Die aktuelle Wohnsituation ist wohl eines der größten Mysterien des postpubertären Lebens, sowohl in als auch fernab von Großstädten. Wie auf dem Viehmarkt werden Preise verglichen, Ausstattungen diskutiert und zu guter Letzt (heimlich) über Mitbewohner*innen geflucht. Obwohl man sie ja eigentlich liebt. Meistens. Die einen klagen ihr Leid, andere bejubeln die gemeinsamen Stunden in der Küche bei Wein und Kerzenschein. Aber was, wenn der Putzplan hinkt, der Kühlschrank stinkt oder der Zwischenmieter ein Alptraum ist? Durchhalten? Oder doch lieber den Soloweg einschlagen? Ist man eigentlich irgendwann zu alt für eine WG oder geht das auch noch mit Kind?
Auch beim Thema WG scheint das Gras in der befreundeten Wohngemeinschaft ums Eck immer noch ein bisschen grüner zu sein. Da schmiegen sich Charaktere zusammen wie Tetrisklötzchen und der Putzplan rotiert per Excel Datei – oder besser; wird gar nicht erst gebraucht. Manchmal gehen alle gemeinsam feiern aber „die Tür hinter sich zumachen muss auch mal drin sein“. Klingt nach einem Traum. Auf Zeit? Oder für immer? Denn so schön Ruhe auch sein kann, so herrlich ist doch auch die Vorstellung von netter Gesellschaft gleich nebenan, die eine Tür weiter Wunder bewirken kann – genau wie die gemeinsame Zigarette auf dem Balkon oder die spontane Küchenparty. Deshalb haben wir diesmal fünf Frauen gefragt, warum sich für oder gegen eine WG entschieden haben:
Maria, 37: wohnt in einer 4er WG
Seit meinem 22. Lebensjahr lebe ich nun in WGs und kann mir das auch nicht anders vorstellen. Was sich früher während des Studiums als praktisch und kostengünstig erwies, stellt sich nun, obwohl ich seit ca. zehn Jahren arbeite, als die von mir gewählte Wohnform dar. Schon seit einiger Zeit ist mir klar, dass das konventionelle mit dem Partner zusammen- bw. alleine wohnen nichts für mich ist. So zog ich damals nach dem Studium und zu meinem ersten richtigen Job nach Hamburg in eine WG. Klar, ein Grund war natürlich auch der bereits vor zehn Jahren hohe Mietspiegel in der Stadt. Aber vor allem sehe ich den Vorteil darin, so gleich neue Leute in einer fremden Stadt außerhalb des Arbeitsumfeldes kennenzulernen. In allen Fällen hat es auch mit den jeweiligen Mitbewohnern super funtioniert, sodass diese Art des Zusammenlebens für mich immer mehrere Vorteile auf einmal dargestellt hat. Dennoch ist es jetzt, mit 37 Jahren nicht mehr ganz so einfach, gleichgesinnte und ähnlich denkende Menschen kennenzulernen, da sich doch der Großteil in meinem Alter in den konventionellen Wohnformen bewegt. Außerdem möchte ich mittlerweile selbst nicht mehr unbedingt mit Erstsemestern zusammenleben, sondern habe gern Leute um mich, die sich ebenfalls im Arbeitsleben befinden, die wissen wie so ein WG-Alltag mit all seinen positiven und negativen Seiten funktioniert. Momentan wohne ich in einer 4er WG, in der wir alle zwischen Ende zwanzig und Mitte dreißig Jahre alt sind. Die Lebenskonzepte sind allerdings sehr unterschiedlich zwischen uns, sodass sich früher oder später unsere Wege trennen werden. Ich sehe mich hier aber schon als WG-Oma auf meiner Couch sitzen, stricken und wie ich und meine gleichalten Mitbewohner uns Geschichten von früher erzählen. Für meine Zukunft stelle ich mir genau das vor. Da ich mich gegen Kinder entschieden habe, werde ich also nicht das traditionelle Lebenskonzept des mit-der-Familie-Zusammenlebens miterleben. Stattdessen kann ich mir, wenn alles gut läuft, eine andere auch familienähnliche Struktur aufbauen oder mich dieser anschließen. Also entweder in einer WG mit gleichaltrigen mit ähnlichen Vorstellungen oder in einem Mehrgenerationenhaus. So verbringt man die Freizeit mit Freunden in den eigenen vier Wänden, kann sich zurückziehen wenn man will, sich so viel einbringen, wie man tagesaktuell kann und möchte. Allein ist man dabei aber nie. Das möchte ich nämlich nicht sein, weder jetzt, noch wenn ich älter werde.
