Die Einschläge kommen näher. Ich bin 31, viele meiner Freundinnen sind in den letzten Jahren Mütter geworden, viele wollen es in den nächsten Jahren werden. Und ich? Bin mir immer noch nicht sicher, ob ich überhaupt Kinder will. Wenn ich an die Zukunft denke, sehe ich mich ohne Kinder – und das ist eigentlich schon immer so gewesen. Ganz festlegen kann und möchte ich mich aber (noch) nicht, weil, kann ja noch einiges passieren. Eine ältere Feministin sagte mir mal, ich solle in der Öffentlichkeit viel mehr über meine selbstbestimmte Kinderlosigkeit sprechen. Denn das sei wichtig, um Kinderlosigkeit zu normalisieren, um anderen zu zeigen, dass es neben Mutterschaft auch andere Lebensentwürfe gibt. Das sehe ich eigentlich genauso – und vermeide das Thema doch. Weil es schwierig und emotional ist und man eben doch oft auf Unverständnis (und manchmal sogar Aggressivität) trifft.
Meckern statt struktureller Kritik
Frauen, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden, werden auch 2019 immer noch misstrauisch beäugt. Sie gelten als unnormal, seltsam, gestört. Was stimmt mit ihnen nicht? Wie egoistisch kann man sein? Und: Die werden das später garantiert noch bereuen! Meine Bewunderung gilt deswegen Frauen, die sich furchtlos mit dem Thema in die Öffentlichkeit wagen. Die Lehrerin und Autorin Verena Brunschweiger ist so eine. Soeben hat sie ihr Manifest Kinderfrei statt kinderlos (Büchner-Verlag) veröffentlicht, über das schon kontrovers diskutiert wird. Ich habe bereits einige wunderbare, kluge Bücher zum Thema Kinderkriegen (oder eher: Nichtkriegen) gelesen, darunter Sarah Diehls Die Uhr, die nicht tickt. Auf Brunschweigs Buch hatte ich mich deshalb gefreut – und war nach der Lektüre nicht nur enttäuscht, sondern wütend.
Dabei fängt das Buch mit kämpferischen Sätzen wie diesem eigentlich gut an: „Kinderfrei leben heißt, gegen soziale Erwartungen zu rebellieren und die Normen der Gemeinschaft herauszufordern“. Oder, ganz à la Simone de Beauvoir: „Die kinderfreie Frau ist das ‚Andere‘, die ‚Mutter‘ die Norm – und beides muss sich ändern.“ Doch schnell stellt sich heraus, dass Brunschweigers Ansatz wenig reflektiert, dafür pöblerisch, populistisch und einseitig ist. So schreibt Brunschweiger zwar, es ginge nicht darum, sich gegen einzelne Kinder und Eltern auszusprechen oder diese zu kritisieren. Vielmehr richte sich ihre Kritik strukturell gegen Fortpflanzung. Das zu glauben fällt allerdings schwer, wenn die Autorin sich alle paar Seiten über laute Kinder in Flugzeugen, Bussen und Cafés beschwert, über Supermütter und -väter sowie darüber, dass Eltern von ihren kinderlosen Freund*innen grundsätzlich erwarten, dass diese sich nach ihnen richten. Das hat wenig von struktureller Kritik und viel von schlichtem (subjektiven) Meckern. Und wirft zudem alle Eltern und ihre Kinder in einen Topf. Dass Kinder einen nerven und man deswegen keine bekommen möchte: Völlig okay! Aber es ist nicht okay, wenn eigentlich eine Grundsatzkritik an dem gesellschaftlichen Imperativ zur Fortpflanzung angekündigt war.
