Diese ganze Instagram-frisst-Seele-Thematik ist ein alter Hut, keine Frage, aber auch einer, den ich mir immer wieder aufsetzen muss, zwecks Selbstreflexion und Ursachenforschung. Was wir nämlich ganz sicher wissen ist, dass nicht wenige von uns zu viel Zeit vor dem Display vertrödeln. Viel zu viel. Vor dem Schlafengehen, im Restaurant, auf Konzerten und Geburtstagen. Schulkinder gingen in Hamburg jüngst mit selbstgemalten Schildern auf die Straße, um ihren Handy-süchtigen Eltern die Leviten zu lesen und Kitas fordern mit Flyern die Großen dazu auf, endlich wieder den Kleinen statt ihren Mobiltelefonen zuzuhören. Restaurants, Galerien und öffentliche Räume werden einzig nach Instagram-Maßstäben belichtet und eingerichtet – für das perfekte Foto. Der Marketing-Rubel rollt dabei selbstverständlich immer weiter, sogar Verpackungen werden inzwischen für das alles dokumentierende Quadrat gedacht. Gestandene JournalistInnen schreiben für große Magazine darüber, wie sie ihre Beziehung während des letzten Urlaubs beinahe über Board hätten gehen lassen – weil inszenierte picture perfect Momente plötzlich wichtiger geworden sind als reale Erlebnisse. Und das noch nicht einmal nur im Namen der eigenen Befriedigung, sondern außerdem für all die Anderen, die zusehen. Oh, und die Liebe. Was man nicht alles über den Schwarm und dessen Vergangenheit oder Gegenwart herausfinden kann. Was man sich nicht alles herbei phantasiert. Was man sich da immer wieder selbst antut. Social Media als Druckmittel. Social Media als Lebenskrise. Social Media als Selbstgeißelung. Oder auch: If it’s not on instagram, it didn’t happen.
Das alles hat erstmal nichts mit mir zu tun, dachte ich lange. Ich bin schließlich nicht so. Keine Influencerin und wenn, dann nur beiläufig. Nicht so andauernd und radikal. Am Esstisch haben Handys bei uns zu Hause nichts zu suchen, bei den allermeisten Freunden auch nicht und Familienzeiten werden höchstens durch sekundenschnelle Anflüge von Mutterstolz unterbrochen, fast unbemerkt. Ich bin noch nicht einmal mit meinem eigenen Freund auf Facebook befreundet. Weil: Egal. In meinen Augen ist all das, was sich in meinem Social Media Dasein abspielt, also noch erträglich und höchstens das Gegenteil von digitaler Fortschrittsverweigerung. Oder? Geht so. Denn klammheimlich hat sich mittlerweile auch in meinem Hirn die hässliche Fratze des omnipräsenten und permanenten Abgleichens und Vergleichens eingenistet. Der Informationswut! Sie wohnt da jetzt und hält meistens die Klappe. Manchmal ist sie aber auch so laut, dass es weh tut. Dass es mir weh tut, eigenen und fremden Erwartungen nicht zu entsprechen oder gerecht zu werden. Mal bin ich nicht irre genug, mal zu frivol. Zu leise oder zu laut. Nicht Teil von irgendwas oder zu sehr Teil davon. Dabei war es lange einfach, gelassen zu bleiben. Weil es immer einfach ist, bei sich zu sein, wenn man keinen Grund zur Beschwerde, aber vieles andere hat. Zum Beispiel ein Selbstbewusstsein, das niemals schläft. Neulich ist es dann aber doch mal schweinemüde geworden.
Was ich seither weiß: Schon minimale Abweichungen des sehr persönlichen Zustands von Zufriedenheit können das Fass der privilegierten Unbedarftheit zum Überlaufen bringen. Pitschnass bin ich dieser Tage infolgedessen geworden; aus unterschiedlichsten Gründen und auch, weil gerade vieles neu ist. Neues ist zwar schön, aber auch aufregend und mitunter verunsichernd. Weshalb ich ganz schön sauer wurde. Nicht auf Instagram, das wäre zu leicht und vor allem ein Wegschieben von Verantwortung. Sondern auf mich. Weil ich in die Falle getappt und einem Mechanismus auf dem Leim gegangen bin, den ich eigentlich bis ins letzte Detail kenne, für den ich bisweilen nur ein müdes, überhebliches Lächeln übrig hatte.
Nicht aber während dieses kurzen Anflugs von Wahnsinn, der mich felsenfest denken ließ, im Vergleich zu „allen anderen“ sei ich so langweilig wie ein Brot ohne Butter. Nur weil jemand in meinem engeren Umfeld genau das gesagt hatte. Oder besser: „Dein Instagram-Kanal ist gerade viel öder als du“. Ein Satz und schon war die Krise geboren. Ja, so anders als alles, an das ich glaube, war ich da. Der rote Selbstzweifel-Faden zog sich binnen der nächsten Stunden durch meine Existenz wie ein Bandwurm, einmal quer durch meinen gähnend langweiligen Kleiderschrank hindurch, vorbei an meinen wenig originellen Instagram-Postings und dort endend, wo man eigentlich sowas wie Persönlichkeit oder zumindest Haltung finden sollte, trotz Internet-Klontum. Wer bin ich und wenn ja, wann ist das alles passiert, dachte ich. Und: Wo ist überhaupt Lars Eidinger, wenn man ihn braucht. In seinem Gespräch mit Matze sprach er mir nämlich aus der Seele, als er ob der eigenen Beeinflussbarkeit halb witzelnd, aber dennoch bierernst zugab, schon ein einziger negativer Kommentar vermöge es, an seiner nach außen getragenen Präsenz zu nagen. Seine Posting-Gewohnheiten zu ändern. Weil es ihm eben nicht egal sei, was der Rest der Welt über ihn denkt. Aha, der Lars ist tatsächlich verletzlich. Nein, menschlich. Ich ja sowieso. Es ist nämlich sehr leicht, die Orientierung zu verlieren, wenn so viele reinrufen. Dabei bin ich selbstverständlich und mit absoluter Gewissheit viel langweiliger als eine Milliarden anderer Menschen. Ist ja nicht schlimm. Kann aber schlimm werden.
