Wir haben 5 Menschen gefragt, was für sie
Rassismus-basierter Alltagsdruck bedeutet

26.09.2018 Leben, Gesellschaft

Was kann ich machen, um meiner rassistischen Sozialisation entgegenzuwirken? Wie kann ich den Menschen helfen, die massiv von Rassismus betroffen sind? Wie können wir Deutschland zu einem lebenswerteren Ort machen? In den letzten Black Girl Confessions ging es um eine allgemeine politische Pflicht in Zeiten wie diesen. Der erste Schritt? Hört denen zu, die von einem strukturellen politischen Wandel hierzulande, besonders in Bezug auf Diskriminierung, betroffen sind. „Rassismus ist wieder salonfähig? – Glaube ich nicht!“, ruft eine empörte Mitte und trifft besonders dann ins Fettnäpfchen, wenn sie mit gerümpfter Nase nach wütenden Glatzen mit Deutschlandflagge in der Hand sucht. In den häufigsten Fällen wartet Rassismus am Bäcker auf dich, vorne am Lehrer*innenpult oder in der Chefetage. Bevor man als unbehelligter Mensch, der nicht glauben mag, was die besorgten Stimmen da reden, schnaubend protestiert, sollten es die Geschichten der Betroffenen sein, die einen wachsam stimmen. Wie fühlt es sich an, Entscheidungen zu treffen, sich zurückzuhalten und unter dem Schirm alltäglicher Rassismen ein Leben zu leben? Wir haben 5 Menschen gefragt, wie sie mit dem täglichen Assimilations- und Perfomancedruck umzugehen versuchen.

Maja, 22 aus Berlin

Ein Beispiel, ist meine Beziehung zu Jogginghosen im Alltag. Momentan auch in westlichen Ländern super hip, früher der migrantischen Arbeiter*innenklasse zuzuordnen und somit im Westen stigmatisiert. Es geht hierbei im weitesten Sinne um die Aneignung von Dingen und Attributen, die, wenn sie von Arbeiter*innen, Migrant*innen oder migrantischen Arbeiter*innen getan oder getragen werden, als „schmutzig“ und „unprofessionell“ konnotiert sind, wenn  Mitglieder der nicht-migrantischen Ober- und Mittelschicht sie tragen, die edgy und cool ist. Die Besonderheit, die in diesem Beispiel also beobachtet werden kann, ist, dass die Dimensionen, die dieses Beispiel diskriminiert, die Intersektionen von Klassismus und Rassismus sind.

Obwohl ich eine Zeit lang sehr gerne in der Öffentlichkeit Jogginghosen trug, gab es eine Zeit, in der ich mich nicht mehr traute, da ich Angst hatte, in eine Schublade gesteckt zu werden, in der ich nicht sein will. Ich wollte mich mit allen Mitteln abheben von dem typischen „Ausländer*innen-klischee“. Ich wollte mich einerseits nicht als fremd bezeichnen lassen, aber selbst bezeichnen konnte ich mich in diesem Chaos der ständigen Identitätsfragen auch nicht. Lange Zeit habe ich versucht mich, soweit es geht, von diesen Fremdbezeichnungen zu distanzieren und für alle das „migrierte Positivbeispiel“ zu spielen, jetzt weiß ich aber, dass Fremdbezeichnungen einer der Mechanismen von „White Supremacy“ sind, wie migrantische und nicht-weiße Perspektiven diskriminiert werden.

Was ich aber im Nachhinein dekonstruieren kann, ist, dass es nicht schlimm ist, Klischees zu entsprechen und Attribute auch von Rassismen betroffenen Personen „reclaimed“ werden können. Aber genauso kannst du dich und deine Person komplett von diesen Klischees distanzieren. Whatever feels right for you <3.

Ich denke, das passiert vielen Migranten-Kids, die versuchen, sich selbst zu definieren, diese Selbstdefinition aber gefühlt nur in Abgrenzung oder Assimilierung zur weiß-christlich-deutschen Mehrheitsgesellschaft tun können. Manchmal denke ich, dass ich in Deutschland niemals herausfinden werde, wer ich ohne die Mehrheitsgesellschaft bin, vielleicht ist dies aber auch nicht nötig für den politischen Fight, den ich gemeinsam mit vielen anderen führe. Ich spüre momentan einen großen Zusammenhalt innerhalb der Community, der wahrscheinlich dem erstarktem Rechtsdruck geschuldet ist. Aber jede nicht-weiße Person, die ich in einer Werbung sehe und jeden nicht westlichen Namen, den ich auf einem Buchtitel lese, bestätigt und empowert mich in meinem Aktivismus und zeigt mir, wofür ich das überhaupt mache.

