Erfahrungen sind ja etwas ganz Wunderbares und wie herrlich es doch ist, wenn ebenjene dann auch noch auf die große Gabe der Selbstreflexion treffen. Beides zusammen genommen könnte uns als Menschen wahrhaft reifen lassen. Aber: Wie denn nur? Eine Frage, die sich nicht wenige von uns stellen, vor allem in Sachen Liebe. Gibt es doch kaum jemanden, der völlig unvoreingenommen in eine neue Beziehung springt. Wahrscheinlicher ist, dass ein ganzer Rucksack voll mit Altlasten gratis mitgeliefert wird. Auf beiden Seiten. Welche genau das sein können, haben uns heute fünf Frauen verraten. Und ja, wir finden uns wieder und verbleiben immerhin mit dem tröstenden Gedanken, dass wir niemals nie alleine sind, sei das Hirngespinst auch noch so groß:
Nuran, 30
„Du reichst mir nicht. Der Sex mit dir ist nicht aufregend genug, nicht experimentell genug und zwei Mal täglich ist mir einfach zu wenig“. Ich war 23, als mein damaliger Freund mir erklärte, es wäre wichtig für ihn, regelmäßig ins Bordell zu gehen. Oder mindestens in Strip-Bars. „Sei nicht spießig“, sagte ich mir zu Beginn, „ist doch gar nicht schlimm“. Aber ich kam nicht hinterher und fand mich irgendwann in einer Beziehung wieder, die sich längst nicht mehr auf Augenhöhe abspielte. Weil es mir eben doch nicht egal war. Es verletzte mich, dass ich, würde ich mir selbst treu bleiben, wohl niemals genug sein würde. Für ihn und seine Bedürfnisse. Das größte Problem war noch nicht einmal der Umstand, dass die Dinge so waren wie sie waren, man sagt ja auch: Es lässt sich über fast alles reden. Sondern die Art und Weise, wie er mich spüren ließ, dass er andere Frauen brauchte. Es war kein respektvolles Übereinkommen, sondern ganz sicher eine Form von psychischer Gewalt. Immer dann, wenn wir uns gestritten hatten, er die Wohnung verließ, in seinem schicksten Jackett, und ich wusste: Jetzt zieht er wieder los, um für Sex zu bezahlen. Seine Taschen waren oft vollgepackt mit Pornos. Für ihn war das normal, für mich unbegreiflich. Kam er abends nach Hause, schloss er sich erst einmal im Bad ein. Wurde das Radio dann laut aufgedreht, war die Sache klar: Er macht es sich schnell selbst. Für mich wuchsen all die kleinen Nuancen irgendwann zu einem solchen Stress heran, dass ich den gemeinsam Sex bald gar nicht mehr genießen konnte. Ich trennte mich. Zum Glück, sage ich heute. Als ich dann aber meinen jetzigen Partner kennenlernte, hatten wir beide unter dem Vorgänger zu leiden. Ich, weil ich mich von Vermutungen und Hirngespinsten und Unsicherheiten erstmal nicht befreien konnte und er, weil ich ständig nachbohrte. Wo warst du gerade, wo gehst du hin, was machst du da an deinem Computer, hast du Lust auf andere? Immer und immer wieder. Im Prinzip habe ich dem neuen Menschen in meinem Leben Dinge vorgeworfen, die ein anderer verbrochen hatte. Alles, was mir helfen konnte, war Zeit. Und das Verständnis meines Gegenübers, dem ich irgendwann von vorn bis hinten erzählte, woher meine seltsamen Anwandlungen rührten. Irgendwann kam dann endgültig der Tag, an dem ich realisierte: Mensch Meyer, es reicht – das ist ein ganz anderer Charakter, mit dem ich es hier zu tun habe, Männer sind eben doch nicht alle gleich und deshalb: Kein Grund zur Sorge. Weg mit dem Kopfkino und rein ins Glücklichsein. Das klappt jetzt schon seit sechs Jahren und inzwischen lachen wir sogar über unseren holprigen Anfang.
