Ich würde mich derzeit nur um mich selbst drehen, merkte neulich eine Zuhörerin unseres Podcasts an und das stimmt womöglich, mir ist nämlich schon ganz schwindelig von all dem Leben, das da momentan noch an mir dran hängt. Mal ist mir deshalb ganz übel, mal kribbelt es im Bauch, erst das eine, dann das andere und schließlich alles kreuz und quer. Wenn man nicht mehr weiß, wo oben und unten ist, kann man sich immerhin sicher sein, dass man noch nicht ersoffen ist und das ist besser als am Ende. Das bin ich nämlich nicht. Nur körperlich vielleicht, weil ich mich ja nicht nur permanent um mich allein drehen muss, sondern außerdem um meinen Sohn, vorgestern zum Beispiel, auf seinem Geburtstag, mindestens vierundfünfzig Mal. Da habe ich außerdem die gefräßige Tiefseetaucherin inklusive wasserdichter Brille gemimt, was mich zu der Erkenntnis brachte, dass mein „Forever Young“ Tattoo nicht mehr als ein schlechter Scherz ist. Fast umgekommen wäre ich, nachdem ich sieben volle Runden durch die Wohnung gejagt war um Kinder zu fangen. Weshalb das Saftglas, das mir schließlich hinunter gereicht wurde, mit einem dumpfen Dong gegen die in Plastik gehüllte Nase und dann auf den Boden knallte. Erst dreißig Minuten später hatte sich meine Gesichtshaut außerdem von den Druckstellen erholt und entknittert, ich meine sogar, die Stirnfalte blieb noch bis zum Abendbrot. Das ich übrigens bis heute noch nicht vom Boden weg gesaugt habe. Die weiße Jeans, die ich gerade trage, ist also nur ein weiteres Anzeichen dafür, dass ich dazu neige, die Dinge zu verharmlosen. Überarbeitung zum Beispiel. So ein Spagat mit vier Beinen, die man eigentlich ja gar nicht hat, zwischen Freizeit, Freund, Familie und kaum eintretenden Feierabenden, ist nämlich machbar, aber scheiße kräftezehrend. Wo wir wieder bei der zu Beginn erwähnten Pirouette angelangt wären.
In der spitzfindigen Dokumentation „She’s beautiful when she’s angry“ zitiert jemand den einen wichtigen Satz, der mich vor langer Zeit zum Schreiben von Kolumnen und ebenjenen textlichen Pirouetten gebracht hat: „Das Private ist politisch.“ Das Persönliche auch. Und genau deshalb erzähle ich voller Wonne und immer wieder von meinen eigenen Männersalaten, von Patchworkgurken und auch von Abtreibungstraumata. Von meinem Leben, von Gefühlen und Erfahrungen, fast ungefiltert, aber stets wohl durchdacht. Weil ich kapiert habe, dass wir nie alleine sind mit unseren Gedanken. Und dass es zusammen viel besser geht. Erfunden habe ich diese Politik der ersten Person aber keineswegs. Zu verdanken haben wir diese Phänomen, das sich heute etwa in Form von aufgeschriebenen Worten mit Identifikationspotenzial zeigt, einzig und allein der zweiten Welle der Frauenbewegung, die um die 70er Jahre herum aufkeimte, oder eher: Seit Ende der 60er.
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Da trafen sich plötzlich ganze consciousness-raising Gruppen von Frauen, um in geschützten Räumen über ihre Leben zu reden. Es gab nämlich kein Internet, das ist klar, und deshalb glich die Erkenntnis, dass andere ähnlich fühlten, einer Mondlandung. Man konnte plötzlich Sorgen und Ängste teilen, aber auch Mut machen. Über Sexualität, Erziehung, die Ehe und Gewalt sprechen. Über das Patriarchat und Chancen. Gemeinsam wachsen. Sich aufbäumen. Etwas verändern.
Nun bin ich zwar meistens eine Banane, aber nicht blöd. Mir ist durchaus bewusst, dass das mühsam erkämpfte Wahlrecht von damals tonnenweise mehr Gewicht hat als all meine gescheiterten Beziehungen und Wehwehchen zusammen. Die Hoffnung, nicht gegen Wände anzuschreiben bleibt aber trotzdem bestehen. Denn wenn ich über eine Bratpfanne auf dem Kopf wegen all der Kindererziehung schreibe, dann meine ich nicht: Habt Mitleid. Sondern: Lasst uns alle viel ehrlicher sein, damit Eltern nicht ständig das Gefühl haben müssen, Raben zu sein. Wenn ich sage: Mein Kind ist vier und seit seiner Geburt war ich mit drei Männern zusammen, dann meine ich nicht: Her mit den High Fives. Sondern: Kann passieren. Ist kompliziert. Aber kein Weltuntergang. Wir schaffen das. Wenn ich über meinen Schwangerschaftsabbruch schreibe, dann meine ich nicht: Seht her, ich bin eine tolle Feministin. Sondern: Schaut hin, da läuft noch so viel schief. Wenn ich über Anfangsängste in Beziehungen spreche, dann meine ich nicht: Geil, endlich kein Single mehr! Sondern: Erwachsenwerden ist komisch, aber es auszuprobieren lohnt sich trotzdem.
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Ja, wirklich. Ich denke durchaus, dass viele von uns gut daran täten, viel offener zu sein. Dass es keinen Grund zum Verkriechen gibt. Dass es ok ist, auch vor anderen über das zu sprechen, was einem so in den Alltag grätscht, ob nun Taucherbrillen oder Tragödien. Dass das Wahren des schönen Scheins krank machen und sogar gefährlich sein kann. Und dass rein gar nichts verkehrt daran ist, zu sagen: So fühle ich mich gerade. Mal gut und mal gar nicht. Klingt im Grunde logisch, gestern aber wurde mir klar, dass es auch eine Menge Mut erfordert, sich verletzlich oder fehlbar zu zeigen – nämlich als einer, der immer lacht, plötzlich vor meinen Füßen zusammen sackte, wegen allem, was nie raus durfte. Bis jetzt. Zum Glück, denn es geht gleich schon viel, viel besser. Ich werde es ihm jetzt übrigens gleich tun und mich in der nächsten Zeit noch ein bisschen schneller um mich drehen – um zu schauen, was alles raus kommt, wenn ich mich am Ende vor Erschöpfung einfach fallen lasse. Hoffentlich einiges. Denn wer viel los wird, fühlt sich danach im besten Fall viel leichter.