Fußnote:
weiß als politischer Begriff.

Kate, 29 aus Berlin

Gut sein, gutes tun, beste Leistungen erbringen und auf gar keinen Fall negativ auffallen, das ist das, was ich mit meinem Aufwachsen verbinde und was sich immer noch durch mein Leben zieht. Ich habe mir eigentlich selbst verboten, jemandem einen Grund zu geben, sagen zu können „Ja, das haben wir uns eh schon gedacht“. Man hat auf der einen Seite das Gefühl, dass Menschen von dir erwarten, dass du dich bis aufs Äußerste anpasst und zwar auf eine Weise, auf die sich teilweise ja der Durchschnittsdeutsche noch nicht mal anpasst – an was denn auch? – und auf der anderen Seite hast du das Gefühl, dass immer eine Art Fail erwartet wird. Und diese Genugtuung willst du niemandem geben. Für mich war das immer besonders „komisch“, weil ich den Migrationshintergrund nur aufgrund meiner Hautfarbe äußerlich mit mir herumtrage, aber zuhause gar keine andere Kultur, keine andere Sprache, kein Anderssein (anders als „die Deutschen“) vorgeherrscht hat, weil ich nicht mit meinem Vater, der aus Uganda eingewandert ist, aufgewachsen bin. Alle denken, du bist die kleine Schwarze, die (natürlich) aus irgendeinem afrikanischen Land eingewandert ist und kommentieren permanent: „Sie sprechen aber gut Deutsch“. Ja, was denn sonst? Ist ja auch meine Muttersprache. Aber wenn du gewöhnt bist, dass die Menschen um dich herum erstaunt über deine Leistungen sind, die sie nämlich nicht von dir erwarten, obwohl sie dich nicht kennen, du also von vornherein abgestempelt wirst, dann entwickelst du diesen Drang, diese Leistungen sogar noch zu übertreffen und Menschen, sei es auf der Straße, im Bus, im Supermarkt, im Nobelrestaurant zu erstaunen und deine Pflichten als Vorzeigemigrantin zu erfüllen. Du weißt ganz genau, dass die Fehler, die du machst, in vielen Fällen, nicht dir persönlich zugeschrieben werden, sondern direkt einer komplette „Gruppe“, in meinem Fall dann eben Schwarzen. Aber auch die guten Dinge haben im Optimalfall ja positive Auswirkungen auf diese Gruppe. “Also meine Nachbarin, die ist auch Schwarz und die ist ja schon echt (bitte positives Attribut einfügen).“

Bei unbekannten Menschen würde ich bis heute nie aufmucken, nie wütend werden, nie Slang reden – den ich mir ja im Übrigen genauso antrainieren musste, wie alle anderen Kids damals auch, sondern immer perfekt abliefern, oder es zumindest versuchen. Das ist ein ungemeiner Druck, den man mit sich herumträgt. Und führt auch oft mal zu Situationen wie „Oh, sie hatte ich mir ja ganz anders vorgestellt“. Mir sind teilweise sogar heute noch Situationen peinlich, in denen weiße Freunde besonders laut oder auffällig sind, weil ich dabei sitze und oft das Gefühl habe, dass es auf mich zurückfällt, weil es eben früher so war.  Als ich ein Kind war war dies öfter der Fall.

Ich war mit Freunden unterwegs, irgendjemand war laut, hat rumgeschrien, hat Scheiße gebaut und am Ende war ich diejenige, der man es zugeschrieben hat. Ach, da war ja diese kleine Schwarze dabei, typisch. Daher galt für mich immer benehmen Hoch 100. Am Ende beweist du eigentlich tagein, tagaus, dass du es würdig bist, Deutsche zu sein, weil dein Ausweis auf dem es steht und deine persönliche Story gar nicht zählen. Du beweist permanent, dass du perfekt integriert bist, was für mich total irritierend ist, weil ich mich ja eigentlich nie integrieren musst. Schließlich bin ich ja von nirgendwoher in ein fremdes Land gekommen, musste keine Sprache neu lernen und keine neue Kultur. Aber der Stempel saß und sitzt immer noch.

