Letztens war es mal wieder so weit. Meine Eltern waren zu Besuch in Berlin, mein Geburtstag stand kurz bevor. Gemütlich saßen wir in einem Restaurant bei mir um die Ecke, als mein Vater sagte: „Du solltest bei der Künstlersozialkasse dein Jahreseinkommen mal höher angeben. Dann gibt es am Ende mehr Rente!“. Ich war augenblicklich genervt und die Gnocchi in Tomatensauce schmeckten plötzlich nicht mehr so gut. Den Blick starr auf meinen Teller gerichtet stocherte ich im Essen herum, während mein Vater einen seiner kleinen, erbaulichen Vorträge zum Thema Rente hielt, die ich mittlerweile in- und auswendig kenne: Sorg jetzt vor, zahl ein, hast du denn mal nachgeguckt, wie viel Geld schon in deiner Lebensversicherung zusammengekommen ist. Immer begleitet vom Spruch: „Ihr werdet im Alter nicht mehr viel bekommen.“
Danke, Papa. Als ob ich das nicht selber wüsste. Meine Schwester lacht mittlerweile nur noch ungläubig, wenn mein Vater damit anfängt: „Papa, das wissen wir längst. Glaubst du ernsthaft, du verkündest uns was Neues?“ Mein Vater war Ingenieur, er kriegt eine sehr gute Rente, er macht sich Sorgen um die Töchter. Es ist nicht so, dass ich mir keine Sorgen mache, um meine Rente und mich – zumal als Freiberuflerin. Aber ich gehöre eben auch zu einer Generation, die nie auch nur die Aussicht auf eine gute Rente hatte. Das liegt an verschiedenen Faktoren, vor allem aber daran, dass das Umlagesystem – bei dem die Jungen die Alten finanzieren – auf lange Sicht nicht funktioniert. In Deutschland werden zu wenige Kinder geboren (woran vermutlich diese Feministinnen schuld sind), die Gesellschaft veraltet.
Zwischen Fatalismus und Panik
Es liegt aber auch am Wandel der Arbeitswelt. In meinem Freund*innenkreis haben die meisten Jahresverträge, werden für befristete Projekte eingestellt, sind immer mal wieder im Ausland unterwegs. Kurz gesagt: Die Erwerbsbiographie ist stückelig, die meisten Beschäftigungsverhältnisse sind alles andere als stabil – und gut bezahlt oft auch nicht. Schwer, unter solchen Bedingungen noch fürs Alter vorzusorgen. Wohlmeinende Menschen wie mein Vater reden gerne von ein paar Euro, die man im Monat doch wohl zur Seite legen und in die Rente investieren könne. Mich macht das wütend. Erstens sorge ich schon vor, monatlich, und in Form von Anlagen. Zweitens reicht das aber nicht aus, denn wie man auch vorsorgt, man macht es offensichtlich falsch. Ich kenne einige Leute, die „riestern“. Schon vor einiger Zeit stellte sich heraus: Bringt nichts. Na super.
