Vater, Mutter, Kind – so in etwa sieht die heteronormative Idealvorstellung der Vorzeige-Familie aus. Zwei Kinder? Auch erlaubt. Mehr? Schon fast schwierig. Und die Realität? Die ist natürlich viel bunter. Und schöner! Denn es gibt, zum Glück, nichts, was es nicht gibt. Das wissen wir längst, bloß reden wir noch immer viel zu selten über diese Vielfalt, die doch eigentlich Alltag ist. Und genau so normal. So anstrengend und wunderbar. Untereinander, aber auch mit unseren eigenen Kindern – Mirna Funk will das ändern. Zusammen mit der Illustratorin Maayan Sophia Weisstub hat die deutsch-jüdische Schriftstellerin und Vogue-Kolumnistin endlich ein Kinderbuch geschaffen, das uns vor allem eines lehren will: Ihr seid perfekt so wie ihr seid.
Und so erzählt „Wo ist Papa?“ gleich zwölf Geschichten über die vielen Farben der Liebe. In den Hauptrollen: Löwenmama Lena, die Tochter Ella alleine erzieht, eine polyamoröse Vogelschar, ein schwules Gazellen-Pärchen mit Adoptivschildkröte, ein Single-Dad Falke oder auch die Wölfin, die dank einer Samenspende Zwillinge auf die Welt gebracht hat – ein Fest für alle also, die daran glauben, dass Familie keine Frage der Konstellation ist. Sondern des Gefühls.
Liebe Mirna, vor etwa 2,5 Jahren hast du den Vater deiner Tochter verlassen. Seither bewundere ich dich beinahe mit jedem Tag noch ein bisschen mehr. Vor allem dafür, dass du erhobenen Hauptes sagst: „Ich bin gern alleinerziehend. Unsere Familie ist komplett.“ Hast du schon immer so gedacht, oder hast du eher langsam in die neue Situation hinein wachsen müssen?
Ich musste langsam in diese Situation hineinwachsen. Es hat etwa ein Jahr gedauert. Dieses Jahr war von viel Trauer geprägt. Auch von Verunsicherung. Ich wollte immer – wie viele andere auch – eine Familie. Eine komplette Familie. Eine perfekte Familie. Ich wusste, wenn wir zu dritt bleiben, dann wird diese Familie von außen perfekt aussehen, aber innen drin wird sie es nicht sein. Ich wusste, meine Tochter und ich können mit diesem dritten Menschen nicht glücklich werden. Ich wusste, dieser Mensch wird mich so viel Kraft kosten, dass keine Kraft für meine Tochter übrig bleibt. Aber sie war meine Priorität. Also habe ich mich für unser Glück und gegen den dritten Menschen entschieden.
Ich glaube, es geht den allermeisten Frauen, bzw. Menschen ganz genau so. Immer wieder bekomme ich mit, dass diese Trauer über die „verlorene perfekte Familie“ schon vor einer potenziellen Trennung für Ängste sorgt. Dazu, dass Paare zusammenbleiben, obwohl sie es eigentlich besser wüssten. Mitunter natürlich auch für das „Wohl“ Kinder, aber das steht auf einem anderen, sehr persönlichen Blatt Papier geschrieben. Interessant finde ich hier vor allem den Aspekt der Prägung, der Sozialisation. Wir bewegen uns schließlich in einer Gesellschaft, die sich permanent auf das „Vater-Mutter-Kind“-Bild stützt, es bedient und benutzt, sogar in der Werbung oder in den bekanntesten Kinderbüchern der Welt. Glaubst du, dieser Umstand befeuert besagte Zweifel?
Absolut. Ich selbst bin ein Scheidungskind. Ich kenne Vater-Mutter-Kind gar nicht aus meinem Leben. Aber natürlich kenne ich diese „perfekte“ Konstellation aus dem Fernsehen, Magazinen, dem Kino, Büchern, der Werbung und den Songs, die meine Tochter aus der Kita mitbringt. Gerade suche ich ein Puppenhaus für ihren Geburtstag. Man muss dieses Haus ja füllen: mit Möbeln und Menschen. Dafür gibt es so Sets und selbst die coolsten Sets bestehen aus Vater-Mutter-Kind. Es macht mich wahnsinnig. Weil es überall ist. Das Diktat der hetero-normativen Familie. Ich habe nichts gegen diese Konstellation. Ich lehne nur ab, dass sie ein Diktat ist. Und die Angst, nicht in der perfekten Konstellation zu leben, führt zu oft dazu, dass viele Frauen in Beziehungen bleiben, ohne darin glücklich zu sein. Ich habe Ettas Vater unter anderem verlassen, weil er sich weigerte, die Spülmaschine auszuräumen. Für mich war es als Feministin unmöglich mit so jemandem zusammenzuleben.
