Achja, ihr habt es sicher längst mitbekommen und eigentlich wundert mich beim Horst Seehofer auch überhaupt nichts mehr. Obwohl, stimmt nicht. Spätestens nachdem der Innenminister, der Anfang 2019 zumindest als CSU-Vorsitzender abzutreten gedenkt, lauthals über diesen saukomischen Zufall gefeixt hatte, dass an seinem 69. Geburtstag sage und schreibe 69 Afghanen abgeschoben wurden, ging ich zumindest davon aus, es könne gar nicht schlimmer werden, bloß gleichbleibend menschenverachtend. Nun meine ich aber, ist schließlich doch eine Grenzüberschreitung begangen worden, die ich beim Bullshit Bingo allerhöchstens der AfD zugeschrieben hätte. Aber nein, das war wieder der Horst, der seit eigentlich immer alles Erdenkliche tut, um seinem Vornamen auch weiterhin gehöriges Schimpfwort-Potenzial einzuheimsen. Da stand ich also, auf die gelbe U-Bahn wartend und um mich herum viel Bunt, als ich jenes viel diskutierte Plakat erblickte, das an einem Ort wie Kreuzberg zwangsläufig zum beschämenden Paradoxon werden muss. „Freiwillige Rückkehr – Dein Land. Deine Zukunft. Jetzt!“ steht darauf geschrieben, daneben eine Zickzack-Mauer aus Flaggen, wenn man so will, irakische, afrikanische, afghanische. Darunter: ReturningfromGermany.com. So sieht jetzt also die große 1,5 Millionen teure Weihnachtswerbekampagne des Innenministeriums aus, das Geflüchteten das freiwillige Abreisen aus Deutschland schmackhaft machen möchte, nochmal kurz vor Jahresende quasi. Fehlt eigentlich nur noch ein Mengenrabatt (obwohl, den gibt es ja) oder gleich eine Kooperation mit Billigflüge.de – Es besteht nämlich sehr wohl ein eklatanter Unterschied zwischen Informieren und Werben.
Das Rückkehrprogramm REAG/GARP gibt es bereits seit den Neunzigern, das Zusatzprogramm Starthilfe Plus, das für ausgewählte Länder gilt, wurde 2017 etabliert. Normalerweise bekommt jede*r freiwillige Rückkehrer*in eine Sachleistungs-Prämie für Wohnungsmiete/ Renovierung/ Möbel in Höhe von 1200 Euro, jetzt aber gibt es temporär maximal 1000 Euro mehr – und für Familien 3000 Euro zusätzlich. Ab 1. Januar 2019 wird wieder die herkömmliche Rückkehrhilfe gezahlt.
Es gibt natürlich trotzdem gnadenlose Optimisten, die diesen missglückten und zutiefst zynischen Marketing-Schachzug als freundliche Bestärkung, bzw. Aufmerksammachung verbuchen wollen, als harmlosen Hinweis auf Hilfe. Nicht aber als Aufforderung zum Gehen in Schlussverkauf-Manier. Ich wage allerdings zu behaupten, dass letztere Auslegung der wahren Intention hinter diesem doch eigentlich offensichtlich verstörenden Werbepostern am nächsten kommt. Das wird vor allem deutlich, wenn man als privilegierter weißer Mensch mit deutschem Pass ausnahmsweise nicht auf das eigene Assoziationsspektrum zurückgreift, sondern stattdessen denen ein Ohr schenkt, die unfreiwillig zu uns gekommen sind, um dem Elend zu entkommen, das ihre Heimat für sie bereithielt oder -hält. Die sich ohnehin mit Anfeindungen und Vorurteilen auseinandersetzen und sich permanent rechtfertigen müssen. Ihnen saget der Slogan „Dein Land. Deine Zukunft. Jetzt!“ vor allem: Dein Land, das ist nicht Deutschland. Und deshalb bist du, sorry to say, leider unerwünscht. Geh doch zurück, das wird bestimmt super. Rein in eine Zukunft, die zwar vor allem eines ist, nämlich ungewiss, aber hey – Denk doch mal an die Kohle. Ja, so in etwa beschreibt es jedenfalls mein Bekannter Nuri, der selbst aus Syrien geflohen ist. Weil er seine Familie im Krieg verloren hat. Nur seine kleine Schwester hat überlebt.
Es wäre vermessen, zu behaupten, wir könnten auch nur im Ansatz den Schmerz nachempfinden, den Menschen infolge ihrer Erlebnisse beim Betrachten besagter Plakate und Poster fühlen. Schämen können wir uns aber sehr wohl. Etwa dafür, dass manch eine*r die schleichende Bestärkung von rechtem Gedankengut durch Aktionen wie diese weder sehen noch wahrhaben will. Dafür, dass die Regierung hier ein wahnwitziges Paket aus Dummheit und Diskrimierung im warmen Mantel des St. Martins zu verstecken versucht, um am Ende noch als große Gönnerin der fairen Asylpolitik Lorbeeren des Lobs zu kassieren. In aller Öffentlichkeit und ganz ohne Scham. Sollte allein dieser Umstand nicht langsam aber sicher auch den letzten Verfechter und die letzte Verfechterin von Contenance im Umgang mit Rechts aus der Reserve locken?
Während der vergangenen Wochen habe auch ich mich immer wieder mit der Frage auseinander gesetzt, wann Laut- und Wütendsein im Kampf gegen antidemokratische, menschenrechtsverletzende oder tiefbraune Denkmuster eher destruktive als konstruktive Folgen mit sich trägt. Und mittlerweile glaube ich: Fast nie. Nur lässt sich Hass weder mit Hass und manchmal noch nicht einmal mit Hirn bekämpfen. Da bleibt uns ja eigentlich nur noch die Liebe. Und die muss gerade jetzt alles andere übertönen – damit sie vor allem von exakt denen gehört wird, die gerade ja ganz zwangsläufig das Gefühl haben müssen, sie seien hier nicht willkommen. Dabei gilt das eigentlich nur für einen Schlag Mensch: Für den, der andere zum Verrecken nicht willkommen heißen will.
Eine Petition zur Abschaffung der #RückkehrWerbung des BMI findet ihr zum Beispiel hier.