Warum ist ein nicht-weißes Umfeld für People of Colour so ungemein wichtig? Eine Frage, der ich seit Jahren versuche auf den Grund zu gehen. Ein Thema, das sich seit meiner frühen Kindheit durch mein Leben zieht, mich umgibt und auch mein Mindset nachhaltig bestimmt hat. Ab dem Punkt, an dem dir deine Hautfarbe, deine Haare oder dein Aussehen wie ein Makel vorkommen, nicht nur wie ein Nachteil erscheinen, sondern wie etwas, das nicht dazugehört, fremd ist oder gar fehl am Platz, ist die eigene Sozialisation, das Aufwachsen im Kreise der Liebsten und die eigene Sicht auf die weiß geprägte eurozentrische Welt, in der man groß geworden ist, maßgebend für die Imbalance mit dem eigenen Aussehen. Dem eigenen Wohlbefinden.
Woher sollen die Vorbilder, die Idole kommen, mit denen man sich von klein auf identifizieren soll, wenn jeder Mensch in Fernsehen, Videospielen oder Büchern ganz anders aussieht als du und sich das eigene Spiegelbild grundsätzlich von implizierten Schönheitsidealen unterscheidet? Für schwarze Menschen und POC ist ein nicht weißes Umfeld von unheimlich großer Bedeutung.
Der Begriff sicherer Raum oder Safe Space bezieht sich auf Orte, die für Menschen kreiert wurden, die sich in der Gesellschaft, in der sie leben, als marginalisiert fühlen, um über ihre Erfahrungen mit Ausgrenzung ohne ein kritisches Hinterfragen einer nicht zugehörigen Teilgruppe zu kommunizieren. Kommunizierte Probleme treffen am häufigsten auf Universitätsgeländen in der westlichen Welt zu und können im Safe Space für TeilhaberInnen ganzheitlich sicher kommuniziert werden. Gemeint sind zum Beispiel Gruppierungen in Bildungsinstitutionen aber auch Arbeitskontexten und politischen Vereinen. |
Wenn es in Kindertagen Vorbilder und Identifikationsfiguren sind, die das Selbstbewusstsein stärken und das Gesellschaftsbild zu einem inklusiverem und friedfertigerem Umfeld werden lassen, ist es heute viel mehr die Freundesfamilie, die dafür sorgen muss, eine rassistisch sozialisierte Welt, täglichen Umgang mit Diskriminierung und Ängsten, aber auch alltägliches wie Haarpflege oder Alltagserfahrungen auszutauschen und zu verarbeiten. Auch mit den ehrenvollsten Ansprüchen und den besten Bestrebungen kann dein weißer Freundeskreis all diese Dinge nicht Teilen. Nicht, weil sie nicht wollen. Sondern: Weil sie nicht können.
Ist man selbst von Rassismus und Diskriminierung betroffen, ist es keine Pflicht sich mit genannten Problematiken auseinanderzusetzen. Denn eines müssen wir festhalten: Sich der Kehrseite einer pseudo-heilen Welt zu widmen ist schmerzhaft, nervenraubend und unheimlich schwächend. 12 Years a Slave ist für mich mehr als ein Drama. Diskussionen über diskriminierende Karnevalskostüme mehr als ein persönliches Anliegen. Alltagsrassistische Übergriffe mehr als ein Thema auf der Agenda. Der Ausgang der Bundestagswahl 2017 mehr als eine Tragödie. Letzteres bedeutet akute Gefahr. Themen wie Karneval bedeuten potenzielle Grenzüberschreitungen, die mich persönlich betreffen. Mich persönlich beleidigen. Alltagssituationen, Job-Interviews oder Kneipenbesuche werden angespannt und bleiben es bis zur letzten Minute. Weil ich weiß, dass Menschen über meine Abstammung mutmaßen könnten. Mich anders lesen als die Besucher*innen oder die Bewerber*innen nach mir.
