Es war eine durch und durch politische Woche: In Berlin gingen fast 250.000 Menschen für Demokratie und Menschenrechte auf die Straße (#unteilbar), in Brüssel scheiterten vorerst die Brexit-Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU, in Italien verabschiedete die Regierung ein hochumstrittenes Budget, in Bayern wurde gewählt. Und dann auch noch das: Popstar Taylor Swift meldete sich mit einer politischen Botschaft zu Wort! Taylor Swift, die sich weder vor, noch nach der US-Wahl 2016 zur politischen Situation der USA äußerte. Taylor Swift, die sich nicht einmal gegen die Glorifizierung ihrer selbst als eine Art arischer Göttin durch die extreme Rechte wehrte.
Diese Taylor Swift hat nun also ihr politisches Gewissen entdeckt. In einem Instagram-Post verkündete die Sängerin, sie werde bei den wichtigen Midterm-Wahlen im November den Demokraten Phil Bredesen und Jim Cooper ihre Stimme geben. Wen sie auf keinen Fall wählen wird, darüber schrieb Swift auch: „In der Vergangenheit habe ich oft für eine Frau gestimmt, wenn es um die Besetzung politischer Ämter ging. Aber Marsha Blackburn kann ich nicht unterstützen.“ Die Republikanerin habe immer wieder gegen die Interessen von Frauen gestimmt: gegen gleichen Lohn und gegen ein Gesetz zum Schutz vor sexueller Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen. Sie könne, so Swift, nur Kandidat*innen wählen, die für Menschenrechte kämpfen, sich für die Rechte von LGBTQ und gegen Rassismus einsetzen. Ihre Fans rief Swift dazu auf, sich vor der Wahl über die verschiedenen Kandidat*innen zu informieren und dann ihre Stimme zu nutzen:
Haters gonna hate
Kurz nach Taylor Swifts öffentlichem Wahlaufruf verzeichnete die Seite Vote.org einen noch nie dagewesenen Anstieg von Wähler*innen-Registrierungen. Eine Sprecherin sagte, innerhalb von 24 Stunden nach Swifts Instagram-Post hätte es 65.000 neue Registrierungen gegeben, mehr als im gesamten August. Besonders hoch war der Anstieg im Bundesstaat Tennesse, wo Swift im November wählen wird. Swift kann also nicht nur mit schöner Regelmäßigkeit musikalische Ohrwürmer in die internationalen Charts befördern – sie kann ihre Anhänger*innen offensichtlich auch zum Wählen bringen. Aber, wie Swift selbst in einem ihrer Hits singt: Haters gonna hate hate hate hate hate. Will heißen: Nicht alle finden die neue, politische Taylor, toll.
Allen voran Donald Trump, eigentlich ein selbsterklärter Fan der Sängerin. Vor Reporter*innen erklärte Trump nun, er würde Swifts Musik „25 Prozent weniger mögen“. Charlie Kirk, Gründer der konservativen Organisation Turning Point USA, sagte auf Fox News, Swift solle sich „von der Politik fernhalten“ und sei außerdem falsch informiert über Marsha Blackburn. Swift dürfte das wenig beeindruckt haben. Bei den American Music Awards (AMAs) am 10. Oktober legte sie noch einmal nach und sagte in einer ihrer Dankesreden: „Über diesen Award und über jeden einzelnen Award, der heute Abend vergeben wurde, haben die Leute abgestimmt. Und wisst ihr, über was sonst noch von den Leuten abgestimmt wird? Über die Midterm-Wahlen am 6. November. Geht raus und wählt!”
