In unserem vergangen Jane Wayne Editorial verließen wir schon einmal den getrampelten Weg und widmeten uns dem vermeintlich Unmöglichem in der Modewelt, indem unsere wunderbare Stylistin Ella Josephine Ebsen alle Regeln des „Guten Geschmacks“ durchbrach und munter drauf los kombinierte. Und auch in unserer neuesten Ausgabe wollen wir wieder vom Pfad abkommen – und zwar mit Charlotte Kuhrt, die als sogenanntes Curve Model arbeitet. Nanu, ja und, denkt sich hoffentlich manch eine*r von euch, aber Obacht: Das Thema „Plus Size“ wird auch im Jahr 2019 noch ziemlich kontrovers diskutiert und bekommt eine Menge Gegenwind – gerade in Bezug auf Gesundheitsaspekte und im Hinblick auf Normen der Modebranche. Und genau deswegen hat sich Josi nach dem Shooting noch einmal hingesetzt und Charlotte ein paar Antworten und Sichtweisen entlocken können. Aber seht und lest selbst:
Kopfschmuck von Lou de Betoly
Schal aus Wolle von Balenciaga
Rock als Kleid getragen von Julia Seemann
Ohrring von House of Danaë
Söckchen von DM
Sandalen Kurt Geiger noch nicht erhältlich – ähnlich hier
Charlotte Kuhrt arbeitet bereits seit mehreren Jahren als Curve Model und Bloggerin hier in Berlin, kam allerdings erst über einen kleinen Umweg zu ihrer neuen Leidenschaft: Lange Zeit arbeitete sie nämlich als Art Direktorin und Make-up Artistin und wurde am Set immer mal wieder aufs Modeln angesprochen. Und irgendwann wagte sie den Schritt und hat sich bei einer Agenturen als Model vorgestellt. Zackboom, heute steht sie selbst vor der Kamera, statt dahinter.
Liebe Charlotte, du betreibst mittlerweile auch einen ziemlich erfolgreichen Instagram-Account: Was ist deine Intention hinter deinen Bildern?
Ich möchte mit meinem IG Account @charlottekuhrt Frauen jeder Größe zu mehr Selbstliebe inspirieren und über Probleme in unserer Gesellschaft aufklären. Egal ob Größe 36 oder 46, so viele Frauen fühlen sich unwohl und kennen den Druck, den perfekten Körper haben zu müssen. Ich will einfach zeigen, dass wir alle auf unsere Art perfekt sind und wir vor allem aufhören müssen uns gegenseitig runter zu machen. Ich weiß selbst am besten, wieviel sich ändert, wenn man lernt, sich zu akzeptieren. Zu wissen, dass ich Frauen dahingehend unterstützen kann, motiviert mich jeden Tag.
Die Vorbereitung für unser Shooting war tatsächlich sehr ernüchternd für mich, denn ich musste mir natürlich Kleidung bei PR Agenturen leihen – und viele unter ihnen haben ganz klar zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht mit „Plus Size“ in Verbindung gebracht werden möchten. Was glaubst du, woran das liegt? Ist es die Angst oder eine ganz klare Marketing-Strategie?
Ich denke in vielen Köpfen, gerade in der Modebranche, ist das schlanke Modelbild immer noch das einzig “Richtige” und die Angst, sich an etwas Neues zu wagen, ist groß. Gerade im Editorial und High Fashion Bereich ist Plus Size noch nicht genug angekommen und für viele unvorstellbar. Ich habe in den letzten Jahren auch immer wieder von Fotograf*innen gehört, dass sie Plus Size nicht fotografieren, da sie Angst hätten, die „größeren“ Größen nicht schön darstellen zu können.
Hut aus Seide & Mohair von Fiona Bennett
Schal aus Wolle von Balenciaga
Halskette mit barocken Perlen von Nina Kastens
Transparentes Bustier von Asos Curve – ähnlich hier
Lange Handschuhe von Ioannes
Unterwäsche von Asos Curve
Kappe von Lou de Betoly
Ohrring von House of Danaë
BH von Asos Curve
Sakko von ASOS – ähnlich hier und hier
Hut mit Blüten von Spatz Hutdesign Passau
Seidentuch von Gucci
Kette als Stirnkette von Swarovski – ähnlich hier
Pullover von American Vintage – ähnlich hier
Ohrringe von Nina Kastens
Was sind deine Gedanken zur Debatte, wie zuletzt in dem kontroversen Artikel in der Welt, in dem mal wieder darüber geschrieben wird, „Plus Size“-Models würden ein ungesundes Körperbild propagieren? Ich empfinde es tatsächlich als heuchlerisch, gesundheitliche Bedenken nur auf Curve Models zu reduzieren, statt diese Diskussion in aller Konsequenz auch auf die immer noch noch stark präsenten „Magermodels“ zu beziehen. Mir scheint es fast so, als würden da Frauen gegeneinander ausgespielt werden.