GmbH Kamapgne S/S 2017

Ella, 24 aus Trier

Für mich war es tatsächlich erst einmal eine Überraschung, als mir bewusst wurde, dass ich Schwarz bin. Schwarz im Sinne von, schwarz als politisches Konstrukt. Immerhin habe ich mich nie weniger deutsch und weiß gefühlt, als der Rest meiner deutschen Familie. Heute wird mir das im Alltag allerdings immer wieder bewusst gemacht. Mal bin ich zu Schwarz und im nächsten Moment „nicht Schwarz genug“. In der Schule war ich lange Klassenbeste. Und jede*r neuer Lehrer*in war erstmal sehr überrascht über meine Noten. Neue Schüler*innen dachten dafür immer automatisch, ich sei total extrovertiert, höre nur Hip-Hop und habe sowieso keinen Lust auf Schule. Als ich deren Stereotype dann auch noch enttäuschen musste, habe ich die ersten Aussagen wie: „Ach, die ist ja gar nicht richtig Schwarz“ gehört, was sehr verwirrend war, da mir bisher ja immer das Gegenteil klar gemacht wurde. 

Mir hat mal ein älterer Herr in einem Gespräch erzählt, er hätte gute Bekannte, die seien „genau so“ wie ich. Naiv wie ich war, habe ich mich gefragt, was er denn jetzt genau an meinen Eigenschaften meinen kann, immerhin sprachen wir ja nicht lange. Nach einer Denkpause eröffnete er mir dann, dass diese Bekannten „auch Mul***en“ seien. Ich war so verblüfft von dieser Aussage, dass ich nicht mal sinnvoll reagiert habe. Abgesehen davon, dass das Wort absolut nicht in Ordnung ist, fand ich es erschreckend zu sehen, dass meine hauptsächliche Eigenschaft anscheinend Schwarzsein ist. Ich werde anscheinend nur nach der Hautfarbe identifiziert und beurteilt. Genau das hat mich seit meiner Schulzeit immer unter Druck gesetzt: Zum Beispiel besonders höflich und hochdeutsch zu sprechen. Bloß nicht auffallen, besonders bei älteren Menschen. Dieser innere Druck und das stetige Bestreben, dass Leute mich als die Person sehen, die ich bin und nicht nur nach meiner Hautfarbe urteilen. Daraus resultierten meine Hemmungen und meine Furcht vor den ständigen Diskussionen über meinen Migrationshintergrund, wenn einem die Identität angezweifelt wird und alles wieder aufs Neue diskutiert werden muss. Das alles hat mir als junger Mensch extreme Selbstzweifel und ein Gefühl vom „Nicht-dazugehören“ beschert. Heute ist mir längst bewusst, dass es nie einen Unterschied macht, wenn man sich besonders deutsch verhält, da ich meine Hautfarbe nicht ablegen kann (und will!). Leider ist es oft das, worauf Menschen am meisten reagieren. Außerdem möchte ich nicht für mein „deutsches Verhalten“ gelobt werden, da Deutsch-sein für mich kein Idealwert mehr darstellt, sondern mein Ich-sein. Ich bin stolz auf all meine Wurzeln.

Rea, 30 aus Berlin

„Meine Mutter ist Griechin, mein Vater Ägypter“, diese Aussage fällt immer wieder dann, wenn ich erst gefragt werde, woher ich komme und meine Antwort „Aus Berlin“ nicht ausreicht. Aber damit nicht genug, ist es zusätzlich Fluch und Segen zugleich, Eltern zu haben, die aus zwei der aller, aller, allerliebsten Urlaubsländer der Deutschen kommen. Denn was nach der finalen, meinem gegenüber endlich zufriedenstellenden Antwort folgt, ist – oder war, denn jetzt mache ich das nicht mehr mit – ein merkwürdiger Performance-Druck. Performance im Sinne von „Spiel uns das Stück von der integrierten Ausländerin, die uns Tipps für den Urlaub gibt, Geschichten über Mythologie, Antike, Pharaonen und Pyramiden erzählt und Rezepte für griechische Hausmannskost ihrer Oma weiterreicht“. (Und warum heißt es eigentlich Hausmannskost, wenn bis dato immer Frauen in der Küche stehen sollten?). Performance im Sinne von „Sag’ doch mal was auf griechisch/arabisch! Sag‘ doch mal!“. Performance im Sinne von „Oh, da tanzt man doch immer diesen Zorbas-Tanz/Bauchtanz, kannst du das? Zeig’ mal“. Jahrelang habe ich mich darin wohlgefühlt, diese Rolle zu erfüllen und zu performen. Bis ich irgendwann die Nase voll hatte, weil in neuen Runden oft niemand anderes so vorgeführt, so mit Fragen gelöchert wurde.

