Kann sich noch jemand vorstellen, dass die Internetnutzung einst für einen bestimmten Zeitraum die heimische Telefonleitung blockierte? Für all diejenigen unter euch, die sich nicht daran erinnern können oder ganz einfach zu jung für diese Geschichten von damals sind, helfe ich noch einmal fix nach: Die Telefonleitung war die ganze Zeit besetzt, während wir unsere ersten Schritte im Browser unternahmen, ICQ herunterladen mussten und wir große Mühe dabei hatten, einen falschen StudiVZ-Account verifizieren zu lassen.
Heute helfen 24GB+ bei der Verbindung zur Außenwelt. Welch ein Glück, dass mit der Einführung von Smartphones eben auch Chatprogramme entwickelt wurden, die uns die 20 Cent pro SMS ersparen ließen und wir deshalb so heute gerne einen Satz in 15 kleine Häufchen an unser virtuelles Gegenüber senden können. Nur was, wenn dieses Gegenüber auch nach 30, 60, oder 120 Minuten noch nicht geantwortet hat?
Alter Hut, ich weiß, aber stets ein wahnsinnig präsentes Thema: Die Rede ist von der Verpflichtung zur Antwort, die immer genau dann entsteht, wenn man doch weiß, dass da eigentlich jemand tippen könnte.
Immerhin müssen wir uns nicht fragen, ob das Guthaben leer – Antworten ist ja theoretisch umsonst. Auch wissen wir, dass bei den meisten von uns sowieso jede halbe Stunde mindestens ein Mal der Bildschirm erleuchtet und wir checken werden, was passiert ist. Notification on. Klar, oder nicht? Kommt dennoch keine Antwort, stellt sich gerne Nervosität ein. Ist was passiert? Ich meine, etwas wirkliches? Dabei können wir doch eigentlich davon ausgehen, dass sich das Gegenüber gerade einfach eine Auszeit vom Antworten gönnt – und sei es nur in unserem Chat.
Die Rede ist von dem Gefühl, das seit rund zehn Jahre unterschwellig mitschwingt und das wohl jede*r kennt – und uns unlängst geprägt hat. Es dreht sich um den blauen Haken. Um DAS Gelesen. Und ums NICHT geantwortet. Es dreht sich weiter um die Frage nach dem Grund dafür.
Dabei sollten wir uns nicht fragen, warum sich unser Gegenüber gerade jemand stumm gestellt hat, sondern warum es uns so dermaßen tangiert. Warum fühle ich mich selbst verpflichtet zu antworten, wenn mich jemand aus dem Blauen heraus anchattet? Warum öffne ich Chatverläufe manchmal gar nicht erst, um nicht in den Zugzwang zu geraten?
In letzter Zeit habe ich mitbekommen, wie Freundinnen sich entschuldigen, wenn sie zurzeit kaum Kapazitäten haben, um ihre ausgiebigen WhatsApp Chatverläufe zu pflegen. Ich habe das abgewunken – und geantwortet: „Mein Herz, ist doch kein Problem, bitte mach dir keinen Kopf“, um kurz darauf der anderen Liebsten, mit der über zwei Tage Funkstille herrschte, postwendend eine nervöse Nachricht in die Tasten gehämmert wurde, in der ich die starke Vermutung äußerte, dass zwischen uns gerade nicht alles ok sein könnte.
Sind das schon menschliche Abgründe oder ist das der Flugmodus? Wie kann es sein, dass wir trotz Vernunftbegabung unter Druck stehen, wenn wir davon ausgehen können, dass jemand gerade nicht kann oder will? Gerade nicht am Handy ist, sondern vielleicht Zeit mit dem Fernseher, dem liebsten Buch oder dem liebsten Menschen verbringt – ganz ohne Ablenkung?
Weil wir glauben zu wissen, dass der Pocket Black Mirror immer dabei ist und im Zweifelsfall auf laut gestellt wurde. Oder weil wir es selbst so gemacht hätten. Geantwortet – oder eben nicht geantwortet – meine ich. Vielleicht tappen wir an dieser Stelle in unsere eigene Falle.
Denn genau so naheliegend eine handyfreie Zeit zum Entspannen in den eigenen vier Wänden oder im Urlaub auf der einen Seite auch ist, so schwer tut man sich dann auch, sie wirklich durchzuziehen und wirklich abstinent zu bleiben.
Auf der anderen Seite schürt man Erwartung, hat selbst erlebt, dass eine verzögerte Antwort eine schlechte Antwort sein kann, im schlimmsten Fall kein Interesse bedeutet und sich selbst vielleicht schon zu oft auf diesen Mechanismus verlassen. Es aussitzen. Abwarten. Tee trinken. Aber ab wann ist man seinem Gegenüber tatsächliche eine Antwort schuldig? Selbst wenn es nur eine von der Sorte „Ich melde mich später“ ist?
Wie oft habe ich selbst schon beleidigt auf stumm geschaltet, als mir jemand gegen den Strich ging, ich vielleicht begründet zornig auf die Chatpartner*in war und nicht nur wenig Lust auf einen beiläufigen Klönschnack hatte, sondern viel mehr jemanden mit einer akuten Verstummung abstrafen wollte? Und ab wann ist das nicht mehr die feine Englische Art?
Da wir ja alle wissen, das direkte Kommunikation Key ist, genau wie eine gemeinsame Intervention zum Lösen aller tatsächlichen Probleme, sollte dem abstrafenden Schweigen in Freundschaftsbeziehungen ein Riegel vorgeschoben werden. Schluss damit. Auch beim Chatten. Auch wenn es da so naheliegend und leicht ist. Offene Kommunikation, die die eigene Handypause trotzdem nicht ausschließt. Ganz im Gegenteil.
Denn wer in zwischenmenschlichen Beziehungen mit offenen Karten spielen kann und will, schweigt nur fürs eigene Wohl und für die Onlinepause ins mobile Endgerät. Nicht aber, um ein Zeichen zu setzen. Denn wer gerade nicht kann oder will und das Telefon ohne Hintergedanken Telefon sein lässt, macht sich im Umkehrschluss über die unbeantworteten blauen Haken und das letzte „Gesehen am..“ auch weniger Gedanken. Das, was früher ein bisschen geschmerzt hat, ist heute die willkommene Zwangspause in einem ellenlangen Chatmarathon. Vielleicht auch bei der besseren Hälfte.
Hach, und wie leicht sich das gerade alles sagt. Jetzt gerade so von außen betrachtet. Und dann Ist es der Tinder-Cruch oder die eigene Beziehung, in der man selbst latent nervös wird, wenn jemand jemandem Antwort schuldig bleibt. Eine Wichtige oder eine Beiläufige, wer kann das schon beurteilen. Vielleicht haben wir es hier mit einem gesellschaftlichen Phänomen zu tun, das sich in Gänze nie überwinden lässt.