Marie, 28: Wohnt mit ihrem Partner
Ich bin Einzelgängerin. Immer schon gewesen. Wenn man eine Schublade nutzen will, darf man „Introvert“ sagen. Ich bin gerne für mich. Mag aber «meine» Menschen sehr gerne. Vor einigen Jahren bin ich dann mit einem Familienmitglied und ihrem Freund in eine WG gezogen, obwohl ich nie den Drang dazu hatte. Ich dachte, Familie, das ist ja was anderes. Falsch gedacht. Es ging schief. Wir sprechen nicht mehr miteinander. Für mein Familienmitglied war ich das Mittel zum Zweck – dem Rest der (erweiterten) Familie wurde ohne mein Wissen gesagt, dass nur sie und ich zusammenziehen, eine Mädels-WG. Mir (und meinem Teil der näheren Familie) war immer klar, dass auch der Freund mitzieht. Ich war der Vorwand, dass die grössere Wohnung ausgewählt wurde. Das wurde mir erst viel später klar, lange nachdem meine Freunde mich aus dieser Wohnsituation rausgeholt hatten. Ich hatte kein Mitspracherecht. Habe ich versucht, eine Postkarte in der Küche aufzuhängen, gab es Zoff. Ausser in meinem Zimmer war die Einrichtung nicht von mir, zu Beginn hiess es, darum muss und soll ich mich nicht kümmern, da ich eher ausziehen werde (das war der Plan). Auf die alten, antiken Sessel durfte ich mich nicht setzen. Neue Sessel wurden gekauft, mir vorgeworfen ich würde mich nicht beteiligen.
Haare im Badezimmer hatten ein Drama zur Folge. Ein Trockner wurde angeschafft, zu dem ich zu Beginn gesagt hatte, dass ich den nicht brauche. Plötzlich sollte ich eine Strichliste führen, wie oft ich wasche. Pro Waschgang dann einen gewissen Betrag zahlen, an meine Mitbewohnerin. Ich habe nichts gesagt. Zu der Zeit wurde mein Leben in anderen Bereichen stark auf den Kopf gestellt und es ging mir psychisch ziemlich schlecht. Ich habe nur in meinem Zimmer gelebt, mich kaum in die Küche / das Wohnzimmer getraut. Ich war nicht «zuhause» dort. Meine Freizeit habe ich bei meinen Freunden verbracht. Ich war ein Störfaktor in meiner «WG» und habe das zu spüren bekommen. Nach anderthalb Jahren haben mich meine Freunde zur Seite genommen und ein sehr scharfes Wörtchen mit mir geredet. Dass ich da raus soll. Ich dachte, noch ein Jahr, dann zieh ich eh um. Dann wurde mir auch von meiner Mitbewohnerin ans Herz gelegt, doch auszuziehen. Ich bin in ein Wohnheim gezogen, auf einem Flur mit anderen Mädels, zu denen ich heute noch engen Kontakt habe. Heute lebe ich in einer sehr schönen Wohnung mit meinem Partner und bin glücklich.
Nie wieder WG.
Merle, 24: Wohnt in einer 7er WG mit zwei Kindern
Während der ersten eineinhalb Lebensjahre meines Kindes wohnten wir noch zu dritt – mein Partner, unser Kind und ich. Die Stadt war immer noch neu für uns, wir kannten kaum jemanden, mit Neugeborenem lernt man so gut wie niemanden kennen. Mit 22 war ich in jedem Rückbildungs- und Baby-Kurs die jüngste, die meisten schauten nur bemitleidend. Dann nach diesen eineinhalb Jahren zogen wir mit zwei Freund*innen in eine 6-Zimmer-Wohnung. Die Umstellung war schon krass, mein Partner und ich waren so gut eingespielt und wussten voneinander, welche Erwartungen ans Wohnen wir jeweils haben. Ich habe circa eineinhalb bis zwei weitere Jahre gebraucht, um meine Bedürfnisse anderen Menschen neben meinem Partner mitzuteilen und das obwohl ich die anderen schon kannte. Nach einiger Änderung in der WG in diesem Jahr wohnen wir nun zu siebt, fünf Erwachsene und zwei Kinder (vier und eineinhalb), die sich ein Zimmer teilen. Mein Kind nennt das andere Kind WG-Schwester, weiß manchmal noch nicht, was man mit Kindern in dem Alter spielen kann, aber liebt es sehr und war zum Glück von Anfang an bereit, sein Zimmer zu teilen. In einer WG mit Kindern zu wohnen bedeutet mir wirklich viel, vor allem da ich ein Elternteil eines der Kinder bin und so unglaublich viel Entlastung erfahre. Bei fünf Erwachsenen, gibt es immer eine Person, die die Kinder von der Kita abholen kann, die Zeit hat zu kochen, die Lust hat, mit Tierfiguren zu spielen oder ein Buch vorzulesen, die nachts zu Hause bleiben kann, während die anderen trinken gehen. Mein Kind nennt das alles hier oft Familie. Das klingt nun ziemlich romantisierend-verklärt, aber mir geht es schon doch genau um diesen Familienbegriff. Natürlich ist es auch anstrengend, für die Uni lernen kann man hier zum Beispiel nicht so gut und eine volle Windel findet man immer irgendwo. Aber das hier ist eine andere Form von Familie, eine Form, die abweicht von dem klassischen Bild, das so oft propagiert und als das Beste fürs Kind gedacht wird. Eine Familie, die nicht von biologischen Faktoren bestimmt wird.
