Ich bin immer ein bisschen erschlagen von den Modewochen, weil ich mich manchmal frage, wo der der Zirkus anfängt und wo er aufhört, in welcher Stadt wir gerade stecken und ob das wirklich noch jemanden interessiert. Vieles lässt mich nämlich schnarchen. Aber sei’s drum. Denn anderes hingegen macht furchtbar wach, verliebt oder baff. In dieser Saison, die dem Frühjahr/Sommer 2019 huldigt, hätten wir glatt zwanzig Artikel über das Gesehene verfassen können, aber, weil wir erst im Februar wieder vollzählig oder besser: endlich vollständig im Büro sitzen werden, bleibt derzeit jede Menge Schönes auf der Strecke. Das nennt man wohl Leben. Und Loslassen. Ein kompletter Ausfall der Fashion Weeks wäre aber ein Jammer, deshalb folgt nun ein kleines Round Up von allem, das ich nicht mehr missen oder vergessen will:
Alessandro Michele, der alte Gender Bender
Ich halte ohnehin nicht viel von all dem Gendermarketing da draußen und frage mich zudem seit Ewigkeiten, wann Männer sich denn nun endlich trauen werden, auch Kleider zu tragen (sofern sie überhaupt wollen). Weil es im Sommer wirklich kaum etwas luftigeres gibt, meine ich jedenfalls. Aber das ist ein anderes Thema. Auf dem Runway von Gucci wird nämlich kaum noch irgendein Unterschied zwischen den Geschlechtern gemacht. Unisex, alles. Ich finde das prima und bemerke verstärkt, dass mir die von den Burschen getragenen Outfits diesmal am allermeisten zusagen. Ja, die würde ich alle genau so tragen. Was doch herrlich ist. Und ein wichtiges Zeichen in Zeiten, in denen manch eine Partei am liebsten zurück zur Vergangenheit reisen würden, in der alles und alle eine feste Rolle übergestülpt bekamen. Pfui.
Die Welt ist bunt bei Dolce & Gabbana!
Ich frage mich oft, wer bei den großen und kleinen Schauen verantwortlich zeichnet für die Auswahl der Models. Und ob ebenjene Personen eigentlich irgendetwas vom Zeitgeist mitbekommen, ob sie überhaupt Lust haben auf Veränderung. Auf Diversität. Deshalb machen mich die beiden Herren Dolce und Gabbana dieser Tage besonders glücklich. Sie setzen mit ihrer Laufsteg-Performance nämlich auf genau das, was längst selbstverständlich sein sollte: Die Schönheit der Vielfalt! Egal ob in der Liebe oder hinsichtlich all der Formen und Farben, in denen wir Menschen so daher kommen:
Proenza Schouler – Es ist ein Tomboy!
Die beiden Designer hinter Proenza Schouler, Jack McCollough and Lazaro Hernandez, wollten mit ihrer Frühjahrskollektion 2019 vor allem eine ganz neue Ära einläuten, eine, die nach mehr Realität lechzt, die mehr Alltag als Anlass ist. Gut, das scheint geglückt, aber viel wichtiger ist hierbei doch die Infragestellung des heutigen Schönheitsideals. Was ist schön, was ist feminin? Gibt es so etwas wie Weiblichkeit in der Mode überhaupt noch? Natürlich. Aber sie muss weder romantisch, noch sexy sein. Ist aber dennoch beides. Und zwar ganz ohne die Hilfe von gängigen Klischees:
Saint Laurent – Sexuelle Selbstbestimmung, encore!
Beim Betrachten der Saint Laurent Kollektion braucht man wirklich nicht lange nach der Inspiration suchen, sie wird einem geradewegs vor die Füße geworfen. Wir stecken hier quasi mittendrin in den 60ern, 70ern und 80ern, irgendwo in Paris, immer die Luft der sexuellen Selbstbestimmung im Nacken, die nicht gänzlich ohne die dazugehörige Mode auskam. Das Spiel mit Männlichkeit und Weiblichkeit, nein, die optische Verschmelzung von beidem, galt und gilt noch immer als Ausdruck von dem unbedingten Willen, sich nicht länger unterzuordnen zu wollen. Sich aber gleichwohl nicht verstecken zu müssen, auch nicht im kürzesten Rock, bloß weil manch einer meint, jeder noch so kleine Funke Erotik sei ein Freifahrtsschein. Am Tag der Show wurde in Frankreich übrigens erstmals ein Mann zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, weil er einer Frau in einem Bus auf den Hintern geschlagen hatte – dank des neuen Gesetz zum „Kampf gegen sexuelle Gewalt“. Wie passend, dass Saint Laurents Show auch ein Aufruf an alle Frauen war, sich jederzeit genau so zu kleiden, wie sie allein wollen. Weil es nunmal unser verdammtes Recht ist.