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Weil es so einfach ist, zu vergessen, dass „cool“ und „schön“ nichtige Prädikate sind, im besten Fall. Dass wir ausschließlich kläglich scheitern können, wenn wir danach streben, wie jemand anderes zu sein. Weil man überhaupt nicht wie jemand ganz anderes sein kann und sollte. Es ist verlockend, zu ignorieren, dass wir alle weder zu viel noch zu wenig sind, sondern genau richtig. Stattdessen schauen wir nach links und rechts und versuchen den Konventionen zu entsprechen. Leute, die wir im schlimmsten Fall noch nie getroffen haben zu übertrumpfen oder zumindest mitzuhalten. Ob bewusst oder unbewusst. Dabei kann und muss man es nicht allen Recht machen. Wissen wir längst, aber hätte hätte Fahrradkette.
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Erbärmlich und schwach, solche Gedanken. Könne man meinen. Sagt man ja auch so. Wem Instagram wichtig ist, der hat die Kontrolle verloren. Und kein echtes Leben. Ist das wirklich so?Digital ist schließlich kein Synonym für erfunden. Und wären wir nicht vielmehr gefühlsleere Steine, würde uns nichts von alldem tangieren? Wäre das nicht viel komischer? Ansichtssache. Ich würde euch trotzdem lieber erzählen, dass ich auf alles pfeife. Dass ich über den Dingen stehe. Aber manchmal stehe ich derzeit sowas von drunter, dass ich mir gar nicht ausmalen will, wie es wäre, hätte ich nicht jahrelang Zeit gehabt, mich an dieses Angreifbarsein zu gewöhnen. Wäre ich jetzt Teenager. Ich bin ohnehin für das Schulfach „Bewusster Umgang mit dem Internet“. Statt Religion zum Beispiel. Uns hat das jedenfalls keiner beigebracht, vielleicht fällt es uns deshalb so schwer. Aber das ist eine andere Geschichte.
Weil es jetzt jedenfalls diese neue Fratze in meinem Online-Kosmos gibt, möchte ich zumindest eine alte Maske fallen lassen: Die, die immer so tut, als sei sie resistent gegen diesen Irrsinn, der macht, dass manche ihr Instagram abschalten. Oder gar nicht erst mitmachen. Beides kommt für mich nicht infrage, schon allein wegen des Sprachrohrs, das ich durch den Boykott verlieren würde und das mir sehr am Herzen liegt. Zurück geht also nicht. Aber umdenken ist möglich. Und täglich grüßt das Murmeltier.
Ab sofort: Den Kopf abermals frei schütteln und dem Druck standhalten. Kanäle aussortieren, die nicht gut tun. Adiós. Wieder viel frei sein und spontaner. Posten wann ich will und was ich will. Auch wenn’s scheiße ist und keine Likes bekommt. Oder gar nichts posten. Aber auch: Häufiger Filter weglassen. Was bin ich erschrocken als ich vor zwei Tagen dachte: Sieht das alles kacke ohne Bildbearbeitung aus. Ja, hallo. Kunst ist ja die eine Sache, aber geistige Verklärung die andere. Schluss damit und ab sofort kein Kuni mehr. Ganz zu schweigen von allem, was Verliebtsein in Zeiten von Social Media mit sich bringt. Stalkertum etwa! Geschämt habe ich mich, bis über beide Ohren, und zwar mit der Nase tief im Verflossenen-Kosmos steckend. Theorien über Liebeleien spinnend, mich selbst klein machend und vermeintliche Konkurrentinnen ganz groß. Konkurrenz, da fängt der Fehler ja schon an. Gift sind solche Gedanken und Automatismen, die wieder allen Wissens so schwer zu besiegen sind. Egal ob es um die Wohnung oder den Labrador oder die schärfsten Schuhe geht. Ich muss euch nicht zum hundertsten Mal sagen, dass Instagram meist nur die besten Momente abbildet und auch viel Quatsch. Oder doch? Kann man das vielleicht gar nicht oft genug betonen? Zum Beispiel, dass hinter jedem opti-mopti-Bild mit großer Wahrscheinlichkeit jemand steckt, dessen unsichtbarer Mitbewohner eben auch Fratze heißt. Kündigen sollten wir ihm, mit sofortiger Wirkung. Damit wir wieder mehr Platz und mehr Zeit und mehr Liebe haben – nicht für andere, sondern ausnahmsweise für uns selbst.