Wenn von hungernden Models, extremen Trainingsplänen und Debatten über kulturelle Aneignung oder Transphobie die Rede ist, ist nicht selten eines der bekanntesten Lingerie-Labels der Welt involviert: Victoria Secret. Die dazugehörigen Runway Schauen sind mindestens so berühmt wie das Brand selbst. Wie Geschenke verpackte und mit Strasssteinen verzierte Körper, Frauen, die mit Engelsflügen über den Laufsteg schreiten, Jahr um Jahr. All das ist Teil der vielleicht amerikanischsten Fernsehproduktion, die die Popkultur je schuf, eine Inszenierung gemacht aus gesammelten Stereotypen und Männerphantasien. Hier kommt wirklich alles zusammen. Was Anfang November in der Pier 94 Location in New York produziert wurde, ist nur der Gipfel eines crossmedialen Rollouts, welches visuell nicht nur besonders kitschig und pompös daherkommt, sondern auch hinsichtlich des Marketings wirkt, als klebten wir noch immer in der Hochzeit der sexistischen Werbung fest, vielleicht in den 50ern, mindestens aber in den 00ern. Und immer wieder werden neue Lobeshymnen auf dieses Spektakel, die nackenden Engel, küssende Münder und schwingende Hüften geschrieben.
Aber Moment – der Schein trügt. Bestimmt. Denn die Idee hinter alldem sei angeblich eine andere: Adressiert wird nämlich die starke Frau, die Victoria’s Secret wählt, „weil sie es sich wert ist“, die sich sauwohl fühlt in ihrer Haut und sorglos über den Erdball schwebt, geradewegs aus dem Himmel gesandt und ganz und gar makellos. Lange Zeit waren vor allem die gestählten und fitten Körper der jungen Models, der Engel, ein großes Thema. Sie verkörpern ein starkes, ja vermeintlich gesundes Bild von Frauenkörpern, denn: Man sah und sieht ja Brüste! Ganz anders eben als auf dem „herkömmlichen“ Fashion Runway. Anders als bei Celine, Prada oder Chanel. Nicht abgemagert und ungesund, sondern fraulich und muskulös – welch ein Fortschritt in Sachen Schönheitsideal. Klingt ja super, ist es aber nicht. Denn während sich Debatten um Traumkörper und Körperträume tatsächlich zum Guten hin zu entwickeln scheinen, erschafft sich Marketingchef Ed Razek derweil seine eigene Traumwelt – die vor allem eins ist: sexy. Nach seinen ganz eigenen Gesichtspunkten, wohlgemerkt. Immer und immer wieder.
Betrachtet man die Rezensionen der jüngsten Show und die Entwicklung des Konzerns während der letzten Jahre, wird schnell klar, dass all das, was heute zum Glück hinterfragt wird, einst als Alleinstellungsmerkmal des Unterwäsche-Riesens fungierte. Nur haben sich die Zeiten geändert. Mit G-Strings und knappen wattierten Bras lockt man nur noch wenige an, selbst Supermodels posieren auf ihren Instagram-Kanälen inzwischen lieber in lässigen Boxershorts. Einst stand das Unternehmen für New Sexyness. Für ein neues Selbstbewusstsein der Frau. Doch irgendwann hörte die Entwicklung auf und was bleibt, ist heiße Luft um gar nichts. Ein sinkender Marktwert und Höschen, die noch nicht einmal im Sale über die Ladentheke wandern. Das mag an einem schwerwiegender Trugschluss innerhalb des Konzerns liegen:
Die Schauen inszenieren sich ungeachtet des Zeitgeistes, der mehr und mehr nach echter Diversität und zweifelsohne nach dem Ende der Frau als ewiges Geschenk für den Mann verlangt, weiterhin als semifeministisches Medienspektakel. Wer sich nicht von all dem Glitzer blenden lässt, sieht ganz genau, worauf Victoria’s Secret setzt: Die Unterwäsche, die ihren Kundinnen angeblich ein Gefühl von Stärke und Empowernment vermitteln soll, baut am Ende doch wieder nur auf denunzierenden Männerträumen auf.
Es kommt sogar schlimmer: Inszeniert wird all das von einem sexistischen und transphoben Marketingteam, das heteronormative Fabelwelten erschafft, in welcher Frau präsentiert und Mann auspackt – nur will das niemand im Unternehmen wahr haben. Da helfen auch die Rechtfertigungsversuche von Ed Razek im Interview mit der Vogue nicht – sie haben ihn erst richtig reingeritten – zu Recht. Dort sagt er etwa:
„So it’s like, why don’t you do 50? Why don’t you do 60? Why don’t you do 24? It’s like, why doesn’t your show do this? Shouldn’t you have transsexuals in the show? No. No, I don’t think we should. Well, why not? Because the show is a fantasy. It’s a 42-minute entertainment special.“
Stattdessen: Engelsgestalten, sanft und gutmütig, quasi willenlos und zugleich unschuldig und dabei verfügbar zum begafft werden in der Screentime. Die gezeigten Körper sind Abbilder monatelanger Restriktion und strengen Sportprogrammen und Diäten. Auch solche Informationen, die früher unter Verschluss gehalten wurden, lassen den Marktwert des Unternehmens einbrechen. Etliche Supermodels, so etwa Adriana Lima, berichteten schon vor Jahren von der Tortur vor jeder geflügelten Show. Tagelang nehme sie ausschließlich Proteinshakes zu sich und trinke zudem zwölf Stunden vorher gar nichts mehr – alles, um die Muskeln noch sichtbarer zu machen.