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Gutes Timing
So ernst es Taylor Swift mit ihren politischen Überzeugungen sein mag, dahinter steckt natürlich auch Kalkül. Der Zeitpunkt ihres politischen Erwachens auffallend ist gut gewählt: Nicht nur die wichtigen AMAs standen unmittelbar bevor, sondern auch Kanye Wests Audience im Weißen Haus. Swift und West sind sich in herzlicher Abneigung verbunden, seit West bei den Video Music Awards 2009 auf die Bühne stürmte, und Swift in ihrer Dankesrede unterbrach (sie hatte den Award für das beste Video einer weiblichen Künstlerin gewonnen). Es folgten Aussprachen, Versöhnungen und erneute Streitigkeiten um Wests Single Famous. Während sich Trump und West also gegenseitig erzählen, wie toll sie sich finden, was in der traditionell eher linken und liberalen Musik- und Kreativbranche doch viele verstört, ist Swift nun diejenige, die auf der richtigen Seite steht, die das richtige gesagt und getan hat.
Swifts politisches Erwachen kommt außerdem unmittelbar nach der Affäre um den Supreme-Court-Nominierten Brett Kavanaugh und die Professorin Christine Blasey Ford, die ihm versuchte Vergewaltigung vorwarf. Zur Affäre selbst äußerte Swift sich nicht öffentlich, was zu ihrer bisherigen apolitischen Haltung passte. Einerseits. Andererseits kultiviert Taylor Swifts das Image einer jungen, selbstbewussten Frau, steht für weibliches Empowerment und sogar eine Art von weiblicher Solidarität (wer erinnert sich nicht an ihren berühmt berüchtigten #squad aus berühmten Models, Schauspielerinnen und Sängerinnen?). Als das TIME Magazine 2017 die „Silence Breakers“, also die #MeToo-Bewegung, zur „Person des Jahres“ kürte, druckte es neben der #MeToo-Initiatorin Tarana Burke und der Schauspielerin Ashley Judd (die als eine der ersten ihre Vorwürfe gegen Harvey Weinstein öffentlich machte) auch Taylor Swift aufs Cover. Warum? Weil Swift sich vor Gericht erfolgreich gegen einen Radio-DJ gewehrt hatte, der ihr bei einem Fototermin an den Hintern gefasst hatte. Allerdings war es nicht Swift, die den DJ verklagte – sondern umgekehrt: Er verlangte Entschädigung, weil sie durch ihre Beschwerde bei seinem Arbeitgeber seine Kündigung bewirkt habe.
Der Preis der Haltung
Sehr wahrscheinlich ist Taylor Swift endlich bewusst geworden ist, dass eine öffentliche politische Positionierung ihr mehr nutzt als schadet. In Zeiten wie diesen, in Zeiten von Trump und #MeToo, kann sie es sich schlicht nicht mehr erlauben, politisch neutral zu sein. Letztendlich geht das Thema aber über Taylor Swift hinaus: Wie politisch dürfen oder sollen Stars sein? Kanye Wests Image hat seit seiner Bromance mit Trump stark gelitten, dass Helene Fischer den Hashtag #wirsindmehr benutzte und sich gegen rechte Hetze positionierte, passte vielen ihrer Anhänger*innen gar nicht und die Karriere der Country-Band Dixie Chicks bekam nach Kritik an George W. Bush 2003 einen ordentlichen Knick.
Für Stars vom Kaliber einer Taylor Swift, eines Kanye West oder einer Helene Fischer ist eine öffentliche politische Haltung immer auch ein Risiko – einen Teil ihrer Anhänger*innen werden sie zwangsläufig vor den Kopf stoßen. Und wozu? Taylor Swift zeigt, dass Popstars sehr wohl einen Einfluss auf die politischen Entscheidungen ihrer Fans haben können – wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Phänomen gibt es aber noch nicht. Vielleicht läuft es am Ende einfach darauf hinaus: Auch Megastars sind Bürger*innen und als solche haben sie nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Die Pflicht, sich über politisches Geschehen zu informieren und ihre Stimme zu nutzen. Der Unterschied zu normalen Bürger*innen ist jedoch: Ihre Stimmen sind lauter, sie werden besser gehört. Große (Markt-) Macht bringt eben auch große Verantwortung mit sich.