Die Frage nach „dem zweiten Kind“ ist eine überaus heikle. Jedenfalls wenn sie mir gestellt wird. Denn irgendwie habe ich das Gefühl, meinem neugierigen Gegenüber permanent auf den Schlips zu treten, egal, was oder wie ich antworte, ganz unabhängig davon, wer da gerade vor mir steht. Mal bin ich apokalyptisch unterwegs, mal ratlos. Aber nie vollständig wohlgesonnen. Zusammengefasst kann man sogar sagen, dass ich bis jetzt jedes Mal richtig tief in die Scheiße gegriffen habe mit meinen Erklärungsversuchen und am Ende mehr damit beschäftigt war, die Wogen zu glätten als ausnahmsweise mal exakt das zu sagen, was ich wirklich denke. Über meine eigene Zukunftsplanung, meine ich. Oder über das Kinderkriegen im Allgemeinen. Mir fällt es, was das an geht, nämlich ungewohnt schwer, überhaupt eine richtige Meinung zu den Dingen zu haben, weil diese Meinung irgendwo tief drin in mir so formbar ist wie Kaugummi und sich gefühlt gleichzeitig um Herz, Hirn und Uterus schlingt, ganz so, als sei diese Verwirrungstaktik pure, linkische Absicht meiner weiblichen Natur. Was dabei in letzter Zeit heraus kommt, lässt sich in etwa so beschreiben: Voll die scheiß Idee, aber auch die Beste! Oder nein, doch nicht. Warte. Obwohl – am liebsten sofort! Bin ich Opfer meiner Hormone? Meiner Sozialisation? Bin ich zu verknallt? Oder habe ich einfach noch nicht begriffen, dass ich offenbar viel mehr Freude am Nestbau hege als bislang vermutet? Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Weil ich vor allem eine Scheißangst vor einem weiteren Familienmitglied habe. Davor, was ein zweites Baby für mein Leben, für meine Freiheit, für meine Arbeit und meine Beziehung bedeuten würde.
Wäre erstmal gar nicht schlimm, diese Panik, denn Angsthaben ist ja etwas ganz Wichtiges und Richtiges und außerdem ein Ausdruck von gesundem Respekt, wenn man so will. Blöd wird es aber, wenn man sich mit dieser Grundsatzsorge irgendwie allein fühlt, weil die Babies aus fremden Beckenböden nur so heraus sprießen und sonst niemand so richtig zu zweifeln scheint. Was dazu führt, dass ich mir vermehrt wie jemand vorkomme, der den Sinn des Lebens nicht kapiert hat. Oder herzlos ist. Zum Beispiel, weil Einzelkinder als außerordentlich arme Tröpfe gelten, oft. Ich kann also nur ahnen, wie es all jenen ergeht, die gar keine Kinder haben können oder wollen und sehe das alles ganz und gar nicht so, nein. Trotzdem, das habe ich ja bereits erwähnt, kann ich mir inzwischen sogar irgendwann ein zweites Kind vorstellen. Möglicherweise sogar ein drittes. Naja gut – vielleicht. Wenn die Umstände stimmen und meine Gesundheit mitmacht. Nur weiß ich noch nicht so recht, wieso. Diese Erkenntnis, zukünftig und rein theoretisch nochmal Mutter zu werden, die mich übrigens erst neulich und ganz plötzlich beschlich, macht es jetzt noch komplizierter. Weil ich nun aus meiner bequemen „Ich möchte nur ein einziges Kind“ Komfort Zone heraus muss und mich zudem über diesen Kontrollverlust ärgere, über Gefühle, die ich nicht lenken kann und Wünsche, die irgendwo so tief in meiner Existenz verankert sein müssen, dass sie es vermögen, all meine mit ausreichend Ratio geschmiedeten Pläne über den Haufen zu werfen. Aber zurück zum Anfang.