Jorinde, 28:
Ich glaube grundsätzlich an das Gute im Menschen. Eine Gabe, die ich eigentlich niemals ablegen wollte. Es ist mir dann aber doch passiert. Nach einer Beziehung, die meine Freundinnen und Freunde gern als toxisch bezeichnen, wobei ich bis heute dazu tendieren, diesen Vorwurf abzuschmettern. Es war nämlich drei Jahre lang sehr schön. Im Alltag und auch sonst, ein bisschen wie im Märchen. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn ich hatte es vor allem mit einem zu tun, der Lügen kann wie gedruckt, Als ich mich gerade auf dem Höhepunkt meiner noch immer währenden Verknalltheit befand, in Zukunftsmelodien versinkend, da kam ich eines Tages nach der Arbeit nach Hause, die Urlaubspläne im Gepäck, um schließlich den Schlüssel zu einer Wohnung umzudrehen, die während der vergangenen Stunden von dem, mit dem ich alt werden wollte, leer geräumt wurde. Dieser jemand war dann auch selbst weg. Ohne ein einziges Wort der Erklärung. Auf nimmer wiedersehen. „Ich liebe dich und nur dich, aber ich kann und will keine Beziehung führen“ sagte mir dann irgendwann ein Brief, der etwas verspätet eintrudelte und wohl als Entschuldigung für das nicht geführten Gespräch dienen sollte. Ich weiß nicht, ob man sich überhaupt jemals von so einem Schock erholen kann. Davon, dass einer plötzlich ohne vorangegangene Krise abdampft einerseits, aber auch davon, dass man seinen eigenen Gefühlen nicht über den Weg trauen konnte. Ich hätte ja meinen Hintern darauf verwettet, dass so etwas niemals passieren würde. Dieses Gefühlswirrwarr und auch die damit verbundene permanente Angst, ein riesiges Misstrauen und das angeknackte Selbstwertgefühl habe ich natürlich mit in die neue Beziehung genommen, genau wie die Gabe, Mauern zu bauen, die höher sind als ein Mount Everest. Vielleicht, um mir selbst zu beweisen, dass ich niemanden brauche. Anfangs hat das funktioniert. Aber jetzt ist es zu spät, mein Herz ist längst an meinen neuen Freund dran gewachsen. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als ganz ehrlich über meine Vergangenheit zu sprechen und viel häufiger zu erklären, weshalb ich manchmal komisch wirke. Oder viel Zeit für mich brauche. Trotzdem musste ich mich irgendwann entscheiden: Vorsichtig und ängstlich und skeptisch bleiben und damit eben auch vieles kaputt machen. Oder am Wachsen hindern. Oder mutig sein. Als ich gemerkt habe, dass dieser jemand, der da in mein Leben getreten ist, es hundert Mal wert ist, musste ich mich aktiv gegen viele meiner Marotten entscheiden. Und auch gegen die Angst. Mein Freund hilft mir dabei. Meine besten Freundinnen aber auch. Wir haben uns darauf geeinigt, dass es erlaubt ist, „Halt die Fresse“ zu sagen, wenn ich wieder ganz offensichtlich Probleme herbei phantasiere. Komischerweise hilft das. Es sind ja manchmal auch eher unkonventionelle Methoden, die schräge Herzen heilen lassen.
