Sober October – für viele ging am 1. November ein 31-tägiger Selbstversuch zu Ende, der womöglich mit einem Gläschen Sekt oder auch nur einem verdienten Schulterklopfer gefeiert wurde. Auf den Erfolg der vierwöchigen Abstinenz! Ich verstehe das sehr gut, erkenne mich sogar wieder – denn die Sache mit der Selbstdisziplin ist eine vertrackte. über die Sinnhaftigkeit dieser temporären Alkhololsperren lässt sich dennoch gehörig streiten – liegt Alkohol im Ranking der gefährlichsten Drogendoch ohnehin auf dem ersten Platz. Trotz des Wissens über den fiesen Kater, über das große Suchtpotenzial und gesundheitliche Langzeitschäden sind Bier, Wein und Schnaps salonfähig und tief in unseren gesellschaftlichen Gepflogenheiten verankert. In unseren Freundeskreisen, in unseren Beziehungen, sogar im Arbeitsumfeld. Nur was, wenn ein verantwortungsvoller Umgang einfach nicht gelingen will? Gibt es überhaupt einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol? Wo liegt die Grenze zwischen Genuss und Sucht? Das und mehr haben wir 5 Menschen gefragt, die sich dem Alkohol mittlerweile entsagt haben:
Jessica, 30 aus Koblenz
Mit dem Konzept des Alkoholismus bin ich aufgewachsen. Mehrere Alkoholkranke in der Familie, einige davon sind an den direkten oder indirekten Folgen verstorben. Aber der Konsum von Alkohol ist ja dennoch gesellschaftsfähig, nicht? In meinem Freundeskreis herrschte immer eine rege Bierkultur, nicht trinken war da entweder verpönt oder keine Option. Spätestens nach der Geburt meines ersten Kindes wurde ich dann aufgenommen, in die „mommy wine culture“. Abends entspannen mit einem Glas Rotwein, das ich mir ja so sehr verdient hatte, den ganzen Tag über. Rückblickend war mein Alkoholkonsum zu der Zeit noch „unbedenklich“, um nicht zu sagen „ganz normal“. Bedenklich wurde er dann nach meiner zweiten Fehlgeburt (während meiner Schwangerschaften habe ich selbstverständlich nicht getrunken). Ich war emotional an einem sehr schlechten Punkt in meinem Leben und hatte plötzlich mein Weinglas öfter in der Hand, als irgendwas anderes. Abends trank ich eine Flasche alleine. So ging das vielleicht eine Woche, bis mich die Einsicht packte. „Was zur Hölle mache ich hier eigentlich?!“ – ich weiß nicht, ob solche Tendenzen wirklich in der Familie liegen können, oder ob es vielleicht auf erlernte Stressbewältigung zurück zu führen ist. Das spielt aber am Ende auch keine Rolle, denn für mich und mein Handeln bin ich selbst verantwortlich. Seit gut vier Jahren habe ich jetzt keinen Alkohol mehr angerührt und ich werde es auch in Zukunft nicht wieder tun. Wie schnell mensch sich in dem Konsum verlieren kann, habe ich am eigenen Leib erfahren und ich bin mir heute mehr denn je meiner Vorbildfunktion als Mutter von zwei Kindern bewusst. Umso mehr wundert es mich manchmal, in welchem Maße Menschen Rechtfertigungen von mir erwarten, wenn ich Alkohol dankend ablehne. Dann fangen sie gleich an, ihren eigenen Alkoholkonsum darzulegen und sich zu erklären. Für viele scheint es nachvollziehbarer zu sein, nur illegale Drogen abzulehnen.
Lucas, 25 aus München
Drei Monate vor meinem 19. Geburtstag habe ich das letzte Mal Alkohol getrunken. Auf der Feier zu meinem 18. Geburtstag hatte ich mich noch vor 12 Uhr übergeben müssen. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, wo man mit 13-14 das erste Mal in Berührung mit Alkohol kommt und einem generell wenig bis gar keine kritische Reflexion des Konsums vorgelebt wird. So weit weg andere (illegale) Drogen dort sind, umso normaler ist es für Jugendliche schon mit 15 Jahren Schnaps und ähnliches zu trinken. Ich habe selten die Kontrolle verloren, wenn ich getrunken hatte, aber das Gefühl betrunken zu sein habe ich immer gehasst. Ich bin über die Lebenseinstellung Straight Edge überhaupt erst mit dem Gedanken, auf Alkohol zu verzichten, in Berührung gekommen. Vorher kam mir so etwas gar nicht in den Sinn, woher auch? Jede*r in meinem Umfeld trank und trinkt noch heute. Straight Edge entwickelte sich innerhalb der Hardcore & Punk Szene als eine Art Gegenbewegung zum selbstzerstörerischen Lebensstil der Punks.