Aber ich weiß, von diesen Männern gibt es viele. Und sehr viele Frauen, die die häusliche Ungerechtigkeit unkommentiert akzeptieren. Aber nur, wenn wir uns aktiv gegen Zuschreibungen wehren (ich bin keine unglückliche Single-Mum), gegen Ungerechtigkeiten ankämpfen (Haushalt und Familienleben 50/50 teilen, ohne Diskussion) und gegen ein altbackenes Mutterbild vorgehen, wird sich etwas ändern. Ich kann noch so ein grelles „Feminist“ T-Shirt tragen, aber solange ich meinen Partner nicht anschreie, wenn er sich weigert im Haushalt mitzumachen, nicht ökonomisch unabhängig bin und Sexismus einfach zulasse, dann unterstütze ich das System. Wir müssen aber alle – jede Frau und jeder Mann – dafür arbeiten, dass sich Dinge auch wirklich für unsere Töchter und Söhne ändern. Dazu gehört eben auch, darauf zu achten – egal in welcher Familienkonstellation wir leben – unseren Kinder zu zeigen, dass es noch mehr außer Mama-Papa-Kind gibt.
Und genau das machst du. Aufzeigen, dass noch so viel mehr ist! Du zeigst es deinem eigenen Kind und nun auch noch vielen anderen. Mit deinem Buch „Wo ist Papa?“. Wie bist du auf die Idee dazu gekommen? War es auch ein bisschen die Wut darauf, dass die allermeisten wunderbaren Kinderbücher trotzdem noch vergessen, dass es beispielsweise Menschen und Mütter wie uns gibt? Deren Leben ganz einfach anders, aber nicht zwangsläufig schlechter ausschaut?
Es waren zwei Sachen: Zum einen wollte ich, dass die Lebenswelt meiner Tochter und anderer Kinder, die nicht in einer hetero-normativen Familie aufwachsen, in Büchern gezeigt wird. Und zum anderen wollte ich, dass auch Kinder in einer klassischen Familie lernen, dass es mehr als diese Konstellation gibt. Nur, wenn wir das „Andere“ kennenlernen, können wir Toleranz entwickeln.
Welche verschiedenen Familienkonstellationen lernen wir denn eigentlich durch „Wo ist Papa?“ kennen – es sind ja insgesamt zwölf an der Zahl.
Genau. Die Single-Mum Löwin Lena und ihre Tochter. Einen Single-Dad Falken. Eine Wölfin, die durch eine Samenspende Zwillinge bekam. Giraffengroßeltern. Schwule Gazellen, die eine Schildkröte adoptiert haben. Ein lesbisches Tüpfelhyänenpaar mit Kindern, die aber einen männlichen Hausmann haben. Co-parenting Wale. Storchenschwestern. Eine polyamoröse Vogelfamilie und noch einige mehr.
Was war das für ein Gefühl, als du Etta zum ersten Mal all diese Geschichten vorgelesen hast? Und wie findet sie dein Buch? Ich zum Beispiel merke immer wieder, wie viel ich von meinem Sohn lernen kann. Einmal habe ich ein winzig kleines Werk über seine Bananeneltern geschrieben, als Antwort auf all seine Fragen. Wieso sein Papa eine eigene Wohnung hat zum Beispiel und wie es dazu kam. Ich hatte mir heimlich so etwas wie Euphorie erhofft. Aber nichts da. Nur: „Schön. Aha. Ja.“ Nichts Besonderes eben, diese Geschichte. Sondern einfach seine. Da habe ich zum ersten Mal kapiert, dass es oft nicht die Kinder selbst sind, die Vielfalt nicht begreifen, sondern dass sie eigentlich erst durch komische Fragen anderer irritiert werden.
