Während ich mich gerade einfach treiben lasse, manchmal sogar in ziemlich schöne Arme, aber noch gar nicht weiß, wo genau mir der Kopf steht, ist eine meiner Freundinnen derzeit bis über beide Ohren verliebt. Diese zwei verschiedenen, aber immerhin ähnlichen Lebens- und Liebessituationen münden dieser Tage jedenfalls sehr häufig in ellenlangen Gesprächen auf meinem Balkon, über Neuanfänge und Anfangsaufregung zum Beispiel.
Meist sitze ich nur da, höre zu und denke: Kenn ich. Ist zwar schon eine ganze Weile her, aber ja: Ich weiß noch ganz genau, wie das ist, wenn man meint, jeder falsche Schritt könnte das, was zwar ganz eindeutig da, aber noch ganz und gar undefiniert ist, zum Taumeln bringen. Oder im schlimmsten Fall sogar zum Verschwinden. Ich glaube, das ist ganz normal, wobei normal eindeutig eines dieser hundsgemeinen Wörter ist, die wir endlich streichen sollten, weil ohnehin niemand kapiert, was das überhaupt sein soll. So wie meine Freundin nicht kapiert, dass man eigentlich nichts falsch machen kann, solange man denn einfach tut, wonach einem ist. Hilft aber nichts. Ihre größte Sorge beschreibt sie mit dem auslaugenden Gefühl, zu viel für jemanden zu sein. Weil man sich zu viel meldet. Zu viel Liebes sagt. Zu viel fragt. Zu viel will. Ich denke dann wieder: Logisch. Bis sich mein Verstand abermals meldet und versucht, mit einer kleinen Erinnerung an das allseits bekannte aber oft vernachlässigte Selbstwertgefühl zu kontern. Weil man nunmal ist wie man ist und niemals zu viel sein kann, nur jemandem zu viel, der in diesem speziellen Fall dann aber möglicherweise einfach wieder zu irgendjemandem werden sollte.
Weiß sie alles, sagt sie. Und ich behaupte das auch. Verinnerlichen tun wirs hingegen beide nicht. Einmal habe ich in der ersten gemeinsamen Nacht meine Tage im Laken des Mannes bekommen und am blutroten Morgen danach gedacht, das wars jetzt. Ein anderes Mal habe ich bierernst auf eine rhetorische Witzfrage geantwortet und war anschließend sicher, wir würden uns nie wieder sehen. Ich habe auch schon vier SMS in Folge geschrieben, um nicht falsch verstanden zu werden, bis gar nichts mehr einen Sinn ergab. Oder Sachen gesagt wie „Ich hab dich fast so gern wie Wildblumenkäse“, obwohl ich längst verknallt war. Dann habe ich gegrunzt vor Schreck. Gescheitert ist es dann meist erst Jahre später, wegen ganz anderer Dinge.
Ich weiß, stöhnt meine Freundin, wenn ich das alles wieder und wieder erzähle. Dabei wissen wir beide im Grunde gar nichts. Wie das alles funktioniert, mit dem Kennenlernen und Verlieben und vorsichtigen Nachhaken, wie es um den gemeinsamen Status bestellt ist, meine ich. Weil es für so etwas leider keine Gebrauchsanweisung gibt, zum Glück. Weil immer wieder alles anders ist. Und wir ein bisschen Plemplem. Das macht die ersten Dates vielleicht nervenzehrend, aber auch so besonders. Sie kommen schließlich nie wieder. Und gehen im besten Fall gut aus. Wenn nicht, ist das schade, aber ehrlich. Ehrlichkeit währt ohnehin am längsten.