Ich denke, gesundheitliche Aspekte sollten in der Modebranche nicht nur auf Körperlichkeiten reduziert werden. Magersucht und Übergewicht hängen ganz oft auch mit mentalen Krankheiten zusammen und ich bin mir sicher, genug Models kennen den Druck, immer perfekt sein zu müssen. Ich kenne zudem kein Plus Size Model, das propagiert, alle sollten jetzt dick werden und ungesund leben. In der Diskussion wird völlig außen vor gelassen, dass viele Curve Models aus einer Essstörung kommen und jetzt ein für sich gesundes Gewicht haben. Auch für Plus Size Models ist eine ausgewogene Ernährung und Sport im Arbeitsalltag enorm wichtig. Einfach nur das Thema Gesundheit aufgrund des Aussehens zu thematisieren, ist oberflächlich und nicht durchdacht. Und nicht zuletzt bin ich der Meinung, dass die positiven Botschaften, die die „Body Positive„-Bewegung propagiert, definitiv überwiegen.
Kopfschmuck von Lou de Betoly
Tüllgewand von Judith Bondy
Jeder hat ein Recht auf Mode und Selbstbewusstsein und ich finde genau das sollten wir zeigen. Ich bin der Meinung, wenn wir viel mehr Frauen ab einer Größe 40 in modischen Looks sehen würden und das Thema “kaschieren” nicht immer so groß geschrieben würde, dann hätten Frauen allgemein viel mehr Mut sich zu zeigen.
Wie lebst du Selbstliebe und Selbstfürsorge ganz konkret?
Für mich kommen hier ganz viele Lebensbereiche zusammen. Eine ausgewogene Ernährung, bei der ich esse, was mir gut tut. Kurzum: Ich ernähre mich gesund, aber ich gönne mir eben auch mal bewusst etwas. Yoga und Sport sind für mich extrem wichtig, um ein gutes Körpergefühl zu bekommen. Und dann geht es weiter, denn auch ein bewusster Umgang mit sozialen Medien ist enorm wichtig! So entfolge ich beispielsweise Accounts, die mir ein minderwertiges Gefühl geben. Für mich ist außerdem enorm wichtig, ehrlich mit diesem Thema umzugehen. Ich reflektiere sehr viel, wie es mir geht und wann ich mich wohl oder unwohl fühle. So lernt man, wie Selbstliebe im Alltag funktioniert. Zu guter Letzt habe ich einen kleinen Selbstbewusstseins-Push entwickelt: Ich schaue mir ganz genau meinen Körper im Spiegel an. Schöne Wäsche, gute-Laune-Musik und ein guten-Morgen-Tanz vor dem Spiegel können Wunder bewirken. Außerdem lernen wir, unseren Körper einfach so anzunehmen wie er ist.
Gepunkteter Hut von Rejina Pyo
Unterwäsche von Asos Curve
Plateau Schuhe von HTC Los Angeles ähnlich hier
Welchen Umgang wünschst du dir bei deiner Arbeit als Model?
Viel mehr Akzeptanz und mehr Interesse! Viele Leute in der Branche trauen sich oft gar nicht einfach mal mit Plus Size Models über Körperbilder und Styling zu sprechen. Ich glaube, gerade Stylist*innen können im direkten Austausch die Angst vor großen Größen verlieren. Sobald man merkt, dass Curve Models gesehen werden wollen und selbstbewusst vor der Kamera stehen, verlieren viele schon die Berührungsängste.
Was sind deine Tipps zum Einkaufen – online & offline?
Mutig sein und ausprobiern! Gerade online kann man einfach mal Looks bestellen, die man im Geschäft vielleicht nicht anprobiert hätte, weil die Scham zu groß ist. Beim Anprobieren daheim ist aber vielleicht alles ganz wunderbar und man kann sich besser auf die Mode einlassen. Ganz wichtig ist es außerdem, der Größe nicht soviel Gewicht zu geben: Es ist am Ende eben nur eine Zahl und eine größere Größe zu wählen, damit das Kleidungsstück sitzt, ist nicht das Ende der Welt.
Was sind deine Vorsätze für das neue Jahr?
Ich will noch viel mehr über wichtige Themen sprechen, mit unserer großen Reichweite können wir soviel erreichen und ich will das noch viel mehr nutzen. Themen wie Nachhaltigkeit, Feminismus und auch politische Themen sind mir zurzeit sehr wichtig und sollen ihren festen Platz in diesem Jahr bekommen.
Wir schreiben das Jahr 2029: Deine Prognose?
Für die Modebranche ist mein Wunsch ganz klar: Inklusion. Ich hoffe, in zehn Jahren ist es völlig normal, alle Größen, Hautfarben, Geschlechter und Altersklassen in Werbungen und Magazinen zu sehen.