Es geht also nicht mehr nur um die 100. Debatte über die Problematik vom Körperkult in der Modebranche. Es geht darum, dass es mit einem normal anmutenden Tagesablauf und einem durchschnittlichen Gehalt so wie einer gesunden bis sehr gesunden Lebensweise schlichtweg nicht in möglich ist, die auf dieser Bühne propagierten Körperbilder zu erreichen. Sie sind in den meisten Fällen weder gesund noch realistisch und sie schaden jungen Frauen und deren Psyche. Ach ja, eigentlich ein alter Hut. Aber wie alt kann er sein, wenn die Wäsche Göttin Victoria und ihr männliches Team es 2018 noch immer so falsch machen? Sich nicht einmal die Mühe machen, mit dem eigenen Image aufzuräumen, Kampagnen inklusiver und bunter zu gestalten. Lieber sonnt man sich in den Früchten der wahnsinnigen Diversität der Models hinsichtlich ihrer Herkunft und Hautfarbe. Welch ein Armutszeugnis – müsste es sich hierbei doch längst um eine Selbstverständlichkeit handeln.
Vermutlich wird Victoria’s Secret auch in den kommenden Jahren nicht zu einer Größen-inklusiven Marke heranwachsen, die Arroganz scheint trotz drastisch sinkender Verkaufszahlen nämlich noch immer zu herrschen. Andere große Unternehmen machen es nicht gut, aber immerhin besser. Dennoch: Auch sie werden weiterhin auf „Curve Collections“ und „+Size Linien“ beharren wollen., statt sie selbstverständlich in das reguläre Angebot sie integrieren. Nein, sie werden weiterhin so tun, als sei eine größere Größe nicht „normal“, aber immerhin irgendwie akzeptiert.
Solange niemand darauf kommt, dass der breitere Hintern, die größeren Brüste und die dickeren Oberschenkel kein Sonderfall darstellen, sondern so normal sind wie unterschiedliche Haarfarben, werden wir weiter dieses Thema beackern als handelte es sich um höhere Mathematik. Schaut man sich im Freibad um oder nur im eigenen Freundeskreis, sieht nämlich, so einfach ist es, beinahe keine so aus wie die sich nicht selten selbst geißelnden Frauen auf der berühmtesten Fashion Show der Welt.
Ist die Konsequenz davon dann also, das Unmögliche zu vergöttlichen und die vermeintlich mangelnde Sexyness des eigenen Seins per Mausklick in den Warenkorb zu schubsen? Ist das das Konzept von VS? Auch in Zukunft? Am Ende muss das Brand sich entscheiden. Lernen oder untergehen. Und das wiederum ist erfreulich, denn die Konsumentinnen dieser Welt scheinen sich langsam zu wehren. Diese Tendenz ist auf dem neuen Lingerie-Markt bereits spürbar. Moderne Labels wissen, dass viele Frauen ihre Unterwäsche nicht mehr an Maßstäben von Männerfantasien messen. Natürlich wollen sie, wollen wir uns sexy fühlen. Aber in unserer eigenen Haut. Für uns selbst in erster Linie und dann irgendwann kommen die, wir lieben oder begehren an die Reihe. Nicht anders herum.
Das kann natürlich auch mit Spitze und Push Up passieren, bloß macht der Ton die Musik. Es geht endlich auch um Identifikation. Darum, selbst entscheiden zu dürfen, was wirklich sexy ist – sei es der Schlüpfer, der bis über den bauchnabel ragt, ein hauch aus Nichts oder gar beides. Mal so, mal so. Wie das echte Leben. Wie echte Frauen eben, die selten „nur so“ sind. VS wird es demnach hoffentlich schwer haben. Mit ihren Geschichten von Männern für Männer. Geschichten von makellosen Engeln, die nur da sind, um zu zu dienen. Pfui.
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Inklusion darf kein Extra, kein Highlight sein. Inklusion ist der Grundpfeiler einer gleichberechtigten und antidiskriminierenden Gesellschaft. Auch in der Welt der Unterwäsche. Marken wie Moons & Junes zeigen das. Und werden „die Alten“, denen der Wille zur Veränderung fehlt, wenn alles gut geht, eines Tages sowieso überholen.
Kampagne von Moons & Junes „New York