2011 lernte ich auf einem Konzert eine Band kennen, die komplett auf den Konsum sämtlicher Drogen verzichtet. Ich war an dem Tag Fahrer und musste am Ende des Abends meine komplett betrunkenen Freunde nach Hause bringen. Der Unterschied zweier Gruppen hätte kaum größer sein können. Ungefähr zur gleichen Zeit wurde mir bewusst, dass ich nur noch wegen des gesellschaftlichen Zwangs Alkohol trinke. Da ich im hinterletzten Eck wohnte und öffentlicher Nahverkehr praktisch nicht existent war, war ich sowieso die meiste Zeit gezwungen, mit dem Auto zu fahren, oder bei Freunden zu übernachten. Dadurch merkte ich, dass es kein Problem ist ohne etwas zu trinken feiern zu gehen, denn niemand, vielleicht mit Ausnahme deiner Freunde, weiß, dass du gerade stocknüchtern zu „Still Dre“ crip-walkst. Die Entscheidung grundsätzlich nichts mehr zu trinken, war dann fast schon reine Bequemlichkeit. Denn wenn man sagt, man trinke grundsätzlich nicht, ist die darauffolgende Diskussion einfacher zu führen. Trotzdem habe ich mir sehr oft anhören müssen, dass man als Mann gefälligst Bier zu trinken habe. Bro, fuck your gender roles!
Feli, 29 aus Frankfurt
Die erste Party auf der ich nüchtern war, verließ ich früh.
Meine Füße haben auf dem Heimweg so sehr gekrampft, dass ich in meinen Sandalen nicht mehr laufen konnte. In dem Moment habe ich gespürt, dass jetzt einiges anders wird. Mit 24 traf ich eine wichtige Entscheidung. Plötzlich spürte ich Klarheit. Klarheit darüber, dass ich mich körperlich und seelisch ab sofort ungefiltert spüren musste, um mich aus einem Zustand der Handlungsunfähigkeit zu befreien, in dem Alkohol selbst ein großer Teil des Problems war, aber es auch ohne schwer auszuhalten schien. Ein destruktiver Selbsterhaltungsmechanismus. Vor der Entscheidung, nüchtern zu leben, trank ich viel und gerne. “Anlässe” sind interpretierbar. Das ist auch das gefährliche daran, der Alkohol selbst interpretiert und erfindet sich den Anlass. Das wurde mir erst klar, als ich lange nicht mehr trank. Einige Freundschaften gerieten auf den Prüfstand, entpuppten sich als inhaltsleer, sobald ich meinen Wein durch Tee ersetzte. Das fühlte sich anfangs einsam an, war aber letztendlich ein wichtiger Realitäts- und Prioritätencheck, der mir half, mich auf die wesentlichen Beziehungen zu konzentrieren. Ich habe zu keinem Zeitpunkt an der Entscheidung gezweifelt, dieser Weg ist für mich einfach logisch, auch wenn er oft anstrengend ist. Nüchternheit nimmt mir alle Filter. Ich spüre die Zweifel, die Sorgen und inzwischen halte ich sie aus. Ich lernte, dass negative Gefühle nichts sind, wovor ich weglaufen muss, sie sind zu jedem Zeitpunkt unangenehm, aber ich habe gelernt, sie zu integrieren. Ich denke, nüchtern hat man keine andere Chance, als sich wirklich ernsthaft und ehrlich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Das ist hart, aber am Ende steht eine echte Verbindung zum Inneren. Das ist bloß die Theorie und geschrieben sieht es wahrlich banal aus, aber das ist, was mir passiert ist . Ich weiß jetzt, dass ich vorher keine Ahnung hatte, wie es mir geht. Dass es nicht immer schön ist, wirklich zu spüren, wie es mir geht, damit lebe ich. Die Dinge, die mir wichtig sind, und die Fragen, die ich mir stelle, haben sich verändert und dabei geht es nie darum, ob Dosenbier oder Cola, es geht ums Bewusstwerden meiner eigenen Bedürfnisse und eine echte Auseinandersetzung mit mir selbst. Und dafür muss es so leise sein, dass ich denken und fühlen kann, und leise ist es eben nicht auf Partys.
