlebensfähigen Fötus in sich tragen. Sie alle werden durch die strenge Gesetzeslage bisweilen daran gehindert, frei entscheiden zu dürfen, über den eigenen Bauch und das eigene Leben. Über die eigene Gesundheit. Ein Recht auf Unterstützung haben sie nicht, ebenso wenig auf medizinischen Beistand. Wer dennoch einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen (lassen) will, muss andere Wege finden – die im schlimmsten Fall tödlich enden.
Hiermit stellte sich Irland in Sachen Fortschritt in gewisser Weise stets in einer Reihe mit etwa Polen auf. Dort herrscht eines der strengstens Abtreibungsgesetze Europas, das nun sogar mit einer weiteren Regelung verschärft werden soll: Auch schwer kranke und missgebildete Föten sollen in Zukunft keinen Abbruch mehr rechtfertigen. Die Proteste sind dementsprechend heftig, immer wieder. Ob sie helfen werden? Immerhin: Die Hoffnung bleibt.
Wenn man selbst in dieser Blase lebt, die mit bunten „my body my choice“, „the future is female“ und „GRL PWR“ Plakaten geschmückt ist, dann fühlt es sich halt so echt und greifbar an, das Versprechen, dass unsere Körper nur uns selbst gehören und jede Entscheidung über ebendiese demnach auch nur von uns getroffen werden kann. Versteht mich nicht falsch. Ich bin und bleibe die Allererste, die sich die schönsten Stifte schnappt um, möglichst ästhetisch, alle Parolen auf Papier zu bringen und so der ganzen Welt zu zeigen, woran ich von ganzem Herzen glaube. Wichtig ist dabei nur, dass wir immer wieder auch daran denken, die Augen ab und an vom Plakate malen aufzurichten und mit aufmerksamem Blick nach links und rechts zu schauen. Was passiert eigentlich in der Welt um uns herum, worüber müssen wir reden, uns informieren und wo gilt es noch aktiv zu werden, bis wir — Frauen — uns schließlich und wirklich ganz selbst gehören?
Wie gesagt, auch ich fange bei mir an und bin mir durchaus bewusst darüber, dass mir besagtes Referendum in Irland sicherlich auch früher hätte auffallen können, nein, müssen. Das Schöne daran, das muss ich jetzt aber ehrlicherweise zugeben, ist natürlich, dass ich irgendwie rechtzeitig zum Happy End eingeschaltet habe und so nur diese eine hoffnungsvoll berauschende Stimmung mitbekomme. Nicht nur dort, sondern in Europa. Denn dass die Iren und Irinnen am vergangenen Freitag mit rund 66% dafür gestimmt haben, dass der 8. Verfassungszusatz gestrichen wird, setzt ein wichtigen Zeichen. Auch für andere. Gemeinsam können wir eben doch etwas ändern. Nicht immer, aber zumindest können wir zusammen aufstehen für eine bessere Welt, ja wirklich.
Viele Irinnen, die mittlerweile schon gar nicht mehr in ihrer Heimat leben, sind beispielsweise extra für dieses historische Referendum zurück nach Irland gekommen, um ihre Stimme abzugeben. Mit dem Ergebnis, dass nun bis Ende des Jahres ein neues Gesetz verabschiedet werden soll, das den Gesetzen liberalerer EU-Länder gleicht und eine straffreie Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche, in medizinisch indizierten Fällen auch darüber hinaus, erlaubt.
Noch bin ich keine Mama und bisher musste ich mich dieser schwierigen Entscheidung für oder gegen ein Kind auch nicht stellen, ich schreibe all das also sicherlich mit einer gewissen Distanz und dennoch fühlt es sich unglaublich und wahnsinnig intensiv an, diesen besonderen Moment miterleben zu können. Lasst uns doch gemeinsam dafür sorgen, dass dieser Moment nicht verstreicht, dass wir den Dialog über das Thema Abtreibung am Leben halten und es durch einen aktiven Diskurs von seinem Stigma befreien. Denn auch wenn es am Ende nur Plakate sind, die Botschaften auf ihnen sind ohne jeden Zweifel absolut wahr: „Mein Körper, meine Entscheidung“ und für diese sollte sich keine Frau schämen oder rechtfertigen müssen.