Seit Jahren wird über die Rente mit 70 diskutiert, einfach weil allen klar ist, dass auch die Rente mit 67 nicht ausreicht, um einem Menschen den Lebensabend zu finanzieren. So tragisch finde ich das eigentlich nicht. Die heute 70-Jährigen sind die neuen 60-Jährigen oder sogar 50-Jährigen. Als mein Vater mit 65 in Rente gehen musste, war er traurig:
Er war körperlich fit, er mochte seinen Job, er war gut darin, er hätte gerne noch ein paar Jahre weitergearbeitet. Die Arbeitswelt verändert sich, sie wird flexibler, globalisierter, individualisierter. Warum sollte man nicht auch mit 70 noch arbeiten? Ich bin Journalistin und Autorin und kann mir nicht vorstellen, irgendwann nicht mehr zu schreiben. Wenn ich das meinem besorgten Vater sage, gibt der zu bedenken: „Du bist jetzt jung und gesund, du weißt nicht, ob das mit 70 immer noch so ist. Vielleicht kannst du im Alter einfach nicht mehr arbeiten.“
Die Generation, die nichts erwartet
Ich mag die Argumentation nicht, aber er hat Recht. Ich bin 31 und habe im letzten Jahr angefangen, mir ernsthaft Gedanken um meine Rente zu machen. Als ich das einer älteren – sprich: über 50-Jährigen – Bekannten erzählte, lachte sie: „Unfassbar, als ich in deinem Alter war, habe ich mich damit gar nicht beschäftigt.“ Diesen Luxus haben ich und viele andere meiner Generation und der darauffolgenden nicht. Ich schreibe das ganz nüchtern, ohne Vorwurf. Denn im Gegensatz zu anderen haben wir nie damit gerechnet, eine gute Rente zu bekommen. Wir sind die Generation, die nichts erwartet. Bei einigen meiner Freund*innen führt das zu einer fatalistischen „Mir doch egal“-Haltung: Wenn später eh nichts zu erwarten ist, warum sollte man sich jetzt mit dem ganzen Renten-Thema herumschlagen? Andere sind mit Anfang 30 schon im Panik-Modus und checken fieberhaft Anlagemöglichkeiten. Mir ist meine Rente nicht egal, ich kriege aber auch keine Schnappatmung, wenn ich an sie denke – zumindest noch nicht. Ich finde es auch okay, dass ich mich um meine Rente ein bisschen selber kümmern muss. Was ich aber nicht okay finde ist, dass die Politik sich für die Rente der heute Jungen so wenig interessiert.
Soeben hat Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein milliardenschweres Rentenkonzept vorgelegt: „Grundrente“ heißt es und soll vor allem eine Ungerechtigkeit beseitigen, nämlich, dass Menschen, die ein Leben lang gearbeitet aber nur so wenig verdient haben, dass sie im Alter auf Sozialhilfe angewiesen sind, genauso viel Geld bekommen wie Menschen, die nie Rentenbeiträge bezahlt haben (bisher ist es so, dass die gesetzliche Rente voll auf die Sozialhilfe angerechnet wird). Natürlich ist das himmelschreiend ungerecht und ich begrüße jede Initiative, die an diesem Zustand etwas ändern will. Trotzdem ist da dieser Gedanke in meinem Kopf: Wann fängt man in der Politik denn mal an, grundlegend über das jetzige Rentensystem nachzudenken? Wo bleiben Ansätze zu einer nachhaltigen, generationengerechten Rentenpolitik?
Keine magische Lösung
Zwar sorgt die SPD seit letztem Sommer mit der Forderung nach einer Rentengarantie – also die Stabilisierung des Rentenniveaus – bis 2040 für Ärger in der GroKo (man hatte sich eigentlich auf eine Garantie bis 2025 geeinigt), aber das war es dann auch mit dem Blick in die Zukunft. Die von Heil einberufene Rentenkommission soll sich Gedanken dazu machen und ihre Ergebnisse im nächsten Jahr präsentieren. Ehrlich gesagt erwarte ich von der Kommission nicht viel. Warum auch? Das Problem, dass unser Rentenmodell auf Dauer aufgrund des demographischen Wandels nicht mehr funktionieren wird, ist schon lange bekannt. Passiert ist trotzdem: nichts. Lieber verteilt man Rentengeschenke an die aktuelle Rentner*innen-Generation.
Es geht gar nicht darum, dass ich es den heutigen Rentner*innen nicht gönne. Und ich erwarte von der Politik auch keine magische Lösung, keine Versprechungen, die Renten jetzt und sofort zu erhöhen. Aber ich erwarte, dass die Dringlichkeit des Problems endlich erkannt und diskutiert wird. Dass grundlegend über das deutsche Rentensystem nachgedacht wird. Dass die Sorgen meiner Generation ernst genommen werden. Damit die Vorträge meines Vaters in Zukunft weniger werden. Ein bisschen zumindest.
Bild in der Collage: Ari Seth Cohen/Advanced Style & Rachel Comey