Vor meiner letzten Verabredung mit einem Menschen, den ich über die Maße mochte, war ich so aufgeregt, dass ich mich fast übergeben hätte. Was ich dann einfach zugegeben habe, in einer Nachricht, kurz vorher. Zur Begrüßung gab es dann Haselnussschnaps. Haselnussschnaps ist zwar keine Lösung, aber ein aufrichtiges gemeintes: Keine Sorge. Das hilft ja schonmal. Alles schön und gut, sagt meine Freundin. Aber manchmal sind die Dinge komplizierter. Wenn man längst dabei ist, sein Herz an einen Menschen zu hängen, der vielleicht ja gar keinen freien Haken hat. Sie gerät dann in Panik, weil alles schon erlebt. Arbeitet zu viel mit dem Hirn statt mit dem Herzen. Spricht jeden Pups aus, jede winzig kleine Angst, fordert Antworten ein, die es noch gar nicht gibt. Und macht damit hin und wieder kaputt, was womöglich hätte schön und groß und gut werden können. Niemand will ja eine komplizierte Frau an der Hacke haben, sagt sie dann. Und ich fange an, zu schimpfen. Zwar ist es wichtig, sich selbst zu hinterfragen, immer und immer wieder, an sich zu arbeiten, dazuzulernen, zu verlernen, durchzuatmen und ganz sicher auch hier und dort die Klappe zu halten, aber jeder Bammel, der nicht länger erträglich scheint, muss einen Weg nach draußen finden, zum anderen hin, denn dieser Bammel ist schließlich ein Teil von uns und wer diesem Bammel nicht mit Humor, Schneid oder Einfühlungsvermögen entgegenzutreten vermag, der wäre auf lange Sicht sowieso von ganz allein kaputt gegangen, nur dass es so eben schneller geht. Der Mythos der komplizierten Frau gehört gekillt. Das sind wir nicht. Wir haben bloß gelernt, zu reden über das, was in uns vor geht. Es ist unser gutes Recht. Wir dürfen fordern. Wir müssen sogar.
Es übertreiben ist aber auch nicht das gelbe vom Ei, stelle ich trotzdem vorsichtig fest, während ausnahmsweise die Freundin schweigt. Nur sollten wir zunächst einmal herausfinden, was wirklich und wahrhaftig Phase ist und was nur ein elender Phantomschmerz von längst Vergangenem. Unnötiges Drama ist und bleibt nämlich unnötig und ein Drama.
Ich kenne sowas natürlich auch. Von mir selbst. Aber auch von Menschen, die schon von Beginn an nicht leicht und unbedarft, sondern tonnenschwer scheinen. Die haben dann meist keine Chance. Genau so wenig wie ich selbst beim Aufeinandertreffen mit solchen Menschen. Wir beide gemeinsam nicht. Aber aus ganz anderen Gründen. Vielleicht, sagt meine Freundin, will ich das alles in dem Moment ja selbst nicht. Vielleicht ertrage ich nur nicht, dass der andere das auch kapiert. Dass das mit uns nichts wird. Vielleicht will ich den anderen dann gar nicht seinetwegen, sondern nur, um was zu fühlen und zu haben und nicht schon wieder zu leiden. Möglich, antworte ich, weil man ja niemanden will, der macht, dass es einem schlecht geht. Bingo, denke ich gleichzeitig. Und dann fährt mir plötzlich die Panik in den Nacken. Was, wenn man aber doch ganz schrecklich und von ganzem Herzen will, der oder die andere aber kein bisschen? Dann tut es wieder weh. Kenn ich schon. Kennen wir alle viel zu gut. Und trotzdem sitzen wir hier, schon wieder auf dem Balkon und fiebern und kichern und fallen und jauchzen. Wir fühlen uns lebendig, egal, was diesmal wird. Und wir machen weiter. Weil vielleicht ja irgendwann jemand kommt, der keine Angst hat. Der hungrig und mutig genug ist, all unsere Sorgen mit einem gigantischen Haps aufzufressen. Und wenn wir das dann wirklich gut finden, setzen wir uns schnell daneben und bestellen noch einen Dessert-Schnaps dazu. Weil das bekanntlich immer hilft.