Doch der Performance-Druck kam, zugegeben, nicht nur von außen, sondern auch von innen: Meine Mutter und mein Vater waren die ersten Akademiker*innen ihrer Familien, ihre Eltern waren Bauern und Bäuerinnen oder Händler*innen. Und so stand es außer Frage, dass mein Bruder und ich aufs Gymnasium gehen und studieren sollten, denn alles andere wäre in den Augen meiner Eltern ein Schritt zurück und „dafür sind wir nicht nach Deutschland gekommen“. Eigentlich sollten wir auch gleich Jahrgangsbeste*r werden, um bloß wirklich deutsch zu wirken. In der U-Bahn nicht zu laut sein, um bloß deutsch zu wirken. Uns möglichst viele herkunftsdeutsche Freund*innen suchen, um möglichst deutsch zu wirken. Es hat Jahre gedauert, bis mir klar wurde, dass „deutsch zu wirken“ eigentlich heißt, „rassistischen Klischees zu widersprechen“. Ewig hat es gedauert, bis ich verstand, dass ich so überhaupt nie dazu kam, meine ganz eigene Identität aufzubauen, sondern mich immer wieder an Parametern entlang hangelte, die meinen Eltern als Gastarbeiterkindern und Einwanderern aufgetragen wurden. Das alles zu verlernen und neu zu erlernen, ist bis heute tägliche Arbeit – aber die lohnt sich, weil: Ich performe jetzt nur noch für mich selbst.

Laura, 27 aus Graz (Name und Stadt wurden von der Redaktion geändert)

Es fängt damit an, dass meine Vermieterin immer sofort anruft, wenn die Miete nicht am ersten Tag auf dem Konto ist (zb an Sonntagen oder Feiertagen) obwohl ich die Miete noch nie zu spät gezahlt habe. Ich schicke Ihr jetzt immer automatisch eine Überweisungsbestätigung zu und zahle die Miete etwas “zu früh“. Es geht damit weiter, dass sie alle paar Monate unter einem Vorwand bei uns in die Wohnung kommen will und sich alles anschaut und viele Fragen stellt. Normalerweise würde ich da nicht mitmachen, aber ich habe eine kleine Tochter und die Nachbarin hat schon mehrmals angedroht, die Polizei und oder Jugendamt zu rufen, wenn meine Tochter schreit, obwohl es eigentlich völlig normal ist, dass Kleinkinder ab und zu weinen und schreien. Wenn schwarze Freund*innen und Verwandte zu Besuch kommen, werden die im Treppenhaus angesprochen zu welcher Wohnung sie gehen, ob sie jetzt auch hier wohnen oder was sie hier machen. Diese Nachbarin beschwert sich über schief hängende Rollos oder “Schwarzafrikaner“ die ständig bei uns ein und ausgehen. Beim Kennenlernen waren ihre ersten Worte an mich “SPRECHEN SIE DEUTSCH?“ nicht einmal ein Hallo zuerst. Normalerweise bin ich eine Person, die sich nichts gefallen lässt, aber ich möchte wegen meiner Tochter bei den Behörden auf keinen Fall negativ auffallen. Deswegen lasse ich die Vermieterin in die Wohnung, damit sie sieht, dass eh alles mit rechten Dingen zugeht. Ich habe einfach diese irrationale Angst, dass sie mir meine Tochter wegnehmen würden oder uns aus der Wohnung schmeissen.

Bild im Header: 25 Ways To Gucci by Vogue Britain – via Gucci.

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