„Die kritische Weißseinsforschung will die Weißen darauf aufmerksam machen, dass sie nicht einfach „Menschen“ sind, sondern weiße Menschen. Das heißt, sie sind nicht ausgenommen von der gesellschaftlichen Bestimmung durch ethnische Merkmale. Diese Bestimmung verschafft ihnen eine Sonderrolle. Dies zu leugnen, heißt, jene rassistischen Hierarchien fortzuschreiben, die sie für überholt annehmen„– Millay Hyatt in „Weißsein als Privileg“, Deutschlandfunk 2015 |
Niemand kann aus seiner Haut. Und wenn der Kopf begonnen hat, sich mit den Problematiken zu beschäftigen, auf denen die Säulen unserer Welt stehen, auf denen das westliche Kulturverständnis basiert und auf denen Racial Profiling, ein Pocahontas Film und Afroperrücken beruhen, kommt er nur schwer wieder heraus. Sofern man anfängt, sich mit Rassismus zu beschäftigen, beginnt dies bei Ursprüngen des Kolonialismus, rastet lange Zeit beim Deutschen Nationalsozialismus und verzweifelt letztendlich im Jetzt, weil es noch zu viel zu tun gibt. Weil es erscheint, als würde sich nie etwas so wirklich verändern. Als wäre für weiße Menschen Themen wie Political Correctness lachhaft und anstrengend. Als dürfte man M**renkopf noch sagen, weil es schon immer ok war. Weil ich entschieden habe meinen Körper, meine Arbeit zu politisieren. Weil es ja sonst keiner tut. Oder zumindest zu wenige.
Of Colour bedeutet, dass auch der linke, aufgeklärte Freundeskreis zuweilen eine potenzielle Bedrohung darstellt, sofern er nicht of Colour ist. Es besteht eine weiße Pflicht, für die einzustehen, die Rassimus erfahren und tagtäglich ertragen. Sie besteht dann, wenn jemand gerade keine Kraft hat über Rassismus zu sprechen. Sie besteht dann, wenn die Wahlergebnisse Gefahr bedeuten. Sie besteht dann, wenn jemand auf offener Straße die Haare der Freundin berühren möchte. Weil es unheimlich wichtig ist zu verstehen, dass es nicht ausreicht zu denken, dass alle Menschen gleich sind, und Rassismus nicht cool. Nicht nur, weil Anschuldigungen und Forderungen endlich von weißen Menschen kommen müssen, um gehört zu werden, sondern weil es für Menschen die nicht von Rassismus betroffen sind viel weniger schmerzhaft ist über ihn zu sprechen, ihn aufzudecken und zu thematisieren.
„In ihrem Ansatz, das Fundament dieses Eisbergs sichtbar machen zu wollen, setzt sich die kritische Weißseinsforschung von der Idee der „Farbenblindheit“ ab. In dieser auch in der Antirassismus-Bewegung weit verbreiteten Auffassung soll der Rassismus bekämpft werden, indem man ethnische Merkmale nicht thematisiert und alle Menschen so behandelt, als existierten solche Merkmale nicht. Um diese Idee in ihrer deutschen Spielart in groben Zügen nachzuvollziehen, muss einige Jahrhunderte weit ausgeholt werden.“– Millay Hyatt in „Weißsein als Privileg“, Deutschlandfunk 2015 |
Meine weißen Freunde sind nicht mein Safe Space. Sie sind kein Safe Space, weil von ihnen eine potenzielle Gefahr des Unverständnisses ausgehen kann. Weil sie wohlwollend sind und liebevoll, aber trotzdem nicht nachvollziehen können, wie viel schmerzlicher die Welt sein kann für Menschen die nicht weiß sind. Und gleichzeitig erscheint es so, als wäre der Druck immens: Woke sein, proaktiv, laut, aufmerksam, solidarisch. Aber bedenkt, dass der Druck auf Menschen, die Rassismus eben selbst erfahren, auch so hoch sein kann, dass sie gar nicht erst aus ihrer Haut können, weil ihre Haut eben von weißen Menschen politisiert wurde, vor ganz langer Zeit bis heute. Bis jetzt. Es gibt keinen weißen Safe Space für People of Colour. Es gibt nur Freund*innen, die sich über alle Maßen bemühen müssen.
Lesempfehlung: „Critical Whiteness – Weißsein als Privileg“, Deutschlandfunk 2015 von Millay Hyatt
Bild in der Collage: GmbH S/S 2017