Etta redet seit Wochen von nichts anderem als von Lena und Ella. Gestern kamen die ersten zwei Bücher zuhause an. Vorher hatte sie noch nichts gesehen außer die Bilder und ich hatte ihr die Geschichte grob erzählt. Sie war total stolz, das Buch in den Händen zu halten. Dann habe ich sie gefragt, ob sie möchte, dass ich es abends vorlese und sie bejahte. Am Abend lagen wir dann beide mit dem Buch zusammen im Bett. Das war für uns beide schon aufregend. Für mich sicher mehr als für sie. Die Geschichte als solche gefällt ihr sehr. Aber klar, sie kann noch nicht abstrahieren, dass sie da 12 nicht hetero-normative Familienkonstellationen sieht. Und es ist genau wie du sagst, dass die Kinder irgendwann glauben, das Mutter-Vater-Kind-Ding wäre Ultimo, hat nur etwas mit der Außenwelt zu tun. Deswegen sind solche Bücher so wichtig. Oder eben Filme, Werbung, Magazincover, auf denen man endlich andere Lebenswelten sieht. Damit alle diese verschiedenen Lebenswelten irgendwann als Normalität empfunden werden.
Gibt es dennoch Momente, in denen du kurz einknickst? Zum Beispiel, wenn andere anmerken, dass da „bestimmt bald ein Ersatz-Papa um die Ecke biegen wird“ oder in ganz banalen Alltagssituationen? Ich muss nämlich ganz ehrlich sein: Den Wocheneinkauf, den fand ich mit Partner, der mit uns zusammen wohnt, durchaus angenehmer. Deshalb habe ich mich sogar schonmal mit einer Träne im Auge vor dem kaputten Aufzug im Hausflur erwischt.
Es ist weird. Ich bin im Moment so extrem glücklich mit Etta und meinem Leben mit ihr. Ich will gar keine Beziehung. Zu niemandem. Das letzte mal Sex hatte ich mit ihrem Vater vor 2,5 Jahren. Ich date nie, weil ich lieber an den freien Abenden, an denen Etta bei ihren Großeltern ist, lese oder Serien bingewatche oder eben schreibe. Aber klar, wenn ich zum Beispiel Bilder von uns Dreien anschaue, dann wünsche ich mir manchmal, das alles ein schlechter Traum war, und Ettas Vater vor unserer Tür stünde. Dabei will ich mit ihm gar nicht zusammen sein. Ich glaube, da klafft Wunsch und Realität auseinander. Also eine Vorstellung von Beziehung und die Beziehung
als solche. Das ist aber, glaube ich, total normal. Ich wünsche mir auch Millionärin zu sein. Täglich. Wer weiß, wie es ist, wenn ich wirklich eine bin. Wahrscheinlich furchtbar.
Ich kann das alles ganz gut nachfühlen. Gleichzeitig erinnere ich mich aber auch immer wieder daran, wie schrecklich privilegiert wir sind. Also du und ich ja auch. Es ist ein großer Luxus, nicht abhängig zu sein, vor allem finanziell. Das macht natürlich Vieles leichter. „Du hast gut reden“, sagen manche da.
Naja, ich bin mit einer arbeitenden Mutter und zwei arbeitenden Großmüttern aufgewachsen. Das war halt DDR. Für mich ist die ökonomische Unabhängigkeit kein Luxus, sondern Realität. Jede Frau kann sich ökonomisch unabhängig von einem Mann machen. Dafür muss sie aber eben selber sorgen. Das heißt nicht, das gerade alleinerziehende Frauen (und auch die wenigen Männer) nicht radikal diskriminiert werden in unserer Gesellschaft. Es ist mir ein Rätsel wie es sein kann, dass verheiratete Paare ohne Kinder steuerlich erleichtert werden, aber Paare mit Kindern nicht. Trotzdem sind das für mich zwei verschiedene Sachen. Sich selbst zu finanzieren und ökonomisch unabhängig sein, muss für jede Frau oberstes Gebot sein. Nur so lässt sich auch eine gleichberechtigte Beziehung leben.
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Da sprichst du noch einen spannenden Punkt an. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Leute sich nicht entscheiden können zwischen „Geh doch arbeiten, heul nicht, ist doch selbstverständlich“ und „Rabenmutter – du arbeitest zu viel, wo bleibt denn da die Zeit für dein Kind?“. Als könne man es niemandem Recht machen. Als sei man stets zu viel oder zu wenig. Natürlich sind das extreme Meinungen, aber welche, die noch immer existieren. Die aufzeigen, dass Stereotype und Vorurteile noch immer kein Schnee von gestern sind. Ich bekomme sogar regelmäßig eMails von Müttern, die mich fragen, wie ich das alles mit meinem Gewissen vereinbare, das Arbeiten und Muttersein und Verliebtsein etwa. Sie fragen mich das in diesen speziellen Fällen, weil sie selbst es nicht ausschalten können – Dieses Teufelchen auf der Schulter, das ihnen zuflüstert, sie dürften ihren Job nicht allzu sehr lieben.