Alles für die Umwelt
Auch Brunschweigers Hauptargument, keine Kinder zu bekommen, finde ich problematisch: Umweltschutz. Es stimmt, unsere Erde ist überbevölkert und das ist ein Problem. Es ist auch nicht so, dass ich Brunschweigers Umwelt-Argument nicht grundsätzlich nachvollziehen kann – eine meiner Freundinnen hat genau deshalb beschlossen, keine Kinder zu bekommen. Ich bin Vegetarierin, ich habe kein Auto, fliege wenig, Umweltschutz ist mir wichtig. Was mich an Brunschweigers Argumentation aber stört, ist der unterstellte Altruismus Kinderloser: Sie tun etwas für unseren Planeten. Anders als Eltern, die ihn mit ihrer „Fortpflanzungswut“ zerstören und „einfach blind ihrem Reproduktionstrieb folgen“, ohne an die Folgen für die Umwelt und den Planeten zu denken. Kinderlose hingegen leben „bewusst“ und müssten „ausbaden“, dass „andere sich für einen nicht gerade umweltfreundlichen Lebensstil entschieden haben“. Nicht nur wenn es um Umwelt geht, sind Eltern in Brunschweigers Augen per se egoistisch: „Man bedenke, dass es den Eltern selten wirklich um die Kinder geht, sondern schlicht und ergreifend um mehr Geld.“ Ach ja?
Brunschweiger betont immer und immer wieder, sie sei Feministin und kritisiert – zu Recht – den Umgang mit kinderlosen Frauen in der Gesellschaft. Mich Mit-Feministin ärgert es daher umso mehr, wie die Autorin Frauen mit und ohne Kinder gegeneinander ausspielt. Mütter sind geldgeil, asozial und reaktionär, stellen ihren Nachwuchs auf ein Podest, haben kein Verständnis für kinderlose Freundinnen und zerstören mit ihrer Gebärmutter dann auch noch die Umwelt. Kinderlose Frauen hingegen sind Heldinnen, kämpfen für die Umwelt und gegen tradierte Geschlechterrollen. Platz für Nuancen bleibt da eigentlich nicht (auch wenn Brunschweiger an einer Stelle plötzlich wie einen Nachgedanken erwähnt, es gäbe „fantastische“ Mütter).
Nuancen? Nicht in Sicht
Nicht besser wird Kinderfrei statt kinderlos dadurch, dass seine Struktur oft willkürlich wirkt und die Autorin an diversen Stellen mit fragwürdigen Aussagen um sich wirft. So seien sogenannte Mombies, die anderen mit ihren Kindern auf den Keks gehen und bei denen sich alles ums Kind dreht, oft homophob. Warum das so sein soll oder woher sie dieses Wissen hat, dazu macht Brunschweiger keine Angaben. An anderer Stelle lobt sie, im Iran würden Kinder noch erzogen. Dass der Iran außerdem eine Theokratie ist, in der Frauen- und Minderheitenrechte oftmals mit Füßen getreten werden, scheint der Feministin Brunschweiger hingegen egal zu sein. Hauptsache, die Kinder wissen sich zu benehmen.
Mich ärgert Verena Brunschweigers Buch, weil es gewollt kinderlosen Frauen einen Bärendienst erweist: Es ist polemisch, einseitig und voller kruder Thesen – und wird so garantiert nicht dafür sorgen, dass Kinderlosen für ihre Entscheidung mehr Respekt und Verständnis entgegengebracht wird. Mich hätte Brunschweigers persönliche Situation interessiert: Wann hat sie sich gegen Kinder entschieden? Warum (ich rate mal: Umweltschutz)? Wie geht sie, gerade auch als Lehrerin, mit diesem Thema um? Doch darüber erfährt man: nichts. Was vor allem deshalb schade ist, weil es dem Buch einige – dringend notwendige – Nuancen hätte hinzufügen können. So bleibt ein Buch übrig, das mit jeder Menge Beschwerden und gefühlten Wahrheiten aufwartet und dabei meistens über simples Meckern nicht hinauskommt. Grundlegende Gesellschaftskritik blitzt nur an einigen wenigen Stellen auf. Vor allem vertieft Brunschweiger die Gräben zwischen Frauen, zwischen Müttern und Nicht-Müttern. Das ist mehr als schade – es ist schädlich. Weil Kinderlose gesellschaftlich so abgewertet werden, weil ihre Entscheidung so wenig respektiert wird, weil sie als unnormal und unvollständig gelten. Brunschweigers Buch tut nichts dafür, dass sich das ändert.
Verena Brunschweiger: Kinderfrei statt kinderlos. Ein Manifest. Erschienen im Büchner-Verlag, 16 Euro.
Collage: Zerrissenes Bild via Eckhaus Latta