Pyer Moss – Just black people doing normal things
Designer Kerby Jean-Raymond entschloss sich ganz bewusst dazu, seine Show in Weeksville (Brooklyn) stattfinden zu lassen – Kurz nachdem die Sklaverei in den USA abgeschafft wurde, entstand hier 1838 eine der ersten freien schwarzen Communities. Wirklich frei fühlen können sich die meisten Schwarzen dennoch bis heute nicht – Stichpunkt: White Privilege. Um genau diesen Umstand zu unterstreichen, zeigt Jean-Raymond in seiner Kollektion etwa Drucke und Stickereien von schwarzen Mitmenschen, die „ganz normale Dinge tun“. Weil viele selbst das nicht können, ohne mit Bewertungen von Außen oder gar mit Polizeigewalt konfrontiert zu werden. Dabei ist eine Welt ohne Rassismus die einzige, in der wir leben wollen. Vielleicht helfen Weckrufe wie diese ja dabei.
Dior – „I’m not interested in how people move, I’m interested in what makes them move“
Seit etwa zwei Jahren krempelt Maria Grazia Chiuris als Chefdesignerin das Couture-Haus Dior um. Es ist, als hätte sie es an die Hand genommen und ihm gezeigt, was was es bedeutet, eine feminin-feministische Haltung nach Außen zu tragen. Dass es wichtig ist, überhaupt eine Haltung zu haben. Vor allem, wenn man ganz oben mitspielt. Diesmal geht Chiuris allerdings weniger radikal vor als in den vergangenen Saisons – wobei das gar nicht ganz richtig ist. Denn auf dem Laufsteg, wo sich Tanzperformance und Mode kreuzten, war kaum etwas von der sonst so gern unterstrichenen Zerbrechlichkeit der Ballerinas zu sehen. Eigentlich war da nur: Stärke. Und die wurde auch von der Location, dem Hippodrom im Bois de Boulogne, transportiert, der über und über mit Zitaten von hervorragenden Frauen wie Pina Bausch, Isadora Duncan und Sharon Eyal geschmückt war. Wie etwa: „The story comes from inside the body“ von Sharon Eyal, der Schöpferin der gezeigten Dior-Choreographie.
Chromat – How to get a beach body:
Have a body, go to the beach!
Es ist immer wieder wichtig, sich an die eigenen Nase zu fassen. So erst neulich, als ich bemerkte, dass wir vor lauter weißem Feminismus in unserer Elfenbeinturm-Blase kaum an den so wichtigen intersektionalen Feminismus denken, an Inklusion. Echauffierten wir uns bislang stets über die fehlende Körper-Diversität auf den Laufstegen dieser Welt, wird uns beim Betrachten der wunderschönen Bilder der Chromat Show erneut klar, dass das längst nicht ausreicht. Denn es gibt so viel mehr. So viel mehr zu tun und zu verstehen und zu zeigen – und zwar mit allergrößter Selbstverständlichkeit. Menschen, wie Mama Cax zum Beispiel:
Power Dressing bei Boss
Power Dressing – die spitzfindige Erfindung der späten 70er und frühen 80er Jahre, die es sämtlichen Frauen ermöglichen sollte, sich in eigentlich männlich dominierten Metiers den verdienten Respekt und endlich auch Anerkennung einzuheimsen, ist längst zurück. Ein Stil eben, der dem Patriarchat den Kampf ansagte. Frauen im Herrengewandt quasi, so wie es die Tomboys schon in den 20ern während der ersten Befreiungswelle der Frauen vormachten. Erstmals tauchte der Begriff übrigens schon im 15. Jahrhundert auf und meinte so viel wie: „Dreiste oder schamlose Frau“ und später dann „Mädchen, welches wie ein lebhafter Junge agiert“. Kennen wir auch bis heute, solche Klischees, non? Es ist also erst Recht an der Zeit, erneut dem Power Dressing zu frönen, dessen Wurzeln durchaus in der Bewegung der Tomboys und auch Garçonnes zu suchen sind. Boss jedenfalls überraschte mich in dieser Saison erneut – nichts mehr übrig von verstaubten Büro-Outfits, würde ich sagen. Vielmehr handelt es sich bei der gesamten Kollektion um Kleidungsstücke, die gern vom Office in den Feierabend manövriert werden dürfen. Praktisch, wenn man mich fragt und noch dazu ein Ausdruck von sich wandelnden Zeiten, in denen Geschlechterrollen mehr und mehr hinterfragt und aufgebrochen werden. Trotzdem bleibt noch viel zu tun, da hilft all der hübsche Fummel nicht. Gender Pay Gaps sind real – und betreffen im Übrigen vor allem arbeitende Mütter.
Rejina Pyo – Eine Ode an das echte, wilde Leben
Rejina Pyo gehört offen gesagt vor allem optisch zu meinen Highlights. Das allerdings liegt nicht zuletzt an ihrer realistischen Einschätzung des wahren, wilden Lebens. Statt wie bei vielen anderen Designer*innen Outfits vor die Nase geknallt zu bekommen, die eigentlich nur im Stehen oder einzig auf einem Runway Sinn machen, würde ich in diesem Fall behaupten, dass jedes einzelne genau das abbildet, was ich mir im kommenden Frühjahr für den Alltag wünsche: Gemütlichkeit mit ein bisschen Pfiff. Ihr wisst schon. Wenig Firlefanz, aber trotzdem Woho. Nichts kneifendes, lieber lockeres. Danke, liebe Rejina. Für so viel Realitätsnähe.