Veronika, 31 aus Wien
Am 14. Mai 2018 habe ich meine beinahe 10 jährige, Beziehung beendet und am selben Tag mit dem Rauchen und Trinken aufgehört. Für viele scheint es verwunderlich, wie diese beiden Ereignisse zusammenfallen können. Wie es möglich ist, so einen Umbruch ohne „zumindest“ Alkohol, zu überstehen. In meinem Fall war jedoch gerade dieser Konsum das Zentrum unserer Beziehung. Unsere gemeinsame Zeit verbrachten wir hauptsächlich damit, gemeinsamen in der Küche zu sitzen, Zigaretten rauchend, Bier oder Wein trinkend. Am Ende eigentlich täglich. Tag für Tag mindestens drei Bier und mindestens eine Packung Zigaretten pro Nase. Ab und an haben wir auch außer Haus getrunken. In einem Lokal in der Nähe, selten mit Freund*innen. Oft kam noch ein viertes Bier dazu. Nicht selten dann auch noch ein kleines zum Schluss– weil es ja gerade so schön ist, viel schöner als Zuhause. Ich kann mich kaum noch an Morgende erinnern, an denen ich nicht verkatert war. Neben diesem Konsum kam noch die beinahe unbändige Gier nach Schokolade und TV-Serien hinzu. All das haben wir lange gemeinsam gemacht. Ein gemeinsames zugrunde Richten. Irgendwann wollte ich aber weniger davon, ging vor meiner Partnerin ins Bett. Dort habe ich mich dann mit Kopfhören abgekapselt. Hörspiele hörend, während sie entweder noch in der Küche trank und rauchte oder im Wohnzimmer vor dem Bildschirm saß. (Nacherzählungen von Serien nahmen später auch einen großen Teil unserer Gespräche ein). Oft kam sie nicht mehr zu mir ins Bett, sondern blieb gleich auf dem Sofa liegen. Wann wir das letzte Mal nüchtern Sex hatten weiß ich nicht mehr. Lange ging das so. Doch eines Abends dann, hatte ich einen wachen Moment, da hat sich endlich etwas bewegt. Im Nachhinein ist es für mich immer noch so schwer zu verstehen, wie lange ich so leben konnte. Wie destruktiv dieses Verhalten gegenüber mir selbst gewesen ist. Diese Unachtsamkeit und auch Ignoranz meiner Psyche, aber auch meinem Körper gegenüber. Dieser hat sich immer wieder gemeldet – trotzdem konnte ich mich selbst in dieser Zeit einfach nicht wahrnehmen. Ich litt an Furunkel, chronischen Kreuzschmerzen, Schlafstörungen und meine Verdauung spielte schon seit langem verrückt. Seit der Trennung sind diese Probleme Geschichte und inzwischen vermisse ich nichts mehr. In den ersten Monaten konnte ich mich nur schwer auf etwas konzentrieren. Lesen, Radio hören, einem Film folgen war lange schier unmöglich. Ich bin so froh darüber, endlich wieder Hörspiele deshalb zu hören, weil sie mir Geschichten erzählen, nicht damit sie mich vor meiner eigenen Geschichte abschotten um irgendwie doch noch Schlaf zu finden. Diesen finde ich nun in der Stille. Im Bett zu liegen und sich in dieser mit sich selbst zurechtzufinden ist von der ersten Nacht an unglaublich befreiend.
Resa, 30 aus Berlin
Es gab Zeiten, da war Alkohol wenn überhaupt, nur die Begleitdroge und es gab Zeiten, in denen ich eine Wodkaflasche alleine trinken konnte. Es ist auch oft vorgekommen, dass mir Alkohol alleine nicht gereicht hat und ich Lust bekommen habe auch andere Drogen zu nehmen. Es wird ja häufig gesagt, dass Marihuana die Einstiegsdroge ist – für mich war es auf jeden Fall Alkohol. Mit der Zeit trank ich weniger und kontrollierter. Ich bemerkte, dass sich meine Wahrnehmung der Leute die ich auf Partys traf veränderte. Mir kam auf einmal alles so belanglos und fake vor. Es war gefühlt jedes Wochenende das selbe und obwohl ich weniger trank war ich am Sonntag total platt. In der Zeit als ich Alkohol trank erlebte ich sexuelle Belästigung häufiger. Schon als Teenager wurde ich begrapscht auf Partys. Aber in meinen Zwanzigern haben sich die Ereignisse gehäuft. Manchmal sind mir Männer so nah gekommen, dass ich mich richtig geekelt habe. In meinem Bekanntenkreis gab es auch Menschen, die gern mehr getrunken haben als sie eigentlich vertrugen. Es wurde mir auch immer unangenehmer mit ihnen Zeit zu verbringen. Immer wieder wurde mir aufgezeigt wie schnell Grenzen verschwimmen können, wenn Menschen beschwingt vom Alkohol, denken, dass alles nur Spaß wäre. Es sind Dinge passiert, die nicht passieren dürfen, egal wie viel Mensch getrunken hat. Es ist nicht okay jemanden gegen ihren/seinen Willen anzufassen. Es ist verdammt nochmal nicht okay auf meinem Sofa ungebeten zu masturbieren – Fehlverhalten lässt sich nicht mit Alkoholkonsum entschuldigen. Seit drei Jahren trinke ich keinen Alkohol mehr. Darunter haben Freundschaften gelitten, auch wenn manche nur Partyfreund*innen waren, mein Freundeskreis hat sich locker halbiert. Manche Menschen haben mir gesagt, dass sie es komisch finden mit einer Person feiern zu gehen die nüchtern ist, sie hatten das Gefühl, dass sie sich nicht so verhalten können wie sie es eigentlich tun würden. Das ist doch schon komisch, wenn es eigentlich nur darum gehen sollte zusammen Spaß zu haben. Ist es nur möglich Spaß zu haben, wenn die Hemmschwelle der Menschen gesunken ist? Leute sagen mir, dass sie das Gefühl haben von mir verurteilt zu werden. Nein, ich verurteile euch nicht und ich kann immer noch feiern gehen. Aber so, dass sich ALLE wohlfühlen.