Neulich lernte ich beinahe einen Mann kennen, der sich, das erfuhr ich später, nichts Schlimmeres als eine waschechte Mottoparty vorstellen kann, was mich noch heute betroffen macht, denn: Wir waren nunmal Gäste einer Mottoparty mit richtigem Motto und Mottokostümen zur Mottomusik. Alle hatten Spaß, das war kaum zu übersehen, nur eben der Mann nicht, der ja hasste, was er da gerade tat. Weshalb er wohl auch permanent an der Bar rumlungerte und kaum fähig war, sich vom Flaschenhals zu lösen. Mir ging es mit einem anderen Flaschenhals sehr ähnlich, nur aus anderen Gründen, und so kam es, dass wir uns bei der dritten Parallelbestellung schließlich allwissend zunickten und zeitgleich ein wenig näher aneinander rückten. Als ich gerade in Begriff war, ungefragt mit meinem Namen rauszurücken, um endlich mal aufs Ganze zu gehen, drehte sich der Mann auch schon zu mir um und blieb leider nicht stumm. Stattdessen sagte er: „Ich kenn‘ dich von Instagram, cooler Style, aber warum biste denn so eine Feministin?“.
Zum Glück steckte in meinem Getränk keine Fruchtschale oder sonstwas drin, die hätte ich nämlich ganz sicher erst verschluckt und mich dann übergeben. „So eine Feministin“ also. Wenig schlagfertig wie ich im Angesicht des Grauens nunmal bin, entgegnete ich nur: „Weil das jede und auch jeder sein sollte, dem etwas an Gleichberechtigung und Freiheit und Menschenrechten liegt.“ „Ihr macht es euch aber auch selbst schwer, ich meine, inzwischen kann man da ja zum Lachen echt in den Keller gehen, man darf ja gar nichts mehr und überhaupt, jetzt stehen plötzlich alle Männer unter Generalverdacht, als seien wir der Feind, das Böse oder per se Straftäter,“ jammerte er, der allerdings auch hier in diesem Club überhaupt nicht lachte, weiter. Ausnahmsweise nicht in der Lage, mich einem, der überhaupt rein gar nichts verstanden hat, anzunehmen, rollte ich nur hochnäsig die Augen und versprach, dass nach ein wenig Literatur und mehr Lebenserfahrung ganz bestimmt auch bei ihm der Groschen fallen würde. „Nee, ihr Emanzen seid einfach nur nervig und jetzt pass bloß auf, dass ich dir keine KO-Tropfen ins Glas kippe“, rülpste es sternhagelvoll zurück. Damit hatte ich aufgegeben, bevor es überhaupt angefangen hatte. Nur eines blieb: Die Erinnerung daran, dass es womöglich wirklich an der Zeit ist, dieses Ding mit der „Männlichkeit als potenzielle Gefahr“ etwas genauer zu erklären, das traut sich nämlich beinahe niemand.
Erstaunlich eigentlich. Denn normalerweise haben die Medien es in Anbetracht von unterschiedlichsten Tatbeständen im Falle von Gewaltverbrechen stets sehr eilig, ein Motiv zu finden. Zum Beispiel Glaube oder Eifersucht. Und Terror! „Die Pandemie der Gewalt“, schreibt Solnit deshalb in ihrer Essay-Sammlung Wenn Männer mir die Welt erklären, „wird ständig mit allem Möglichen erklärt, außer mit dem Geschlecht, außer mit dem, was das umfassendste Erklärungsmuster zu sein scheint.“ Da muss man als Mensch mit wunerbaren Freunden, Vätern oder Partnern natürlich erst einmal schlucken, das verstehe ich. Vor allem, weil viele Männer das Anliegen des Feminismus ja gerade aufgrund solcher Rundumschläge und der daraus resultierenden Angst heraus klein reden und verteufeln, von uns als Männerhasserinnen sprechen und Schweißausbrüche beim Gedanken an #MeToo bekommen. Was verkehrt ist und dringend geändert gehört, weil wir gemeinsam selbstredend viel mehr erreichen können und Gleichberechtigung nunmal alle meint, weil es nicht darum geht, Unschuldige niederzumachen, sondern all jene zu schützen, die keine Stimme haben oder trotzdem überhört werden. Und auch darum, aufeinander Acht zu geben. Darum, zusammenzuhalten, ungeachtet des Geschlechts. Damit sich irgendwann wirklich etwas ändert. Veränderung aber bedarf eben zunächst einmal einer großen Portion Reflexion und Bewusstmachung.
Jedenfalls ist die zitierte amerikanische Schriftstellerin, wie auch ich, das Gegenteil einer Männerhasserin. Besagte These hat nämlich rein gar nichts mit Hass zu tun, nein, sie basiert einzig auf Fakten. Und darauf, was passiert, wenn mächtige Männer ihre Macht ausnutzen. Auch mithilfe von Leibeskraft. Natürlich geht nicht von jedem einzelnen Mann dieses Planeten irgendeine Gefahr aus, das möchte ich nochmals inständig betonen. Und dennoch schadet es sicher niemanden, sich der eigenen Position bewusst zu werden. Und der Macht, die ich als Mann zumindest rein potenziell ausnutzen könnte. Hilfreich wäre es zum Beispiel, zu wissen, dass ich mich nach zu viel Schnaps nicht mehr im Griff habe. Damit ich erst gar nicht gefährlich werden kann. Auch gut, zu reflektieren, wann man sich selbst schonmal unangebracht verhalten hat – um es in Zukunft besser zu machen. Ihr versteht. Ein Blick auf die Medienlandschaft macht noch deutlicher, was Rebecca Solnit mit dieser Aufdeckung der Gefahr, die potenziell von Männlichkeit ausgehen kann, meint. In „Der längste Krieg“ fragt sie etwa:
Ja, auch Frauen können gewalttätig werden. Und nein, Männlichkeit ist ganz bestimmt keine Ursache von Gewalt, aber eben auch nicht weniger als eine gute Grundvoraussetzung für das Anwenden ebenjener. Solange wir diese Tatsache jedoch immer wieder unter den Tisch kehren müssen, um niemandem auf den Schlips zu treten, solange wir Frauen dazu aufgerufen werden, auf unsere Drinks zu achten, statt die eigentlichen Täter zu adressieren und solange uns geraten wird, nicht allein zu verreisen oder ohne Begleitung im Dunklen nach Hause zu gehen, solange wir gefälligst darauf achten sollen, nicht zu viel Haut zu zeigen und all das nicht ebenso für all unsere männlichen Freunde gilt, wäre es doch der reinste Irrsinn zu behaupten, die Pandemie der Gewalt sei keine Frage des Geschlechts. Das ist sie. Noch. Wenn das langsam auch genau die Männer begreifen, die sich gerade so sehr vor uns Feministinnen fürchten, stehen die Chancen für eine Zukunft, in der wir irgendwann einmal nicht mal mehr das sondern nur noch Menschen sind, aber vielleicht gar nicht so schlecht.