Elisabeth, 33:
Mein Exfreund hat im Laufe unserer vierjährigen Beziehung eine starke Depression entwickelt. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich vor, ihn mit dieser Krankheit allein zu lassen, vor allem, weil er aktiv daran gearbeitet hat und regelmäßig zur Therapie gegangen ist. Trotzdem habe ich mich irgendwann nicht mehr als Partnerin verhalten, sondern eher sehr bemutternd. Mich selbst habe ich in dieser Zeit fast komplett hinten an gestellt. Gleich mehrere Marotten habe ich aus dieser Beziehung mit in die neue genommen. Eine ganz große ist das Zurückstecken. Und das Entschuldigen von Fehlverhalten, obwohl es manchmal keine Entschuldigung gibt. Mein neuer Freund ist, würde ich mal behaupten, kerngesund und ein Goldstück. Aber eben auch, wie die meisten Menschen, manchmal ein Arsch. Statt dann einfach mal zu sagen „So geht man nicht mit Menschen um“, denke ich mir viel eher: „Woher das wohl kommt? Er hatte sicher seine Gründe. Egal. Kümmern. Hintern hinterher tragen. Weitermachen.“ Eigentlich ja eigene ganz nette Art und Weise, mit Konflikten umzugehen, aber immer kann das so nicht funktionieren. Kein Dialog, keine Weiterentwicklung. So, und dann anders herum: Es hat mich natürlich irgendwann belastet, dass mein Partner so unglaublich traurig war. Weshalb ich nun pingelig genau darauf achte, selbst bloß so wenig schlechte Laune wie möglich an meinen neuen Freund heran zu tragen. Lieber sage ich dann ab oder behaupte, ich hätte keine Zeit. Klar rege ich mich mal vor ihm über dieses oder jenes auf, aber die Dinge, die ich wirklich mit mir herum trage, oder echte kurzfristige Krisen, die schlucke ich in seiner Anwesenheit lieber herunter. Ich will ja schließlich der reinste Sonnenschein sein und energiegeladen und positiv! Dabei ist es doch nur ehrlich und vielleicht sogar verbindend, auch Sorgen zu teilen. Ich weiß das, aber tue mich sehr schwer damit, dieses Wissen anzuwenden. Was komisch ist, weil ich meinem Expartner seine Krankheit nie vorgeworfen habe oder hätte. Ich glaube, abgesehen von meinen persönlichen Erfahrungen hat sich außerdem dieses unrealistische Bild der „Traumfrau“ in mein Hirn eingebrannt, das vor allem von einer permanenten Lebenslust geprägt ist. Weg damit. Und lernen, einfach mal ich selbst zu sein, denn:
Ruth, 29:
Ich bin ein bisschen Fernbeziehungs-geschädigt, wenn man das so sagen darf. Vielleicht habe ich auch einfach zu viel Gossip Girl geschaut als ich jünger war oder zu viel Hollywood in mein Leben gelassen. Ich wittere nämlich ohnehin schon an jeder Ecke Gefahr in Form von anderen Frauen. Und Männern! Meine Exfreundin war ein leuchtender Stern. Egal, welchen Raum sie betrat, die Leute drehten sich nach ihr um. Und sie liebte alle Menschen, hatte vor mir feste Freundinnen und Freunde. Als wir aus beruflichen Gründen in verschiedene Städte ziehen mussten, habe ich den Gedanken, sie könne Gefallen an anderen finden, beinahe täglich gehabt. Waren wir ein paar Tage zusammen, verflog diese Sorge, da hätte sie sich auch allein nackt an eine Bar stellen können und ich hätte meine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass sie treu bleiben würde. Aber ganz offensichtlich kann ich nicht mit Distanz umgehen, ich verliere dann das Gefühl für meine Partnerin. Nicht meines für sie, sondern das für sie als Menschen. Ich fange dann an, mich zu fragen, ob alles mit uns in Ordnung ist und male mir die wildesten Geschichten aus. Acht Monate des emotionalen Auf und Abs sind irgendwie bei mir hängen geblieben, obwohl ich nie betrogen wurde. Zwar haben wir aus ganz anderen, „erwachsenen“ Gründen getrennt, aber zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich schon so derart in eine Art „Überwachungs-Modus“ eingegroovt, dass ich bis heute kaum mehr davon weg komme. Ich weiß zu jedem Zeitpunkt, wem meine (neue) Partnerin auf Instagram folgt und bemerke jede neue Verbindung. Gleiches gilt für Facebook. Als sei das irgendwie ausschlaggebend. Aber auch hier macht mein Kopf, was er will. Eine neue Verbindung und ich stelle augenblicklich Nachforschungen an, wie das alles zustande gekommen sein könnte. Arbeitskollegin? Freundes-Freundin? Nein? Wer ist sie dann? Das Schlimme ist, dass ich rational weiß, wie verrückt dieses Verhalten meinerseits ist und dass es mir mehr schadet als hilft. Ist ja klar. Neulich habe ich dann schlussendlich den Gipfel erreicht und war geläutert. Die bildschöne Frau, die auf einmal alles likte und Herzen verteilte, war am Ende die Ehefrau ihres Cousins. Es hat mich all meinen Mut gekostet, ganz ehrlich nachzufragen. Wie bescheuert ich mir vorkam, kann man sich nun gern dazu denken. Keine Frage, es mangelt mir an Vertrauen, und zwar grundlos. Haltet mich gern für verrückt, aber als ich das Buch“ Dein inneres Kind muss Frieden finden“ geschenkt bekam, rollte ich mit den Augen. Bis ich es zu Ende gelesen hatte. Irgendein Schalter hat sich seither umgelegt und ich weiß: All die Dinge, die mich so verrückt machen, haben noch nicht einmal so viel mit meinen vorangegangen Beziehungen zu tun, sondern einzig und allein mit mir. Daran versuche ich also jetzt zu arbeiten. Und zwar aktiv. Besserung ist in Sicht. Und ich werde nicht aufgeben, bis ich endlich stark genug bin, um wieder richtig glücklich zu sein. Zwar gehört ein bisschen gesundes Bangen wohl zu jeder Beziehung, aber eben nur in Maßen.