Mein erster Reflex, wenn mich jemand fragt, ob ich mir ein weiteres Kind wünsche, bleibt weiterhin Skepsis. Ähnliches geschieht, wenn mir etwa meine Freundinnen erzählen, dass da diese Sehnsucht nach einer noch größeren Familie keimt. Weil ich ich dann erstmal denke: Oh je, hoffentlich geht das gut, auf allen erdenklichen Ebenen. Weil ich mir dann wirklich Sorgen mache, es gibt ja schließlich nicht nur positive Beispiele da draußen. Aber auch, weil ich mich Mal für Mal frage: Warum denn nur, es ist doch schön so wie es ist? Eine waschechte Antwort folgt selten. Stattdessen: „Es ist halt so ein Bedürfnis“. Komisch, dachte ich immer. Bis ich eines Tages im selben Boot saß. Aber reicht das denn, dieses Verlangen, dieser Drang nach Veränderung? Ich betrachte immerzu jene Frauen auf der ganzen Welt, die schon beim ersten Kind fast den Verstand verloren hätten, von Augenringen gebeutelt wurden, am Anfang, und noch immer heimlich der Meinung sind, zu wenig vom wilden Leben abzukriegen. Die um ihre Beziehungen kämpfen mussten und müssen, weil es nie leicht ist, plötzlich zu Dritt zu sein. Die sich sowieso schon viel zu wenig um sich selbst kümmern und in den eigenen vier Wänden versumpfen. Und dann werde ich sauer auf Konventionen und unsere Gesellschaft, die irgendwie noch immer nur ein Ideal zu akzeptieren scheint: Die happy vierköpfige Familie. Drei ist komisch. Mehr ist noch komischer. Ich denke an all die Kinder, die keine Eltern mehr haben und dringend ein Zuhause bräuchten und fluche über diese Ignoranz, diesen Egoismus, der mit dem Verteilen eigener Gene einher geht. Ich frage mich dann, weshalb wir den Hals nicht voll kriegen. Warum wir nicht einfach mal zufrieden sein können und wonach es uns da eigentlich genau gelüstet. Und dann knicke ich ein wie eine Schnittblume, die man hat verdursten lassen. Weil ich kein weiteres Futter für meine Zweifel finde. Sondern nur noch das komplette Gegenteil: All das Glück, das sich verdoppeln oder -trippeln könnte. Und die unbändige Liebe. Das Lachen und Zusehenkönnen beim Wachsen. Alles, was wir zu geben haben. Alles, was wir zurück bekommen. Alles, was wirklich wichtig ist.
Vielleicht sind genau das die Momente, in denen ich am ehrlichsten zu mir selbst bin. In denen ich begreife, dass es okay ist, Angst zu haben. Sich immer wieder neu zu entscheiden. Nicht so richtig weiter zu wissen. Zu zweifeln, zu hoffen, zu hinterfragen. In denen ich mir mehr Ehrlichkeit wünsche, weil Kinder vermutlich das Schlimmste und Schönste zugleich sind. Es sind die Momente, in denen mir bewusst wird, dass es für manche Dinge gar keinen Verstand, sondern nur Gefühl braucht. Dass nicht alles erklärbar sein muss und schon gar nicht geplant. Es sind die Momente, in denen ich erkenne, dass ich kein Problem mit dem Kinderkriegen habe oder damit, irgendwann einmal Teil einer großen Familie zu sein. Meine Sorgen liegen in den den Erwartungen begründet, die noch immer damit einher gehen, Mutter zu sein. Denn ich möchte nicht ausschließlich für andere auf der Welt sein – aber auch. Das aber fällt zuweilen schwer, weil man als Mutter vor allem als genau das gesehen wird. Und zu wenig als Frau. Weil Mutterschaft weiterhin mit so schrecklich vielen „abers“ und „trotzdems“ belegt wird. Mütter leben nicht einfach. Sie arbeiten und feiern und verreisen und genießen „trotzdem“. Davor fürchte ich mich. Weil ich alles sein will. Oder, um es in Simone De Beauvoirs Worten zu sagen:
«Ich möchte vom Leben alles. Ich möchte eine Frau, aber auch ein Mann sein, viele Freunde haben und allein sein, viel arbeiten und gute Bücher schreiben, aber auch reisen und mich vergnügen, egoistisch und nicht egoistisch sein … Sehen Sie, es ist nicht leicht, alles, was ich möchte, zu bekommen. Und wenn es mir nicht gelingt, werde ich wahnsinnig vor Zorn.»
Vor diesem Zorn habe ich Angst. Weil ich längst begriffen habe, dass wir nicht alles haben können. Nur Vieles. Dabei ist das doch eigentlich schon genug – denn Glück ist vor allem dort, wo man Gier vergeblich sucht.