Da sind wir wieder, als hätten wir von den vergangenen letzten Monaten, ja Jahren, oder viel besser – aus der deutschen Geschichte – nichts mitgenommen. Muss es eigentlich immer erst richtig rundgehen, damit Bemerkungen und Geschichten über Rassismus die Runde machen und auf den Titelseiten bekannter Publikationen stattfinden? Die Antwort ist: Ja! Und die Gemüter sind aufgeheizt. Immer dann, wenn sich die Deutschen mit dem Vorwurf des Rassismus konfrontiert sehen, sind alle ganz gekränkt und fühlen sich auf den Schlips getreten. Genau da, wo es nicht um sie geht, um die weißen Westler, die privilegiert ihren Lebensweg beschreiten, werden sie alle auf einmal ganz laut, die Stimmen über zu unrechtes Urteilen, über die Anstrengungen von politischer Korrektheit und Zurückweisungen von Vorwürfen, die zu Zeiten von H&M Jungelkönigen und zurückgetretenen Fußballspielern zu einer noch nie dagewesene Präsenz der Rassismusthematik im intermediären Raum führen.
Doch wofür kämpfen wir hier eigentlich, wenn die gefühlte Mehrheit nicht einmal versteht wofür es sich zu kämpfen lohnt?
Mesut Özil ist vor über einer Woche aus der deutschen Fußballnationalmannschaft ausgetreten und nennt als Grund Rassismus und Diskriminierung gegen seine Person. „Wenn ich gewinne, bin ich deutscher, verliere ich aber bin ich ein Migrant“. Unter anderem diese Aussage ist seitdem Anlass für eine deutschlandweite Debatte über Rassismusvorkommen. Unter #metwo, ein Hashtag ins Leben gerufen von Ali Can, wobei das two für zwei Identitäten zu verordnen ist, posten seither betroffene von ihren Erfahrungen mit Rassismus und der Backlash ließ nicht auf sich warten.
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Die Idealvorstellung einer Gesellschaft? Eine solche, in der wir uns als Teile einer Weltgesellschaft verstehen, ohne Ländergrenzen zu forcieren und mit dem Verständnis für Ethnien über solche hinwegzusehen. Eine, in der Nationalität für den Einzelnen aber nicht für das Gegenüber eine Rolle spielt und in der ein Jeder Verantwortung übernimmt. Wie kommen wir dorthin? Mit Nationalstolz jedenfalls nicht und auch nicht dann, wenn dieser protektiv oder durch Angst ums eigene Wohlergehen induziert ist.
Die Angst vor dem Anderen, der Überpräsenz derer mit dem offensichtlich differenten Aussehen und den fremden Sprachen, macht die, die sich nicht sicher fühlen, zu solchen, die sich wehren wollen. Zum Beispiel vor dem schwarzen Mann, denen mit dem Kopftuch und denen mir der fremden Sprachen in der KiTa. Aber es sind auch die mit der Angst und der Wut im Bauch, die nicht zuhören und verstehen wollen, wenn ihnen dann jemand sagt, wie es sich anfühlt, wie die andere, die interkulturelle Lebensrealität eigentlich ist und wie es manchmal schmerzt, so auszusehen wie man nunmal aussieht.
Reaktanz als Konsequenz nie zu Ende geführter Debatten über Rassismus und Xenophobie: Während die einen es nicht mehr hören können, haben die anderen nicht einmal angefangen, ihre Lauscher zu spitzen. Wir haben dann ein Problem, wenn sich jene zurückhalten, die wir hören müssen, um die andere Seite zu verstehen. Und wenn das bedeutet, dieselbe Geschichte über systematisch schlechte Schulnoten von muslimischen Kindern, die vom ungefragten in die Haare fassen, von der ewigen Frage nach der tatsächlichen Herkunft, das 500. Mal zu hören, wie schlimm es sich anfühlt, in einer endlosen Legitimationsschleife festzustecken. So schlimm, dass man beginnt an der eigenen Meinung zu zweifeln und irgendwann nichts mehr sagt, um den anderen nicht auf die Nerven zu gehen – oder aus Angst, jemand könnte und wollte einfach nicht verstehen, wie man sich fühlt.
Wenn da jemand ist, für den das Kostüm als stylischer Scheich verletzten ist, dann ist es verletzend. Wenn jemand gekränkt ist, weil sein Aussehen immer wiederkehrenden Debatten über sein Deutschsein zu legitimieren scheint, dann ist er gekränkt. Wenn jemand bei einer Personenkontrolle als einziger von seinen sonst weißen Freunden nach deinem Ausweis gefragt wird, dann ist es Racial Profiling und somit rassistisch. Basta.
Hass und Hetze auf Twitter und Co. sind ein alter Hut, das versteht man spätestens, wenn man sich einmalig in eine Spiegel Online Kommentarspalte bei Facebook verirrt hat und nicht aufhören kann, dort zu lesen. Nur, wie kommen wir raus aus der Abwärtspirale und wie entgegne ich denen, die meine Geschichten nicht hören wollen, sie verspotten oder hinterfragen?
Wir, und damit gemeint sind solche, die es besser wissen, solche die Rassismus erfahren haben oder solche, die den Opfern zuhören, wir sind gefordert, Präsenz zu zeigen, einzusteigen in die Facebookthreats und Twitterkommentare. Vielleicht gilt es, die Anstrengungen auf sich zu nehmen und bloß nicht zuzulassen, dass jemand konservative Gleichgültigkeit und rechtes Gerotze als Mehrheitsbild akzeptiert. Und wenn es sich anfühlt, als würde man gegen Wände reden, ist der Nachmittag im Kommentar-Dschungel kein verschwendeter, sondern einer für die Gesellschaft in der wir leben wollen. Eine, die das Wort Multikulti schon lange nicht mehr braucht, weil wir alle anders und dabei alle eins sind. Eine, in der die ganz unbedarften Leser*innen erfahren müssen, dass nicht nur braunes und verständnisloses Geistesgut im Internet unterwegs ist.
https://twitter.com/HalbeKatoffl/status/1023839400290074630
Leseliste zum Thema Internet Hetze und #MeTwo:„Die Angst vor dem Anderen“ – Zygmunt BaumannWhy I’m No Longer Talking To White People About Race – Reni Eddo-LodgeTaz / „Einfach mal zuhören“- Carolina SchwarzFilm von Rayk Anders – „Lösch dich“FAZ / „Der geheime Hass im Netz“ – Alexander DaydovTagesspiegel / „Der Fall Özil und die Doppelmoral“– Caroline FischerZEIT / „Hetze im System“ – EIke Kühl |