Sara, 25:
Die beste Freundin meines Freundes ist seine Exfreundin. Sie sind sozusagen gemeinsam aufgewachsen, waren sieben Jahre zusammen, seit der Schulzeit, und hegen bis heute eine Art Standleitung. Mindestens ein Mal am Tag wird telefoniert oder geschrieben. Eigentlich alles kein Problem. Käme ich nicht gerade aus einer Beziehung, die (auch) wegen einer solchen Exfreundin in die Brüche gegangen ist. Mein Exfreund ist jetzt jedenfalls wieder mit seiner ersten Liebe zusammen. Ich freue mich für die beiden, aber nicht für mich. Denn jetzt habe ich zwangsläufig den Gedanken-Salat: Einmal Liebe, immer Liebe? Ja, bestimmt. Aber es gibt ja verschiedene Formen von Liebe. So gern ich mich also entspannen würde, so unmöglich ist es mir zugleich. Dabei habe ich wirklich ganz und gar keine Ambitionen, diesem schrecklich Klischee der eifersüchtigen Partnerin zu entsprechen. Einfacher wäre es sicher, würden wir auch mal gemeinsam Zeit verbringen. Aber dazu kommt es nie. Wenn, dann gehen die beiden allein essen, um sich auszutauschen, was ja auch irgendwie verständlich ist. Oder nicht? Ich bin ganz ehrlich: Keine Ahnung, denn ändern kann ich an der Situation ohnehin nichts, ich würde schließlich den Teufel tun, ihm den Kontakt zu verbieten. Würde auch nichts bringen. Ich jedenfalls würde mich auch von einer Person trennen, die versucht, mir meine Freundschaften zu verbieten. Ich weiß, ihr habt mich auch gefragt, was ich dazu gelernt habe, wie ich damit umgehen oder daran wachse. Ich stehen jedoch auch dem Schlauch und bin machtlos gegen das Ohnmachtsgefühl, das mich überkommt, wenn ihr Name fällt. Meine Strategie: Ausblenden. Nicht ansprechen. Aus den Augen, aus den Sinn. So können die beiden ihre Beziehung pflegen, ohne dass ich es permanent unter die Nase gerieben bekomme. Ein bisschen wie eine Co-Existenz fühlt sich das an. Und tatsächlich glaube ich, dass genau das zum jetzigen Zeitpunkt die beste aller Möglichkeiten ist. Fühle ich mich irgendwann sicherer in meiner Position und Beziehung (wie sind noch nicht so lange zusammen), dann wird die Zeit ganz bestimmt irgendwann Reif für ein richtiges gemeinsames Treffen und Kennenlernen sein. Jetzt wäre es noch komisch und erzwungen und ich ganz bestimmt nicht locker, sondern eher mit einem Stock im Hintern ausgestattet. Oh, vielleicht ist es das, was ich gelernt habe: Geduldig sein, nicht alles sofort (klären) wollen. Den Dingen Zeit geben. Denn im besten Fall haben wir haben noch unser ganzes gemeinsames Leben Zeit.