Inga, 26: wohnt alleine
Nach 6 Jahren WG in verschiedensten Konstellationen, von mit Pärchen, mit drei Jungs in einem Rattenloch in New York bis zum Wohnen mit der besten Freundin…endlich wohne ich alleine! Lange habe ich geschimpft über Freunde und Bekannte die direkt von Mama und Papa in die Singlewohnung gezogen sind- gehörte das WG-Leben nicht zum Erwachsenwerden dazu? Jein würde ich heute sagen. Bestimmt hat es meiner Kompromissbereitschaft und Toleranz gegenüber Anderen keinen Abbruch getan, jedoch merke ich jetzt zum ersten Mal was ich lange vermisst habe: Wirkliche Unabhängigkeit. Ich muss nichts besorgen, nichts putzen, auf niemanden Acht geben und vor allem weiss niemand wo ich bin und was ich eigentlich tue – das ist für mich die größte Freiheit. Uni fertig, neuer Job, dann auch alleine wohnen- war das nicht die logische Konsequenz? Ich weiss es nicht, mein Bedürfnis alleine zu wohnen ist auf jeden Fall stetig gewachsen.
Ich wollte mich endlich so richtig niederlassen, dass alles mein Kram ist, keine Kompromisse. Bestimmt kam das Bedürfnis mit dem einhergehend Lebensabschnitt und der verbesserten finanziellen Situation, aber wenn ich ehrlich bin, hätte alleine wohnen schon viel früher zu mir gepasst. Keine einzige Wohnerfahrung würde ich missen wollen, doch ich hätte schon viel eher meine persönliche Freiheit leben können. Das weiß ich jetzt, jedoch bin ich froh, dass ich das Bedürfnis reifen lassen habe und mich nun über jede schmutzige Socke, die ich einfach irgendwo liegen lasse, umso mehr freuen kann. Zeit für mich selber hat nochmal eine ganz neue Bedeutung, solange ich nicht Besuch habe oder verabredet bin, bin ich alleine. Und ich liebe das. Und ein kleines bisschen erwachsener fühle ich mich auch.
Cassy, 27: Wohnt in einer 4er WG
In meinen letzten Beziehungen bin ich immer wieder in der Rolle der Sorgenden gelandet. Ich war diejenige, die sich um das Wohl meines Partners gekümmert hat und die sichere Insel war, auf der mein Partner nach einem stressigen Tag stranden und sich erholen konnte. Das mag ein individuelles Problem sein und an der mangelnden Bereitschaft meiner Ex-Partner liegen, Sorgearbeit zu leisten. Viel eher vermute ich aber, dass es etwas mit meiner Sozialisierung als Frau zu tun hat. Von meiner Elterngeneration bekam ich immer wieder tradierte Familienbilder vorgelebt. Die Frauen kümmerten sich um die Erziehung der gemeinsamen Kinder, schmissen selbstverständlich den Haushalt und arbeiteten manchmal sogar genauso viel wie ihr Partner. Es gehörte sich so, dass Frauen sich für ihren Partner und ihre Familie aufopferten. Hinterfragt und thematisiert wurden diese Rollenbilder innerhalb der Familie nur selten. Dass wir als Generation der Mittzwanziger viele dieser Dynamiken reproduzieren, ist kein Wunder. Wir haben sie von klein auf beobachtet und in unser Verhalten adaptiert. In meiner letzten Beziehung, die drei Jahre andauerte, kam irgendwann die Idee auf, zusammenzuziehen. Ich spürte schon beim ersten Mal, als das Thema aufkam, ein Unbehagen über diese Vorstellung. Vom Beziehungsalltag mit meinem Ex-Freund wusste ich bereits, dass ich schnell in eine Mutter-Rolle fallen kann. Ich habe ihn häufig bekocht, den Abwasch allein erledigt und ihm nachgeräumt. Wenn ich wollte, dass er sich auch mal genauso um mich kümmert, musste ich immer darum bitten – und selbst meinen Bitten kam er nur selten nach. Den typischen Satz „Mir ist Sauberkeit nun einmal nicht so wichtig.“ habe ich schnell als Falle erkannt. Sich um den/die Partner*in und den gemeinsamen Wohnraum kümmern ist meiner Meinung nach mit Respekt für den anderen verbunden und sollte in einer liebevollen Beziehung selbstverständlich sein. Da mein Ex-Freund sehr empfindlich reagierte, wenn ich solche Themen ansprach, sah ich keinen Weg aus dieser angelernten Misere herauszukomme. Daher habe ich für mich vorerst entschieden, nicht mit einem Partner zusammenzuziehen. Ich möchte im Zusammenleben nicht in eine typische Frauenrolle gedrängt werden und verzichte daher auf einen gemeinsamen Wohnraum innerhalb eines Beziehungskonstrukts.