Ich weiß, das gibt es. Aber ich habe das nicht. Ich denke auch nie darüber nach und ich bekomme auch nie ein solches Feedback. Glücklicherweise. Vor Jahren habe ich mal diesen Barbiefeministinnen-Text als Titelgeschichte für den Freitag geschrieben. Damals war ich noch gar keine Mutter und schrieb darüber, dass ich dieses ganze Reden über die Mutterrolle und den Feminismus nicht verstehe. Für mich ist eine arbeitende und ökonomisch unabhängige Frau Standard. Diese Frau hat möglicherweise auch noch ein Kind. Dieses Kind ändert nichts. Nichts am Leben dieser unabhängigen Frau. Ich war gerade 2,5 Wochen in Thailand ohne Etta, um an einem längeren Text zu arbeiten. Weder hatte ich ein schlechtes Gewissen, noch hat das Etta irgendwie gekratzt. Davor war ich drei Wochen mit ihr in Amerika und bin alleine die Route 1 mit ihr runtergedüst. Es wird einfach sehr viel Fuzz ums Kind-haben gemacht. Für mich ist so ein Kind aber eben so natürlich wie einen Job haben oder Pullern gehen. Ich denke darüber nicht nach, ich hinterfrage es nicht, es nervt nicht, es macht mich nicht glücklicher, oder unglücklicher. Ich vermisse nichts. Es schränkt mich nicht ein. Ich liebe meine Tochter bedingungslos und sie ist ein Teil meines Lebens. Mit ihr zu leben ist einfach mega normal. Wir sind ein Team. Wir leben in UNSERER Wohnung. Manchmal denke ich, es ist die eigene Herangehensweise. Es kann nicht sein, dass wir solche Sachen wie „arbeitende Mütter“ überhaupt noch diskutieren oder ihnen sogar Begriffe geben. Das ist geradezu absurd und rückwärtsgewandt. Für mich wirkt es als müsste ich „autofahrende Frauen“ diskutieren. Können die nun einparken oder nicht? Ich meine, hä? Wir müssen Selbstverständlichkeiten selbstverständlich leben. Der Typ räumt nicht die Spülmaschine aus, obwohl er mit im Haushalt lebt? Rausschmeißen! Das mag radikal sein, und vielleicht bin ich das auch. Aber ich glaube, solange wir Dinge, die selbstverständlich sind oder sein müssten, diskutieren, und nicht einfach leben, untergraben wir ihre Selbstverständlichkeit. You know?
Ich kann nur sagen: Danke. Für deine Worte, für dein Mutmachen und deine Radikalität, für dein Buch. Habt ihr euch eigentlich ganz bewusst für Tier-Charaktere entschieden? Ich finde das nämlich sehr klug.
Das mit den Tieren kam eigentlich zufällig. Ich habe ja Etta diese Geschichte von Lena und Ella angefangen zu erzählen und dann kamen eben immer mehr Tiere. Abgesehen davon finde ich diese Erklärbücher mit echten Menschen für Kinder meistens einfach kacke. Es sollte ja Spaß machen und schön aussehen. Und Kinder lieben halt Tiere. Ich übrigens auch. Unsere Tiere rappen, trinken Champagner auf Yachten und lassen sich ne Mani-Pedi machen. Sie sind irgendwie offen und frei und glücklich. Es sollte ein buntes, helles Buch werden. Keine superernste Erklärbibel.
Fühle ich mich da auch angesprochen, wenn ich nicht die Möglichkeit habe, Champagner auf Yachten zu trinken?
Kannst du rappen?
Auch nicht. Obwohl, stimmt nicht. Die Sekte, So High Part 2, das kann ich seit ich die Bundesjugendspiele in der Schule geschwänzt habe, auswendig. Bei der Mani war ich aber nur ein einziges Mal.
Ich mag zum Beispiel keinen Champagner. Da werde ich total gaga von. Die Welt ist groß und bunt. Lena und Ella picknicken in der Wildnis. Ein Agamenboy rappt. Dann baden sie in einer Oase, einmal landen sie zufällig auf einer Yacht. Das eine schließt das andere nicht aus. Manis und Pedis liebe ich allerdings.
Und ich sollte vielleicht damit anfangen, Manis zu lieben. Und Pedis erst. Danke, liebe Mirna!
LESUNG:
Sir Savigny Hotel
Kantstraße 144, 10623 Berlin
16. Dezember / 15 Uhr
– Eintritt frei –
Foto im Header: Dudy Dayan