Ferien sind was Feines, Urlaub haben wir uns meines Erachtens alle verdient und das Reisen wird heute, zumindest hier, wo wir in Privilegien ersaufen, längst nicht mehr nur als Prestige-Handlung beäugt, sondern als Horizonterweiterung vorausgesetzt. Schon Humboldt befand, dass die gefährlichste aller Weltanschauungen die Weltanschauung jener Leute sei, welche die Welt überhaupt nicht angeschaut haben. Da ist viel Wahres dran, glaube ich. Mit Blick auf meine vergangenen Sommer und Winter und Sommer und Sommer müssten meine Gedanken derzeit also gerade so bis über die Grenzen von Brandenburg hinaus reichen. Mir bleibt also kaum etwas anderes übrig, als mich dank der Erfahrungen anderer permanent in die Ferne zu lesen. Das ging nun eine ganze Weile lang gut, ohne fomo oder Fernweh und jedes Mal wenn ein weiterer Urlaub aufgrund der anstehenden Arbeit aus dem Kalender gestrichen wurde, ruhte ich mich am Optimismus nagend auf der Vergangenheit aus, die immerhin in Amerika, Afrika, Kanada und halb Europa stattfand. Nur diesmal nicht; der späte Juli hat mir den Garaus gemacht.
Denn statt wie geplant in einem eigenen Camper durch Südfrankreich und rüber nach Korsika zu düsen, den Himmel überm nackten Hintern glitzernd und den Weißwein in der Kühlbox immer griffbereit, fand ich mich vor ein paar Monaten vor einem ganzen Haufen Scherben wieder, auch echten, weshalb dieser Trip meiner Träume schon ins Wasser gefallen war, nein geworfen wurde, bevor es überhaupt konkreter werden konnte. Es folgte: Schockstarre. Und auch ein bisschen Selbstmitleid, ehrlich gesagt. Weil Ferien und ich seit Jahren schon keine Freunde mehr zu sein scheinen. Kann ich ja nichts für, belog ich mich. Kommt halt immer was dazwischen. In Wahrheit bin ich aber einfach nur ein Lappen. Nicht in der Lage „nein“ zu sagen. Zu Aufträgen und Terminen. Oder „ja“ zum einfach-mal-Abhauen. Und so kam es, dass ich am ersten Tag der dreiwöchigen Kinderladen-Schließzeit noch nicht einmal wusste, was der Nachmittag bringen würde. Da musste ich kurz weinen. Um zu kapieren, dass genau diese Leere vielleicht das Beste war, was mir vorerst passieren konnte. Uns. Eine Woche mit Lio, nur wir beide. Fast. Schwimmbad, Seen mit Sandstrand, heimlich auch ein Cola-Eis, Bootstouren, viel Pizza, Deutsche Vita, endlose Lego-Nachmittage auf der Decke im Park, kuscheln und Käfer beobachten. Ich glaube, man nennt das Entschleunigung. Wir waren ganz selig. Und mir wurde die 476 ungelesenen Emails mit jedem Tag ein bisschen egaler. Auf eine Woche Faulsein folgten zwei volle Tage in Hamburg, wegen der Arbeit. Auch ok, weil die Sonne schien. Alles ok, weil alles so dahin plätscherte. Jetzt ist Lio bei seinem Papa und ich sitze wieder im Büro, weil wir eben doch nicht so ganz loslassen können. Sarah ist gerade hoffentlich auf dem Weg zum Meer und macht es doch ein bisschen besser als ich, und ich, ich schaue immer mal wieder nach, was so ein Flug nach Kambodscha kostet. Nächsten Monat zum Beispiel. Vielleicht fliege ich allein, vielleicht kommt meine Schwester mit. Die war gerade nämlich auch noch ein paar Tage zu Besuch und hat mir, ohne es zu wissen, etwas Wichtiges beigebracht:
Egal ob 19 oder 30: Ins Leben fallen lassen ist im Grunde alles, was wir haben. Alles mitnehmen eben. Jedes Gefühl, jede Chance. Als sie sich ihr erstes Tattoo stechen ließ, musste ich an Seattle denken. Der, der mir dort mein erstes Herz auf dem Handgelenk verpasste, war damals mindestens so betrunken wie ich. Klug war das nicht, aber bereut habe ich es keine Sekunde. Als meine Schwester mir am Wochenende also die schwarzen Linien auf ihrem Arm präsentierte, gleichzeitig euphorisch beseelt in den Armen von Alexandro, dem glücklicher Weise nüchternen Tätowierer, hängend, sagte ebenjener: Du auch? Ich hab noch Zeit und sehe es doch in deinen Augen funkeln. Keine Sekunde habe ich gezögert. Einmal „Forever young“ bitte. Nicht wie Alphaville, sondern wie Bob Dylan.
May you grow up to be righteous
May you grow up to be true
May you always know the truth
And see the lights surrounding you
Ich bin nämlich zu alt für gar nichts. Und hoffentlich (für) immer jung genug für alles, was ich erleben will. Weniger nein sagen muss ich also gar nicht lernen, bloß häufiger ja sagen sollte ich. Zu allem, was sich nach Spaß anhört, was unmöglich klingt oder naiv oder richtig oder wahnsinnig oder abenteuerlich. Du spinnst, hat meine Familie gesagt, als ich ihnen am Telefon von jemandem erzählt habe, der zwar kein Tattoo, aber Träume hat. Und: Pass doch bitte endlich auf dein Herz auf. Komisch, dachte ich. Das mache ich doch. Ich hänge es schließlich nur dort hin, wo es gerade am liebsten ist. Vielleicht fällt es da irgendwann wieder runter, wer weiß das schon. Aber, da ist es wieder: Ja. Ich trage nämlich wirklich viel lieber ein ramponiertes Herz, das sich viel angeschaut und trotzdem Hoffnung hat, mit mir herum, als eines, das sich kaum mehr aus dem eigenen Brustkorb heraus wagt, bloß aus Angst vor Eventualitäten – die wir am Ende ohnehin überleben.
May you always be courageous
Stand upright and be strong
And may you stay
Forever young.
Ich hoffe, ihr habt es schön. Ob zuhause oder im Urlaub. Ohne Sarah ist Jane Wayne zwar nur ein Schatten seiner (oder ihrer?) selbst, aber ich werde alles geben, versprochen. Lasst mich trotzdem gerne wissen, worüber ihr in dieser Woche lesen wollt, ob leichte Kost oder harter Tobak. Alles ist möglich. Sowieso.
xxx